© Die PTA in der Apotheke
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Kinderkrankheiten

GEFÄHRLICH BEI ERWACHSENEN

Das Durchschnittsalter für die klassischen Kinderkrankheiten steigt immer mehr an. Eine erschreckende Entwicklung, denn je höher das Erkrankungsalter, desto schwerer sind oft die Verläufe.

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Kinderkrankheiten treten meist in jungen Jahren auf. Hat man sie einmal durchgemacht, ist man ein Leben lang dagegen immun. Streng genommen sind daher nur Masern, Mumps und Röteln Kinderkrankheiten. Meistens zählt man aber auch Windpocken und Keuchhusten dazu, weil sie am häufigsten Kinder betreffen. Doch mittlerweile infizieren sich immer mehr Erwachsene mit Kinderkrankheiten. So ist jeder vierte Masernpatient älter als 20, während das Durchschnittsalter für Keuchhusten zurzeit sogar bereits bei 41 Jahren liegt.

Doch welcher 41-Jährige denkt bei einem plötzlich einsetzenden, bellenden Husten an Pertussis? Das hat man doch sicher schon als Kind gehabt und müsste daher immun sein! Ein Keuchhusten wird daher schnell als Bronchitis abgetan. Dabei ist es durchaus möglich, mehrmals im Leben an Keuchhusten zu erkranken, denn die Immunität besteht nur etwa 15 bis 20 Jahre. Besonders gefährlich wird es, wenn Erwachsene Babys anstecken, denn bei ihnen verläuft die Infektion oft untypisch. Statt in Husten kann sie sich in lebensbedrohlichen Atemaussetzern äußern.

Auch Windpocken können bei Erwachsenen noch einmal auftreten, nämlich dann, wenn die Krankheit bereits sehr früh im Kindesalter durchgemacht wurde und einen besonders leichten Verlauf nahm. Dann wurden nicht genug Antikörper gebildet, um später gegen eine Neuinfektion immun zu sein.

Erstinfektion bei Erwachsenen Wer in jungen Jahren eine Kinderkrankheit weder durchgemacht hat noch gegen sie geimpft wurde, kann als Erwachsener daran erkranken. Meist sind die Verläufe umso schwerer, je älter man dann ist – was besonders für die Masern gilt. Die durch Viren hervorgerufene Krankheit ist extrem ansteckend. Drei bis fünf Tage nach der Infektion kommt es zu hohem Fieber und Erkältungssymptomen sowie Bindehautentzündung. Typisch sind die Koplik’schen Flecken, kleine weiße „Körnchen” in der Wangenpartie der Mundschleimhaut. Nach etwa einer Woche beginnt dann ein Hautausschlag, der schnell den ganzen Körper überzieht und leicht bluten kann.

Manchmal verschwinden die Symptome bereits nach einer Woche wieder. Tückisch an Masern sind die auch schon im Kindesalter auftretenden gefährlichen Komplikationen wie Gehirn- oder Hirnhautentzündung, Luftröhren- und Kehlkopfinfektionen sowie Lungen- und Mittelohrentzündung. Gefürchtet ist zudem die SSPE , eine immer tödlich endende Krankheit, bei der die Viren das Hirngewebe zersetzen. Im Erwachsenenalter treten diese Komplikationen wesentlich häufiger auf.

Mumps wird ebenfalls durch Viren ausgelöst und durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die Inkubationszeit beträgt 16 bis 18 Tage, dann kommt es zur typischen Schwellung der Ohrendrüsen sowie Fieber und Erkältungssymptomen. Mumpsinfektionen können bei jedem dritten männlichen Patienten eine Hodenentzündung auslösen, die in seltenen Fällen sogar zur Unfruchtbarkeit führen kann. Weitere Komplikationen können Bauchspeicheldrüsen- und Hirnhautentzündungen sein. Auch hier gilt: Je älter der Patient, desto höher die Komplikationsrate bei Mumps.

