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PTA-Fortbildung 02/14

ENZYME: DIE ZÜNDKERZEN DES STOFFWECHSELS

Enzyme sorgen dafür, dass bei uns überhaupt etwas funktioniert. Sie katalysieren unzählige Stoffwechselreaktionen, die ohne ihre Hilfe in lebenden Zellen zu langsam oder gar nicht ablaufen könnten.

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Bereits im beginnenden 18. Jahrhundert ahnte man, dass in lebenden Organismen eine Art Katalyse stattfindet. Louis Pasteur postulierte 1850, dass die Umwandlung von Zucker in Alkohol durch so genannte Fermente katalysiert wird, die in lebenden Hefezellen vorkommen. Der heutige Name Enzym erinnert noch daran.

Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „aus Hefe“. Inzwischen weiß man, dass ohne Enzyme ein Leben, so wie wir es kennen, gar nicht möglich wäre. Für viele Reaktionen, die in unseren Zellen ablaufen, fehlt bei Körpertemperatur nämlich die nötige Aktivierungsenergie. Damit trotzdem die gewünschten und benötigten Stoffwechselprodukte entstehen, braucht die Zelle Biokatalysatoren. Diese Aufgabe übernehmen die Enzyme, die so die Abläufe in der Zelle steuern und kontrollieren.

Enzymklassen Der Name setzt sich in den meisten Fällen aus der Bezeichnung des Stoffes, der vom Enzym umgesetzt wird, der vom Enzym katalysierten Reaktion und der Endung -ase zusammen. So kann man beispielsweise aus dem Namen Alkoholdehydrogenase ablesen, dass dieses Enzym Alkohole dehydrogeniert und damit zum Aldehyd oxidiert. Die Acetylcholinesterase spaltet die Estergruppierung im Acetylcholin, während die Adenylat-Cyclase aus Adenosinmonophosphat cyclisches Adenosinmonophosphat macht (cAMP). Nur einige schon seit längerer Zeit bekannten Enzyme, wie Pepsin, Trypsin, Lysozym oder Renin haben ihre ursprünglichen Trivialnamen behalten.

Insgesamt unterscheidet man nach der international gültigen Klassifizierung sechs Reaktionsklassen von Enzymen. Zu den Oxidoreduktasen gehören die Dehydrogenasen, Oxidasen und Reduktasen. Sie übertragen Elektronen, katalysieren also Oxidationen oder Reduktionen. Die Transferasen übertragen chemische Gruppen. Zu ihnen gehören neben den Acetyl-, Methyl- und Aminotransferasen auch die Kinasen und Polymerasen.

Enzyme als Arzneistoffe
Die Enzyme Bromelain und Trypsin werden auch in Kombination mit Rutosid wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung unterstützend bei der Behandlung von Entzündungszuständen, beispielsweise bei Venenentzündungen, verschleißbedingten Gelenkentzündungen oder aber als Folge einer Verletzung, eingesetzt.

Hydrolysen, also Spaltungen unter Wasseranlagerung, werden von den Hydrolasen, wie zum Beispiel den Esterasen, Proteasen, ATPasen oder Glucosidasen katalysiert. Lyasen dagegen spalten chemische Gruppen nichthydrolytisch ab. Zu ihnen zählen die Decarboxylasen und die Hydratasen. Für den Transfer von chemischen Gruppen innerhalb eines Moleküls sind die Isomerasen verantwortlich. Bekannt sind Racemasen und Epimerasen. Die letzte Klasse bilden die Ligasen. Sie knüpfen energieabhängig C-C, C-S, C-O oder C-N-Bindungen. Eine Untergruppe sind die Synthetasen.

Apo-, Co- und Holoenzym Ein vollständiges Enzym mit all seinen reaktiven Gruppen wird als Holoenzym bezeichnet. Es besteht in der Regel aus einem Proteinanteil, der Apoenzym genannt wird, und weiteren Cofaktoren. Dies sind entweder Metallionen oder häufiger niedermolekulare, organische Moleküle. Sind diese fest, also durch kovalente Bindungen, an den Proteinanteil gebunden, nennt man sie prosthetische Gruppe. Sind sie jedoch nur durch intermolekulare Kräfte, wie Wasserstoffbrückenbindungen, an das Apoenzym gebunden, bezeichnet man sie als Coenzym.

