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Pflanzliche Inhaltsstoffe

ES MUSS HELFEN UND NICHT SCHMECKEN

Eltern greifen gerne auf diese Weisheit zurück, wenn sich Kinder weigern ihre bittere Medizin zu nehmen. Dabei hören die lieben Kleinen nur auf einen uralten Überlebensinstinkt, der sich bewährt hat.

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Bitterstoffe und der mit ihnen einhergehende bittere Geschmack bilden einen wichtigen Verteidigungsmechanismus in der Pflanzenwelt. Bestimmte Pflanzen haben einen Nutzen daraus gezogen, dass für die meist bitter schmeckenden hochtoxischen Substanzen bei höheren Lebewesen ein eigener Geschmacksrezeptor entwickelt wurde. Im Gegensatz zu süß, sauer, salzig und umami wurden beim Menschen sogar 25 Subtypen ausgebildet, um die chemisch gesehen heterogene Gruppe der Bitterstoffe erkennen zu können.

Abgesehen von den Bitterrezeptoren im Mund sind diese weiterhin im Magen und den Atemwegen inklusive der Nase zu finden. Die Vielfältigkeit an Subtypen macht das Erkennen von Bitterstoffen aber auch fehleranfällig. Eigentlich entwickelt um Substanzen wie verschiedene Alkaloide oder Herzglykoside zu erkennen, werden auch andere Strukturen als bitter empfunden. Heutzutage stehen allerdings andere Methoden zur Verfügung als nur der Geschmackstest. Pflanzen werden in Familien und Ordnungen unterteilt und ihre Inhaltsstoffe eindeutig identifiziert.

Somit kann sehr genau gesagt werden, welche Pflanzen es zu meiden gilt und welche nicht. Pflanzenarten, die sich diesen Schutzreflex ihrer Fraßfeinde zu Nutze gemacht haben, ohne toxische Inhaltsstoffe zu enthalten, wurden entlarvt. Der Mensch hat nicht nur diesen Trick durchschaut, sondern auch positiven Nutzen für sich gezogen, den diese Stoffe für den Organismus haben. Trotz des Wissens um die Ungefährlichkeit und der sogar gesundheitsfördernden Wirkung auf unseren Körper ist der Mensch vorsichtig geblieben und hört auf seine Urinstinkte.

Insbesondere Kinder und Jugendliche meiden bittere Lebensmittel. Erst mit der Zeit gewöhnen sie sich an den Geschmack von Kaffee, Grapefruit oder Chicorée und nehmen diese Lebensmittel freiwillig zu sich. Auch die Industrie hat sich an den Geschmackssinn angepasst und aus vielen Gemüsesorten wurden Bitterstoffe herausgezüchtet. Nur die Medizin weiß den Nutzen noch zu schätzen. Präparate mit bitterem Geschmack haben sich in der Offizin bewährt und werden täglich bei Verdauungsbeschwerden in der Apotheke empfohlen.

Einteilung und Bitterwert Wie erwähnt bilden Bitterstoffe eine sehr heterogene Substanzgruppe. Sie werden nur durch ihren bitteren Geschmack und ihre gute Wasserlöslichkeit vereint. Um trotz der chemischen Vielfältigkeit ein Maß anlegen zu können, wurde der Bitterwert etabliert. So ist es möglich, eine quantitative Bitterwertbestimmung durchzuführen. Der Bitterwert ist definiert als der reziproke Wert jener Verdünnung, in der der Auszug von einem Gramm einer Droge eben noch bitter schmeckt. Als Vergleichswert dient Chininhydrochlorid.

Mit einem Bitterwert von 200 000 sorgt es also dafür, dass ein Gramm in 200 000 Gramm Wasser, was 200 Litern entspricht, so eben noch bitter schmeckt. Ebenso ist es chemisch möglich, verschiedene Strukturen zu definieren, die besonders häufig bei Bitterstoffen vorkommen. Grundbaustein dieser Strukturen bildet wie bei anderen Substanzgruppen, wie den Saponinen oder ätherischen Ölen auch, das Isopren. Eine wichtige Gruppe, die sich daraus ergibt, sind die Iridoide. Als der Vertreter dieser Gruppe mit dem höchsten Bitterwert gilt Amarogentin.

Mit einem Bitterwert von 58 Millionen gibt er unter anderem der Enzianwurzel den bitteren Geschmack. Die ebenfalls im Enzian zu findende Abwandlung Swertiamarin trägt mit einem Bitterwert von 12 000 nur leicht zur bitteren Wirkung bei. Eine weitere Gruppe bilden die Sesquiterpenlactone. Zu finden sind diese Vertreter vorzugsweise in der Familie der Asteraceae. Ein Beispiel dieser stark bitteren Gruppe ist das Absinthin mit einem Bitterwert von 12 Millionen, zu finden im Wermutkraut.

Eingedampft
+ Zu den bitterstoffhaltigen Drogen (Amara) zählen nur die, die bitter schmecken und bei denen keine anderen pharmakologischen Wirkungen im Vordergrund stehen.
+ Amara werden wegen ihres intensiv bitteren Geschmacks zur Stimulierung der Speichel-, Magensaft- und Gallensaftsekretion verwendet.
+ Die Einnahme sollte zirka 30 Minuten vor dem Essen erfolgen und zwar ohne die Anwendung von Geschmackskorrigenzien oder sonstige Umgehung des bitteren Geschmacks. Nur Verdünnen ist erlaubt.
+ Quantitativ werden Bitterstoffe durch den Bitterwert eingeordnet. Es ist der reziproke Wert einer Verdünnung, in der der Auszug von einem Gramm Droge eben noch bitter schmeckt.

Pharmakologie Bitter schmeckende Drogen, bei denen andere pharmakologische Wirkungen im Vordergrund stehen, wie beispielsweise die Chinarinde oder die Herzglykoside, gehören nicht in diese Gruppe. Die wichtigste pharmakologische Wirkung der Amara ist der Einfluss auf den Magen-Darm-Trakt. Die Speichel- und Magensaftsekretion werden angeregt. Die Gastrinsekretion wird sogar um bis zu 30 Prozent erhöht. Der Muskeltonus der glatten Magen-Darm-Muskulatur und somit die Motilität werden angeregt.

Die Verdauung wird gesteigert, wodurch der Magen schneller entleert wird. Kontraindiziert ist der Einsatz von Bitterstoffen allerdings bei Magen- und Zwölffingerdarm-Geschwüren. Um die bestmögliche Wirkung zu erzeugen, sollten bitterstoffhaltige Präparate möglichst 20 bis 30 Minuten vor dem Essen eingenommen werden.

Auch wenn Bitterstoffrezeptoren im Magen-Darm-Trakt zu finden sind, entsteht der wichtigste Auslöser über die reflektorische Wirkung der Geschmacksrezeptoren. Die Gabe der Bitterstoffe sollte daher möglichst über Tropfen oder Tees erfolgen. Kapseln eignen sich weniger für die Applikation dieser Wirkstoffgruppe und auch von der Anwendung von Geschmackskorrigenzien sollte abgeraten werden.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 04/2022 ab Seite 52.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

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