© Mopic / fotolia.com

Seltene Erkrankungen von A bis Z

FIBRODYSPLASIA OSSIFICANS PROGRESSIVA

FOP ist extrem selten. Weniger als eine von einer Millionen Personen erkrankt daran. Bei Betroffenen verwandelt sich unaufhaltsam immer mehr Muskel- und Bindegewebe in Knochen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Bei der Geburt scheint noch alles normal zu sein, nur die großen Zehen sind fast immer verkürzt und verdreht. Doch bereits in den ersten Lebensjahren macht sich die Krankheit bemerkbar. Betroffene erleiden zunächst vor allem im Rücken- und Nackenbereich schmerzhafte, entzündliche Schwellungen, die sich nach einigen Tagen bis Wochen wieder zurückbilden. In vielen Fällen allerdings hat sich dann das Muskelgewebe in Knochen umgewandelt.

Progredienter Verlauf Nicht nur Muskeln sind betroffen, sondern auch Bindegewebe, Sehnen, Bänder, Faszien und Apoenurosen können zu Knochen werden. Typischerweise beginnt die Krankheit im Schulter- und Nackenbereich und breitet sich von dort über den Rumpf zu den Beinen und zu den Gliedmaßen hin aus.

Dabei treten die als „Flare-ups“ bezeichneten Schwellungen einerseits spontan auf, andererseits werden sie durch Verletzungen getriggert. Dazu gehören stumpfe Traumata wie Prellungen nach Zusammenstößen oder Stürzen, intramuskuläre Injektionen für Impfungen sowie virale Infekte. Durch die Bildung des zusätzlichen heterotropen Knochens entsteht eine Art unbeweglicher Panzer, der zunehmend eingeschränkt. Dabei können die Geschwindigkeit und auch das räumliche Muster der Ausbreitung individuell variieren.

Mit rund 20 Jahren sind die meisten Betroffenen jedoch auf einen Rollstuhl und permanente Betreuung und Unterstützung angewiesen. Neben den großen Zehen sind bei vielen Patienten außerdem die Daumen verkürzt. Nicht selten sind auch Fehlbildungen an den Halswirbelkörpern. Schwierig wird es, wenn sich das Kiefergelenk nicht mehr bewegen lässt, weil dann die Gefahr einer Mangelernährung besteht. Komplikationen entstehen vor allem durch die zunehmende Unbeweglichkeit des Brustkorbs, die eine verminderte Belüftung der Lunge und in der Folge Lungenentzündungen nach sich zieht. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Patienten mit FOP beträgt etwa 40 Jahre.

Ursache Gendefekt Vor etwa zehn Jahren ist es Wissenschaftlern gelungen die Ursache der FOP zu identifizieren: Es ist eine Mutation im Gen ACVR1 auf dem langen Arm des Chromosoms 2. Durch sie wird an einer bestimmten Stelle in dem Activin-Rezeptor Typ 1A eine falsche Aminosäure – ein Histidin statt eines Arginins – eingebaut. Diese Mutation konnte in allen Patienten mit klassischer FOP nachgewiesen werden. Bei ganz seltenen nicht klassischen Verläufen wurden andere Mutationen, aber ebenfalls im gleichen Bereich des Proteins, gefunden.

BEHANDLUNG
Eine ursächliche Therapie existiert bislang nicht. Doch aufgrund der Fortschritte in der Erforschung
der Krankheit besteht Hoffnung, dass sich dies in Zukunft ändern könnte. Derzeit läuft eine klinische
Studie der Phase II mit einem Wirkstoff, der in Mausmodellen der FOP die Krankheit positiv beeinflusst hat. Akute Flare-ups werden mit hochdosierten Kortikosteroiden behandelt, um die Entzündungen einzudämmen. Essenziell ist es, jede Form von Verletzung, sei es im täglichen Leben, sei es beim Arzt, etwa durch intramuskuläre Injektionen, zu vermeiden.

Bei dem betroffenen Protein handelt es sich um einen Rezeptor für das Bone Morphogenetic Protein (BMP) Typ 1, der unter anderem im Skelettmuskel vorkommt. Beide, BMP und Rezeptor, sind an der embryonalen Entwicklung des Skeletts beteiligt. Nachdem diese abgeschlossen ist, wird der Rezeptor normalerweise abgeschaltet, sodass kein weiterer Knochen entsteht. Genau dieses dauerhafte Abschalten jedoch scheint durch die Mutation bei Patienten mit FOP nicht mehr zu funktionieren – es bildet sich immer wieder neuer Knochen. Zahlreiche Erkenntnisse weisen zudem darauf hin, dass das angeborene Immunsystem in einer noch nicht näher verstandenen Weise an der Erkrankung beteiligt ist.

Diagnose Aufgrund der extremen Seltenheit der FOP erhalten fast alle Patienten zunächst eine Fehldiagnose. Meist werden die Symptome zunächst für eine aggressive Form der juvenilen Fibromatose, Lymphödeme oder Sarcome gehalten. Dies stellt vor allem deshalb ein Problem dar, weil vielfach diagnostische Biopsien entnommen werden, die ihrerseits das Gewebe verletzten und zur Entstehung von weiterem Knochen führen. Versuche, das veränderte Gewebe chirurgisch zu entfernen, führen zu zusätzlicher Verschlechterung. Die Diagnose wird klinisch und mithilfe von Röntgenaufnahmen gestellt. Mittlerweile ist auch eine genetische Analyse verfügbar.

Epidemiologie Die FOP ist unabhängig von Geschlecht, Rasse, ethnischem Hintergrund und geografischer Lage. In aller Regel treten die Mutation und damit die Erkrankung spontan auf. In Einzelfällen wurde ein autosomal-dominanter Erbgang beschrieben. Da die Krankheit jedoch so schwer verläuft, haben Betroffene fast nie Kinder.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 08/15 ab Seite 88.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

×