© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Infantile Cerebralparese

FRÜHKINDLICHE SPASTIK

Kinder mit einer infantilen Cerebralparese leiden unter Bewegungs- und Haltungsstörungen, die aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung entstehen. Allerdings existiert kein einheitliches Beschwerdebild.

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Der Orthopäde William John Little bezeichnete die infantile Cerebralparese (ICP) als „Little Disease“, aber so klein sind die Probleme nicht: Bei der ICP handelt es sich um eine Schädigung des Gehirns, die in der Schwangerschaft (pränatal), bei der Geburt (perinatal) oder in der danach folgenden Phase (postnatal) eintritt. Sie geht mit Motorikproblemen und einem erhöhten Muskeltonus (Spastik) einher. Die Gefahr einer ICP besteht, wenn prä-, peri- oder postnatal ein Sauerstoffmangel vorliegt oder wenn es zu Hirnblutungen, Vergiftungen, Infektionen, Unfällen, Problemen mit der Nabelschnur oder zu Blutgruppenunverträglichkeiten kommt.

Beschwerden bei der ICPDie Folgen sind umso gravierender, je früher der Sauerstoffmangel auftritt. Infolge der gestörten Muskelan- und -entspannung leiden Betroffene häufig unter motorischen Auffälligkeiten. Die Muskeln verkürzen sich durch die anhaltenden Bewegungsstörungen und Lähmungen und die Beweglichkeit an Armen und Beinen nimmt ab. Die spastische Muskulatur kann in der Regel nicht mit dem normalen Muskelwachstum mithalten, sodass die Muskelverkürzungen zusätzlich gefördert werden. Die Antagonisten der verkürzten Muskulatur hingegen sind häufig überdehnt und schwach.

Zu den weiteren Symptomen zählen Seh-, Wahrnehmungs- und Koordinationsstörungen, abnorme Reflexe, eine verlangsamte Sprachentwicklung, unwillkürliche Bewegungsabläufe sowie eingeschränkte motorische Fähigkeiten. Zusätzlich leiden Kinder mit ICP oft unter Krampfanfällen (Epilepsie), Verhaltensauffälligkeiten, Lernbehinderungen oder einer verminderten Intelligenz. Häufig erkennt man sie auch an körperlichen Beeinträchtigungen wie Skoliosen, Hüftluxationen oder einem Spitzfuß. Letzterer entsteht, wenn die Achillessehne stark verkürzt ist. Die spastischen Lähmungen führen dazu, dass die Sprösslinge nicht ohne Hilfe gehen oder komplexe Bewegungen ausführen können, außerdem haben sie häufig Versteifungen zur Folge.

Eine multimodale Frühförderung der betroffenen Kinder umfasst Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, aber auch den Einsatz von Medikamenten.

Hintergrundwissen Die Störungen lassen sich in verschiedene Syndrome kategorisieren: Spastische Syndrome: Sie gehören zu den häufigsten Beschwerden einer ICP, die Muskeln sind stark angespannt und verkrampfen. Bei den Spastiken unterscheidet man die Hemiparese (einseitige Lähmungen und Dyskinesien), Diparese (beidseitige Lähmungen, die Beine sind stärker betroffen) sowie die Tetraparese (beidseitige Lähmungen, die Arme sind stärker betroffen, Sprech- und Schluckstörungen, häufig geistige Behinderungen). Hypotonie-Syndrome: Sie zeigen sich durch eine reduzierte Muskelspannung, während die Gelenke überstreckt sind. Betroffene sind meist geistig behindert, teilweise leiden sie unter Epilepsie.

In der Regel ist das Kleinhirn beeinträchtigt. Kongenitale Ataxie-Syndrome: Auch bei dieser Störung ist das Kleinhirn geschädigt, sodass Bewegungseinschränkungen auftreten. Bei willkürlichen Bewegungen zittern die Kinder oft (Intentionstremor). Die verminderte Muskelspannung führt nicht selten zu beidseitigen Lähmungen. Dyskinetische Syndrome: Hierbei wechseln sich ein gesteigerter und ein reduzierter Muskeltonus ab und es kommt in den Gliedmaßen zu spastischen Lähmungserscheinungen. Patienten bleiben aus motorischer Sicht auf dem Stand eines Kleinkindes und führen mitunter unkontrollierte, krampfartige Bewegungen durch.

Diagnostik Der Arzt führt zunächst ein Anamnesegespräch mit den Eltern, untersucht das Kind gründlich und stellt den aktuellen Entwicklungsstand fest. Er überprüft die Koordination der Bewegungen sowie die Beweglichkeit der Gelenke, bevor er eine Röntgenuntersuchung zur Betrachtung des Knochenwachstums veranlasst. Bei der körperlichen Untersuchung achtet er auch auf Spitzfußstellungen, Streck- oder Überkreuzungstendenzen der Extremitäten, Steifheit, Schlaffheit sowie das Einnehmen einer asymmetrischen Haltung. Weitere Verfahren sind die Sonografie, die Magnetresonanztomografie, die Liquorpunktion, die Elektroenzephalografie sowie weitere spezielle Laboruntersuchungen (Blut- und Urinbefunde).

Frühförderung der Kinder Die Behandlung der ICP sollte am besten multimodal erfolgen und verschiedene Elemente wie die Logopädie, die Ergotherapie, Krankengymnastik, Physiotherapie sowie eine medikamentöse Therapie (Benzodiazepine oder Muskelrelaxanzien) beinhalten. Es ist wichtig, kontinuierlich am Muskelaufbau zu arbeiten, damit die Fähigkeiten bestehen bleiben. Auch augen- und ohrenärztliche sowie orthopädische (Gipsverbände oder Schienen) Maßnahmen tragen zu einer Verbesserung der Beschwerden bei. Durch operative Verfahren können Verrenkungen oder Fehlbildungen korrigiert werden, sodass sie Bewegungsfähigkeit erhalten bleibt.

Die Muskulatur wird verlängert oder verlagert, im Anschluss sind eine Immobilisation (10 bis 14 Tage) sowie eine sechswöchige Rehabilitation erforderlich. Mit sechs Jahren gilt eine Operation als ideal, weil Kinder in dem Alter bereits bei der Rehabilitation gut mitarbeiten, da sie ein erstes Verständnis dafür haben, warum der Eingriff für sie bedeutsam ist. Zu den orthopädischen Operationen zählen korrigierende knöcherne Umstellungen an Ober- und Unterschenkel, Hüfte und Fuß, Muskelursprungsverlagerungen (Sehnentransfers), perkutane Myofasziotomien (minimalinvasive Muskel- und Faszienverlängerung) sowie minimalinvasive Wachstumslenkungen zur Verbesserung der Hüftzentrierung.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 07/2020 ab Seite 116.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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