Entweder oder – in jedem Fall erfüllen sie die katalytische Funktion des Enzyms. Sie stellen die funktionellen Gruppen zur Verfügung, die für die Enzymreaktion benötigt werden, und befinden sich im aktiven Zentrum des Enzyms. Dieses aktive Zentrum kann man sich als eine dreidimensionale spalt- oder höhlenförmige Region aus verschiedenen Abschnitten der Proteinkette vorstellen. Es stellt nur einen relativ kleinen Teil des gesamten Enzymmoleküls dar. Die meisten Aminosäurereste des Enzyms kommen gar nicht mit dem Substrat in Kontakt.

Die enzymatische Katalyse Der erste Schritt einer Enzymreaktion ist stets die Bildung eines Komplexes zwischen dem Enzym und seinem Substrat. Als Substrat wird dabei die Ausgangssubstanz, die vom jeweiligen Enzym umgesetzt werden soll, bezeichnet. Die Bindung geschieht im aktiven Zentrum des Enzyms, der Komplex wird vorübergehend durch kovalente Bindungen, Wasserstoffbrückenbindungen oder Van-der-Waals-Kräfte stabilisiert.

Enzyme sind dabei sehr spezifisch, sowohl was das Substrat als auch die Art der Reaktion angeht. Das heißt, ein bestimmtes Enzym kann normalerweise nur mit einem ganz bestimmten Substrat oder chemisch eng verwandten Substraten in Wechselwirkung treten, da nur diese in das aktive Zentrum passen. Sehr anschaulich erklärt wird die Substratspezifität durch das Modell des Schlüssel-Schloss-Prinzips.

Das Substrat passt in das aktive Zentrum des Enzymmoleküls wie ein Schlüssel in sein Schloss. Außerdem kann nur eine bestimmte Reaktion katalysiert werden. Diese Wirkungspezifität hat den Vorteil, dass im Normalfall keine unerwünschten Nebenreaktionen ablaufen und dadurch auch keine unnützen oder gar schädlichen Nebenprodukte entstehen. Der Enzym-Substrat-Komplex ist eine Art Übergangszustand, der bewirkt, dass die Aktivierungsenergie, die sonst für die gewünschte Reaktion nötig wäre, herabgesetzt wird. Damit wird die Reaktion beschleunigt oder in vielen Fällen bei Körpertemperatur überhaupt erst möglich.

Durch die Wechselwirkung zwischen Enzym und Substrat ändert sich die Konformation des aktiven Zentrums, also die räumliche Anordnung der Gruppen. Diese lagern sich noch enger an das Substrat an. Dadurch werden auch die Reaktionspartner, also die reaktiven Gruppen von Enzym und Substrat, dichter zusammengebracht. Die entstehenden Bindungen zwischen Enzym und Substrat liefern die Energie, die für die eigentliche Reaktion benötigt wird. Nun kann das Substrat zum Endprodukt reagieren.

Nach Abschluss der Reaktion lösen sich die Bindungen zwischen Enzym und Endprodukt wieder, denn das Endprodukt passt nun nicht mehr optimal ins aktive Zentrum. Es wird freigesetzt und das Enzym liegt wieder in seiner ursprünglichen Form vor. Es ist nun bereit, mit einem weiteren Substratmolekül zu reagieren.

Enzymaktivität Sie ist ein Maß für die Wirksamkeit eines Enzyms. Sie wird dadurch definiert, wie viel Substrat in einem bestimmten Zeitraum umgesetzt wird, spiegelt also die Reaktionsgeschwindigkeit der katalysierten Reaktion wider. Die Geschwindigkeit hängt zum einen von der Anzahl der Enzyme und der Menge an Substrat ab. Zum anderen haben aber auch die Temperatur und der pH-Wert einen großen Einfluss. So hat jedes Enzym ein Temperaturund ein pH-Optimum, bei dem seine Umsatzrate am höchsten ist.

Generell wirkt eine Erhöhung der Temperatur auf enzymatische und nichtenzymatische Reaktionen beschleunigend. Dies liegt daran, dass sich Moleküle bei steigender Temperatur schneller bewegen und die Chance, dass die Reaktionspartner aufeinander treffen, dadurch größer ist. Bei Temperaturen unter 0 °C laufen Reaktionen in biologischen Systemen so gut wie gar nicht ab.

