© Shidlovski / iStock / Getty Images
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Darreichungsformen

GALENIK – DIE MEISTERDISZIPLIN

Schon in der Erfolgsserie „Scrubs – Die Anfänger“ wird erwähnt, dass ein Analgetikum nicht immer anal angewendet wird. Klingt witzig, aber wie unrealistisch ist dieser mögliche Anwendungsfehler wirklich?

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Wichtige Arzneistoffe unterscheiden sich nicht nur in der Dosierung, sondern auch in der Darreichungsform, in der sie angeboten werden. Die richtige Galenik ist essenziell für den bestmöglichen Therapieerfolg. Magensaftresistente Überzüge, Pflaster, Inhalationslösungen mit Applikator oder Zäpfchen stellen eine Auswahl an Anwendungsvariation dar, falls die Standardtablette nicht geeignet ist. Die Möglichkeiten, einen Wirkstoff nicht nur in den Körper, sondern auch an die richtige Stelle zu bekommen sind nicht immer so simpel, wie sich viele Kunden denken. Erschwerend, aber notwendig kommt hinzu, dass der Wirkstoff trotz Metabolisierung die richtige chemische Wirkform beibehält oder bekommt.

Magensäure-abbauende Enzyme, unterschiedliche pH-Werte und Löslichkeit der Wirkstoffe, um nur einige Faktoren zu nennen, machen den Forschern das Leben schwer, aber lässt sie zugleich auch kreativ werden. Viele der mittlerweile täglich abgegebenen Darreichungen haben einen langen Weg hinter sich, bis sie in ihrer jetzigen Form im Lager der Apotheken auf die Abgabe warten. In den folgenden Ausgaben sollen verschiedene apothekenrelevante galenische Formen beschrieben und wichtige Beratungshinweise zusammengefasst werden. Auch die Herstellung in der Rezeptur soll aufgegriffen werden. Ziel dieser Reihe ist es, den neuen Apothekenmitarbeitern eine gute Übersicht über den Inhalt der gefühlt unendlich vielen Schubladen zu geben. Ebenso soll es den erfahrenen Kollegen als kurze Auffrischung dienen, um weiterhin sicher im Sattel zu sitzen.

Tabletten Die bekannteste und wahrscheinlich auch angenehmste Darreichungsform macht den Anfang. Die meis- ten Kunden mit Rezept erwarten eine kleine Schachtel mit buntem Inhalt in variierender Form: die Tablette. Dabei spielen für viele ältere Patienten die Form und Farbe eine fast genauso große Rolle bei der Compliance wie der Wirkstoff. Der Placeboeffekt darf nicht unterschätzt werden. Im Notfall stehen für Extremfälle, wie beispielsweise ältere Menschen, die unbedingt morgens eine kleine rote Tablette nehmen müssen, Placebotabletten in allen Formen und Farben zur Verfügung. Aber es gibt noch weitere Gründe für Non-Compliance.

Nicht selten erzählen Kunden von Allergien, unerwünschten Nebenwirkungen oder geminderter Wirkung, wenn Rabattverträge den Firmenaustausch im Rahmen der Dauermedikation fordern. Falls der Beratende persönlich noch nicht auf Medikamente angewiesen ist, kann die Empathie fehlen und die Eskalation im Handverkauf ist vorprogrammiert. Tatsächlich kann der Austausch auch von Präparaten in Tablettenform ohne Modifikation, wie es beispielsweise bei den Antihypertensiva oft der Fall ist, zu einem höheren Nebenwirkungspotential führen. Der Grund findet sich im Zulassungsverfahren bei Generika. Nach Ablauf der Schutzfrist eines angemeldeten Patents dürfen Nachahmer ihre Produkte auf den Markt bringen.