»Streng genommen sind daher nur Masern, Mumps und Röteln Kinderkrankheiten.«

Während Infektionen mit Windpockenviren bei Kindern meist komplikationsfrei bleiben, ist der Krankheitsverlauf bei Erwachsenen häufig schwer. Sie bilden deutlich mehr Pocken aus, die bis zu vier Wochen bestehen bleiben können. Das Fieber kann auf über 40 °C ansteigen und es können Gehirnhaut- und Lungenentzündungen sowie Magen-Darm-Probleme auftreten. Bei Auswurf und Atemschwierigkeiten, starken Bauchschmerzen sowie der Unfähigkeit, das Kinn auf die Brust zu senken (Test zu Hirnhautentzündung) sollte sofort ein Arzt aufgesucht werden.

Schwangerschaft Besonders gefährlich sind Kinderkrankheiten bei Schwangeren. Infiziert sich eine werdende Mutter in den ersten drei Monaten etwa mit Röteln, liegt die Gefahr, dass das Ungeborene geschädigt wird, bei 90 Prozent. Es kann zu Fehl- oder Frühgeburten, aber auch zu Missbildungen des Embryos sowie Linsentrübung, Schwerhörigkeit oder Mikrozephalie kommen.

Auch Windpockenviren (Varizellen) können das ungeborene Leben gefährden: Erkrankt die Schwangere in der fünften bis 24. Schwangerschaftswoche, kommt es in seltenen Fällen zum fetalen Varizellensyndrom, das sich in Hautveränderungen, Augenerkrankungen, Skelettfehlbildungen und Nervenschädigungen äußern kann. Noch gefährlicher ist es, wenn die Schwangere ihr Kind unmittelbar vor oder nach der Geburt mit Windpocken ansteckt. Das Kind ist dann noch nicht durch Antikörper der Mutter geschützt und jedes dritte so infizierte Neugeborene verstirbt.

Zusatzinformationen: Wie kann man vorbeugen?

Mitte des 20. Jahrhunderts begann man mit Impfungen gegen die häufigsten Kinderkrankheiten. Durch die Schluckimpfung wurde die Kinderlähmung in Europa ausgerottet, auch die Pocken verbreiten heute keinen Schrecken mehr. In den frühen 1970er Jahren wurden Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln entwickelt. Seit 2006 beinhaltet der Kombiwirkstoff auch eine Impfkomponente gegen Windpocken. Allerdings sind zwei Impfdosen erforderlich, um Immunität zu gewährleisten.

Genau da aber liegt das Problem: Zwar bekommen über 90 Prozent aller Kinder die erste Impfdosis, doch bei der zweiten beträgt die Impfrate nur noch etwas über 70 Prozent. Damit eine Krankheit als ausgerottet gilt, ist aber eine Durchimpfungsrate von mindestens 95 Prozent notwendig. Damit wären auch Säuglinge sowie alte und kranke Menschen, die nicht geimpft werden können, geschützt, denn der Erreger kann in der Bevölkerung nicht mehr zirkulieren (Herdenimmunität). Die Impfmüdigkeit – sei es aus ideologischen Gründen oder aus Angst vor Nebenwirkungen – führt dazu, dass Kinderkrankheiten immer mehr zu Erwachsenenkrankheiten werden. Denn nach 1970 Geborene weisen die größten Impflücken auf, wobei viele von ihnen auch nicht mehr auf natürlichem Wege mit den Kinderkrankheiten infiziert wurden.

Seit den 1970er Jahren haben sich zudem die hygienischen Verhältnisse wesentlich verbessert; es gibt mehr Einzelkinder und viele Kinder haben generell weniger Kontakt zu anderen Kindern. All das führt dazu, dass Infektionen nicht mehr so grassieren wie früher. Es bedeutet aber auch, dass der Ausbruch einer Kinderkrankheit heute häufig umso heftiger ausfällt. Das Robert-Koch-Institut rät daher allen nach 1970 Geborenen und allen Frauen, die eine Schwangerschaft planen, ihren Impfschutz zu aktualisieren.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 56.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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