»Vitamine sind häufig Bestandteil von Coenzymen.«

Erhöht man die Temperatur, werden die Reaktionen langsam beschleunigt. Etwa bei 37 °C erreicht die Geschwindigkeit der Enzymreaktionen in menschlichen Zellen ein Maximum, um bei weiter steigender Temperatur wieder abzufallen. Bei hohen Temperaturen verändert sich nämlich die Tertiärstruktur, also die räumliche Form des Enzyms irreversibel. Dies ist auch der Grund, warum man eine Körpertemperatur jenseits von 42 °C nicht lange überlebt. Die Proteinanteile der Enzyme denaturieren und die Enzyme können nicht mehr arbeiten, wodurch der Stoffwechsel zum Erliegen kommt.

Das pH-Optimum der verschiedenen Enzyme ist dem Wirkort angepasst und eng begrenzt. Der optimale pH-Wert liegt für die meisten Enzyme zwischen 6 und 8. Es gibt aber auch Ausnahmen, wie beispielsweise das Verdauungsenzym Pepsin, dass sich an das stark saure Milieu des Magens angepasst hat. Allgemein gilt: Im Alkalischen liegen zahlreiche negative Ladungen in Form von Carboxylationen im aktiven Zentrum vor. Die Bindung an positiv geladene Gruppen im Substrat wird so erleichtert. Im Sauren ist die Situation umgekehrt.

Weicht der pH-Wert deutlich vom Optimum des Enzyms ab, dann liegen zu viele negativ oder positiv geladene Gruppen vor, die die Bindung zum Substrat erschweren. Die Folge ist, dass die Reaktionsgeschwindigkeit sinkt. Außerdem kann sich die Raumstruktur des Enzyms ändern, was ebenfalls zu Lasten seiner Aktivität geht.

Enzymhemmung und -aktivierung Einige Substanzen können selektiv bestimmte Enzyme inaktivieren. Dieser Effekt kann reversibel oder irreversibel sein. Es hängt unter anderem davon ab, ob die Substanz sich stabil und dauerhaft oder über schwache Wechselwirkungen und nur vorübergehend an das Enzym bindet. Ähnelt ein Stoff chemisch dem Substrat, so kann er mit ihm um den Platz im aktiven Zentrum des Enzyms konkurrieren. Er kann dort als Hemmstoff oder Inhibitor zwar gebunden, aber nicht umgesetzt werden.

Allergien durch Enzyme?
Auch bei der Nahrungsmittelherstellung (Käse, Brot, Wein) werden Enzyme verwendet. Körperfremde Enzyme können vom Körper als Fremdeiweiße erkannt werden und kommen dann als potenzielle Allergene in Betracht. Oral ausgelöste allergische Reaktionen durch Enzyme sind offenbar relativ selten, von Bedeutung ist jedoch die berufsbedingte, inhalative Sensibilisierung beispielsweise bei Bäckern. Hier spielt die alpha-Amylase, vorwiegend aus A. oryzae gewonnen, eine wesentliche Rolle. Mehr als 20 Prozent der Bäcker zeigen eine Sensibilisierung durch das stärkespaltende Enzym.

Wird er reversibel gebunden, spricht man von einer kompetitiven Hemmung. Diese kann durch Erhöhung der Substratkonzentration aufgehoben werden. Bekannt sind aber auch Hemmstoffe, die irreversibel an das aktive Zentrum binden und damit verhindern, dass sich ein Enzym-Substrat-Komplex bildet. Man bezeichnet dies als nicht-kompetitive Hemmung.

Wieder andere binden an eine andere Stelle im Enzym, die man als allosterisches Zentrum bezeichnet und verhindern durch Konformationsänderungen, die sich durch das ganze Enzym bis hin zum aktiven Zentrum erstreckt, das Andocken oder die Umsetzung des Substrates. Dies ist auch eine Variante der nichtkompetitiven Hemmung und wird als allosterische Hemmung bezeichnet. Umgekehrt kennt man auch eine allosterische Aktivierung. Der Aktivator bindet an ein allosterisches Zentrum und stabilisiert dadurch die Konformation im aktiven Zentrum, wodurch die Enzymaktivität gesteigert wird.