Obwohl eine grundsätzliche Übereinstimmung mit dem Originalpräparat vorhanden sein muss, dürfen Abweichungen bis zu einem gewissen Maß vorhanden sein. Der Einsatz verschiedener Salze, Ester oder Isomere des Wirkstoffs und abweichende Hilfsstoffe verändern die Bioverfügbarkeit. Diese gilt zwischen 80 Prozent und 125 Prozent in Bezug auf das Originalpräparat als bioäquivalent und laut Rahmenvertrag somit als austauschbar. Wird ein Austausch zwischen Generika durchgeführt, kann die Bioverfügbarkeit bis zu maximal 55 Prozent verändert werden. Somit sind Nebenwirkungen bis zum teilweisen Wirkverlust erklärbar. Die Wirkstoffe, die besonders anfällig sind, wurden mit der Substitutionsausschlussliste von den Rabattverträgen ausgeschlossen. Trotzdem gibt es noch weitere Gruppen wie Opioide, Antiarrhythmika und andere, die über den Vermerk „geringe therapeutische Breite“ im Notfall vom Rabattaustausch verschont werden können.

Hilfsstoffe Der Grund für die variierende Bioverfügbarkeit bei Tabletten liegt in den produktionsbedingten Unterschieden der Rezeptur. Abgesehen vom Wirkstoff, der bei Generika in der gleichen Menge verarbeitet sein muss, werden andere Hilfsstoffe verwendet. Diese dienen nicht nur zur Vergrößerung der Tablette auf ein bestimmtes Volumen. Bei der Produktion, die möglichst schnell und wirtschaftlich sein soll, gibt es bestimmte physikalische Kräfte, die eine schnelle Pressung erschweren bis unmöglich machen würden. Vor allem das Verfahren der Direkttablettierung ist betroffen, welches den geringsten Arbeitsaufwand mit sich bringt.

Es wird gerne eingesetzt, wenn der Wirkstoff bestimmte Fließeigenschaften und geeignete Bindungskräfte aufweist. Dabei werden pulverförmige Stoffe ohne Vorbehandlung oder auch nach Granulierung in eine Form gegeben und gepresst. Der sogenannte FST-Komplex soll dabei den reibungslosen Ablauf garantieren: Hochdisperses Siliciumdioxid sorgt als Fließregulierungsmittel für eine bessere Dosiergenauigkeit. Schmiermittel wie Zinkstearat oder Polyethylenglykol 6000 verringern die Reibung der Presse. Auch Trennmittel wie das ölig erscheinende Magnesiumstearat sind wichtig, damit die Tablette nicht in der Form kleben bleibt. Ein wirtschaftlicher Nachteil dieser Methode ist allerdings der hohe Preis der benötigten Hilfsstoffe und eine geringere Festigkeit der Tablette.

Pharmazeutisch gesehen ist diese Eigenschaft als Vorteil zu sehen. Eine geringere Festigkeit bedeutet auch einen schnelleren Tablettenzerfall im Körper und somit eine schneller eintretende Wirkung. Weiterhin werden für die Tabletten Füllmittel benötigt. Gängige Stoffe sind Cellulose, Stärke und Saccharose, ein Disaccharid aus Glucose und Fructose. Auch Lactose kommt häufig als Füllmittel vor und führt zu Beratungsbedarf. Bei Lactoseintoleranz sollten pharmazeutische Bedenken angewendet werden. Auch wenn die täglich eingenommene Menge als unbedenklich gilt, kann die Compliance stark darunter leiden. Der Patient soll täglich etwas zu sich nehmen, was er ansonsten meidet.

Das führt zu Verunsicherung. Weiterhin sind Bindemittel wichtige Hilfsstoffe. Es werden Stärke, Pektine oder Traganth eingesetzt. Wichtig für die Produktion ist ein gutes Gleichgewicht zu finden. Es muss genug Bindemittel für die Widerstandsfähigkeit und somit Haltbarkeit der Tablette genutzt werden. Gleichzeitig sollte ein Minimum genügen, um den Zerfall der Tablette im Körper und somit den Wirkeintritt nicht unnötig hinauszuzögern. Die Darreichungsform der Tablette bietet zwar wenig Raum für grobe Anwendungsfehler, aber trotzdem einiges an Beratungsmöglichkeiten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/2020 ab Seite 24.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

Was Sie schon immer wissen wollten …

Falls Sie Fragen zur Galenik von Fertigarzneimitteln oder zu Rezepturen haben, gibt es in dieser Reihe die Möglichkeit sie zu stellen. Schreiben Sie uns – wir greifen das Thema auf.

Umschau Zeitschriftenverlag GmbH,
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Tara Boehnke,
Marktplatz 13,
65183 Wiesbaden oder per Mail an ts.boehnke@uzv.de

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