Enzyminduktion Die vermehrte Bildung von Enzymen durch verstärktes Ablesen der entsprechenden Gene (Transkription) wird als Enzyminduktion bezeichnet. Die Enzyme, die an der Biotransformation beteiligt sind, bilden eine Art metabolische Barriere, die den Organismus vor Fremdstoffen schützen soll. Die überwiegende Zahl von Fremdstoffen ist potenziell giftig, daher ist es notwendig, sie schnell zu eliminieren oder in eine ausscheidungsfähige Form zu überführen.

Je nachdem mit welchen Mengen an Fremdstoffen der Körper in Berührung kommt, variiert auch der Bedarf an Enzymen. Daher wurde im Rahmen der Evolution ein Mechanismus entwickelt, der die Enzymmenge dem Bedarf anpasst. Geregelt ist dies über Rezeptoren, die den Fremdstoff erkennen und die Transkription in den entsprechenden Genen steigern, sodass mehr von den benötigten Enzymmolekülen gebildet wird. Die Enzyminduktion ist auch die Basis für die pharmakokinetische Toleranz, also die notwenige Dosissteigerung durch vermehrten Abbau eines Arzneistoffs nach längerer Einnahme.

Isoenzyme Enzyme, die die gleiche Reaktion katalysieren, sich aber strukturell, genauer in ihrer Primärstruktur, also ihrer Aminosäuresequenz unterscheiden, nennt man Isoenzyme. Sie sind vermutlich durch Mutationen entstanden. Meist besitzen sie eine unterschiedliche Affinität zum Substrat, manchmal nutzen sie auch verschiedene Cofaktoren oder reagieren auf unterschiedliche inhibitoren oder Aktivatoren, ihr Reaktionsprodukt ist jedoch immer identisch.

Sie sind für die Feineinstellung des Stoffwechsels sehr wichtig, denn so können die Enzymreaktionen in den verschiedenen Geweben an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden. Man kennt zum Beispiel fünf verschiedene Lactatdehydrogenasen, die sich an den Verhältnissen der Herz- und der Skelettmuskulatur orientieren. Ein weiteres Beispiel ist die Glucokinase. Sie kommt in der Leber und der Bauchspeicheldrüse vor und ist ein Isoenzym der Hexokinase. Im Gegensatz zu anderen Hexokinasen wird sie allerdings nicht durch ihr Endprodukt Glucose-6-Phosphat gehemmt. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Glykogensynthese.

Enzymmangel Durch genetische oder erworbene Faktoren kann es zu einer verminderten oder gar fehlenden Enzymproduktion und damit zu einem Mangel kommen. Treten klinische Symptome oder Beschwerden auf, spricht man von einer Enzymopathie. Je nachdem, um welches Enzym es sich handelt, können die Beschwerden leicht bis lebensbedrohlich sein.

Eine zwar seltene, aber dennoch relativ bekannte Enzymopathie ist die Phenylketonurie. Man findet sie bei einem von 10 000 Neugeborenen. Durch einen ererbten Defekt fehlt das Enzym Phenylalaninhydroxylase, das die in allen Eiweißen vorkommende Aminosäure Phenylalanin zu Tyrosin umbaut. Dadurch kommt es zu einer Vermehrung von Phenylalanin in sämtlichen Körpergeweben.

Der Name Phenylketonurie kommt daher, dass man im Urin von Erkrankten andere Abbauprodukte des Phenylalanins, nämlich unter anderem das Phenylketon, findet, was bei Stoffwechselgesunden nicht vorkommt. Diagnostiziert wird die Erkrankung in aller Regel im Rahmen eines Neugeborenenscreenings, das am dritten Lebenstag zusammen mit der Vorsorgeuntersuchung U2 durchgeführt wird. Man misst dabei die Menge von Phenylalanin im Blut.

Da Phenylalanin und Tyrosin essenzielle Aminosäuren sind, reicht es nicht, auf Ersteres in der Nahrung zu verzichten. Bei der lebenslang durchzuführenden Therapie muss der Patient ein phenylalaninfreies und tyrosinangereichertes Aminsoäurengemisch zu sich nehmen. Er darf nur sehr wenig natürliches Eiweiß essen, eben gerade so viel, wie der Körper verarbeiten kann. Nur bei der unbehandelten Erkrankung treten Symptome auf. Etwa drei bis fünf Monate nach der Geburt kommt es zu ersten Anzeichen von Entwicklungsstörungen.

Ohne Gegenmaßnahmen verzögert sich die körperliche und geistige Entwicklung deutlich, Schädel und Gehirn sind zu klein. Auch epileptische Anfälle durch die Hirnschäden sind möglich. Da Tyrosin fehlt, welches die Ausgangssubstanz für die Melaninsynthese ist, sind Erkrankte sehr hellhäutig und meist weißblond. Rechtzeitig und konsequent behandelt entwickeln sich die betroffenen Kinder allerdings völlig normal.

Ein sehr häufig vorkommender Enzymmangel ist die Laktoseintoleranz. Etwa 5 bis 15 Prozent aller Nordeuropäer vertragen keinen Milchzucker. In der Mittelmeerregion sind sogar 60 bis 85 Prozent der Menschen betroffen. In den USA findet man die Laktoseintoleranz bei der weißen Bevölkerung in 10 bis 20 Prozent, bei der schwarzen Bevölkerung sogar in bis zu 80 Prozent. Ähnlich ist es bei Schwarzafrikanern und Asiaten, die zu über 90 Prozent keinen Milchzucker verwerten können.

Eigentlich ist es eher ungewöhnlich, als erwachsener Mensch Laktose zu vertragen, denn die Natur hat es eher nicht vorgesehen, dass erwachsene Säugetiere Milch trinken. Daher wird die Bildung des Enzyms Laktase, das von der Darmschleimhaut gebildet wird und den Milchzucker in Glukose und Galaktose spaltet, bei vielen Menschen nach der Kindheit eingestellt. So gesehen fällt es schwer, hier von einer Krankheit zu sprechen, es ist eher eine Veranlagung.


eine frau trinkt ein glas milch
Es ist eher ungewöhnlich, als erwachsener Mensch Laktose zu vertragen.

Wird die Laktose nicht gespalten, so kann sie nicht resorbiert werden und bleibt im Dünndarm. Dort zieht sie osmotisch bedingt größere Mengen Flüssigkeit an, was zu Durchfällen führt. Darmbakterien im Dickdarm zersetzen den Milchzucker dann so, dass Gase entstehen, die zu Blähungen mit Bauchkrämpfen führen. Die Therapie besteht in einer laktosearmen Ernährung oder der Gabe von Laktase. Da sich dieser Enzymmangel nur auf den Darm auswirkt, kann das Enzym einfach oral zum Essen substituiert werden.

Ein Beispiel für einen erworbenen Enzymmangel ist die exokrine Pankreasinsuffizienz, bei der nicht mehr genügend Verdauungsenzyme gebildet werden. Diese werden normalerweise von der Bauchspeicheldrüse in den Zwölffingerdarm abgegeben und spalten dort die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße.

Die häufigste Ursache für eine Pankreasinsuffizienz im Erwachsenenalter ist eine Schädigung der Bauchspeicheldrüse im Rahmen akuter oder chronischer Entzündungen. Durch das dabei untergehende Gewebe verliert das Organ zunehmend an Funktion. Die Folge ist eine unzureichende Verdauung mit Durchfällen, Blähungen und krampfartigen Bauchschmerzen. Festere Nahrungsbestandteile werden zum Teil unverdaut wieder ausgeschieden. Da auch die fettlöslichen Vitamine nicht mehr ausreichend resorbiert werden können, kann es zu einem Mangel dieser Vitamine mit den entsprechenden Folgen kommen. Für die Behandlung Arzneimittel mit dem Wirkstoff Pankreatin aus Schweinepankreas zur Verfügung. Pankreatin ist ein komplexes Gemisch aus Lipasen, Amylasen und Proteasen.

Enzyme im Alltag und in der Pharmazie Auch in Produkten, die im Haushalt verwendet werden, finden sich Enzyme. So werden zum Beispiel Waschmitteln Proteasen zugesetzt, die schon in geringen Mengen wasserunlösliche, eiweißhaltige Verschmutzungen, wie Blut, lösen können. Durch sie werden die Flecken schon bei geringer Temperatur entfernt. Auch in der medizinischen Diagnostik geht es vielfach um Enzyme. Erstellt der Arzt ein Blutbild, wird eine Reihe von Enzymen bestimmt. Anhand der Erniedrigung oder Erhöhung von Enzymaktivitäten können Rückschlüsse auf Erkrankungen bestimmter Organe gewonnen werden. Bei Diabetikern wird mithilfe von Enzymen die Blutzuckermessung durchgeführt. In Anwesenheit von Glukose kommt es zu einer enzymkatalysierten Farbreaktion. Anschließend wird photometrisch gemessen.

Auch zahlreiche Arzneistoffwirkungen beruhen auf Interaktionen mit Enzymen. Meist werden Enzyme gehemmt, seltener aktiviert. Wichtige Beispiele für Pharmaka, die Enzyme blockieren sind die nicht-opioiden Analgetika, die das Enzym Cyclooxygenase hemmen, die Monoaminoxidasehemmer (MAO-Hemmer), die bei Depressionen eingesetzt werden, die indirekten Parasympathomometika, welche die Cholinesterase blockieren, die Hemmer des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE-Hemmer), außerdem Inhibitoren der Hydroxy-Methyl-Glutaryl-Coenzym-A-Reduktase (HMGCoA- Reduktase-Inhibitoren) und die Phosphodiesterasehemmer. Zu den Arzneistoffen, die Enzyme aktivieren, zählen beispielsweise die Nitrate. Auch Fibrinolytika sind Enzymaktivatoren. Sie wandeln Plasminogen in Plasmin, eine Protease, um.

Cytochrom P450 Von ganz entscheidender Bedeutung für die Biotransformation von Arzneistoffen ist die große Familie der Cytochrom P450-Enzyme, abgekürzt einfach CYP genannt. Es sind evolutionsbiologisch gesehen sehr alte Enzyme, die in so gut wie allen Lebewesen auf der Erde vorkommen. Man schätzt, dass etwa 75 Prozent aller metabolischen Reaktionen an Arzneistoffen durch CYP katalysiert werden.

Als prosthetische Gruppe besitzen alle CYP ein Molekül Häm mit Eisen als Zentralatom. Damit können sie Sauerstoff aktivieren und auf das Substrat übertragen. Die Enzyme zählen daher zur Gruppe der Monooxygenasen. Nach ihrer Ähnlichkeit in der Aminosäuresequenz unterteilt man die zahlreichen CYP-Enzyme in Familien, Unterfamilien und einzelne Enzyme. Benannt werden sie nach der Bezeichnung CYP mit einer Zahl für die Familie, einem Buchstaben für die Unterfamilie und einer Nummer für das einzelne Enzym.

Früchte als Enzymlieferanten
Zu den besonders enzymreichen Lebensmitteln gehören Ananas und Papaya. Das Enzym Bromelain befindet sich hauptsächlich im Strunk der Ananas, Papain in der Schale und im Kern der Papaya. Beides sind Proteasen, spalten also Eiweiße. Allerdings halten sie der Magensäure nicht stand,
sie werden zersetzt, bevor sie den Darm erreichen. Als Arzneistoffe eingesetzt müssen die Zubereitungen magensaftresistent überzogen werden.

Am Metabolismus körperfremder Substanzen und Medikamente sind vor allem Mitglieder der Familien CYP1, CYP2 und CYP3 beteiligt. Die meisten Arzneimittel werden von CYP3A4 metabolisiert. CYP befinden sich am endoplasmatischen Retikulum im Zellinnern, beispielsweise in der Leber. Aber auch in der Lunge und im Darm sind relevante Konzentrationen gefunden worden. Im Darm sind die Enzyme mitverantwortlich für den First-Pass-Effekt.

Reversible Inhibitoren von CYP3A4 sind Azol-Antimykotika und HIV-Proteasehemmer sowie Grapefruitsaft. Rifampicin, Barbiturate, Carbamazepin und Johanniskrautextrakt induzieren die Genexpression von CYP3A4. Sie führen zu einer deutlich erhöhten Enzymaktivität und damit zu Interaktionen mit anderen Arzneistoffen, die über CYP3A4 abgebaut werden.

Pharmakogenetik Enzyme regeln die Abläufe im Körper. Sie legen nicht nur fest, wie und in welchem Umfang Fremdstoffe abgebaut werden, sie katalysieren ebenso den Aufbau von einzelnen Zellen und ganzen Organismen und bestimmen letztlich deren Eigenschaften und Fähigkeiten. Im Grunde sind die Enzyme aber nur diejenigen, die die Aufträge ausführen.

Ihre Anweisungen erhalten sie von der DNA. Hier ist der Bauplan jedes Enzyms, genauer gesagt des Eiweißanteils jedes Enzyms, festgelegt. Mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wurden Hoffnungen geweckt, diese Vorgänge restlos zu verstehen und in der Medizin für neue Therapien zu nutzen. Von letzterem ist man heute noch weit entfernt. Allerdings eröffnet die Kenntnis des Genoms die Möglichkeit, das Verhalten von Arzneistoffen unter dem Einfluss von genetischen Variationen zu untersuchen.

Man weiß schon lange, dass ein Arzneimittel nicht bei jedem Menschen gleich gut wirkt und dass es zahlreiche Nebenwirkungen gibt, die nicht bei jedem auftreten. Heute ist es möglich, anhand einer Genanalyse vorherzusagen, ob ein Arzneistoff bei einem bestimmten Menschen überhaupt wirkt, in welcher Dosis er gegeben werden muss und ob mit Nebenwirkungen zu rechnen ist. Denn jeder Mensch hat seine individuelle DNA und damit auch seine ganz eigene Enzymausstattung.

Auf dem Weg durch den Körper wird ein Arzneistoff zunächst resorbiert und über die Blutbahn verteilt, anschließend metabolisiert und schließlich ausgeschieden. An all diesen Prozessen sind Proteine, nämlich Rezeptoren und Enzyme beteiligt, die Wirkungen und Nebenwirkungen bestimmen, indem sie dafür sorgen, dass eine bestimmte Wirkstoffmenge an das Zielorgan gelangt beziehungsweise mit anderen Reaktionspartnern in Wechselwirkung tritt. All dies wird von Genen kodiert. Sie können Mutationen tragen und dadurch zu von der Norm abweichenden Reaktionen führen, was zu pharmakokinetischen Unterschieden führt.

Die Anzahl der Gene, die ein Enzym kodiert, legt die Metabolisierungsgeschwindigkeit fest. Normalerweise liegt auf beiden homologen Chromosomen je ein intaktes Gen für ein Enzym. Liegt in einem der beiden Gene eine Mutation vor, durch die das Enzym nicht richtig arbeiten kann und inaktiv ist, so ist die Enzymreaktion verlangsamt. Sind beide Genkopien mutiert, wird gar kein intaktes Enzym gebildet. Der betroffene Mensch wird als Poor Metabolizer bezeichnet.

Andererseits kann ein Gen durch Mutation auch dupliziert werden. Dann läuft die Reaktion schneller ab als im Normalfall. Man spricht in diesem Fall von einem Ultrarapid Metabolizer. Würde nun beispielsweise ein Prodrug von diesem Enzym aktiviert, dann müsste beim schnellen Metabolisierer die Dosis des Arzneistoffs reduziert werden, denn der aktive Metabolit wird sonst im Übermaß gebildet. Beim Poor Metabolizer könnte selbst eine erhöhte Dosis keine Wirkung zeigen.

Umgekehrt verhält es sich, wenn ein aktiver Wirkstoff verabreicht wird, der von den Enzymen inaktiviert und für die Ausscheidung vorbereitet wird. Hier muss der Poor Metabolizer die Dosis reduzieren und der Ultrarapid Metabolizer die Dosis erhöhen. All dies lässt sich heute aus einer Speichelprobe ablesen. Die Tests sind bereits in einigen ausgewählten Apotheken erhältlich und ermöglichen eine Therapie, die ganz individuell auf den einzelnen Patienten zugeschnitten ist.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/14 ab Seite 34.

Sabine Bender, Apothekerin / Redaktion

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