Ein Gemälde von einer Person in grauen Farben. Die Person hat keine Gesichtsmerkmale und keinen Gesichtsausdruck.© francescoch / iStock / Getty Images Plus
Antidepressiva nehmen den emotionalen Schmerz, manchmal jedoch auch einen Teil der Freude.

Emotionen

WIE ANTIDEPRESSIVA GEFÜHLE ABSTUMPFEN LASSEN

Weniger Trauer, aber auch weniger Freude: Forschende wollten wissen, was Antidepressiva bei den Emotionen ihrer Anwender*innen auslösen. Was sie herausfanden, erklärt nicht nur das emotionale Abstumpfen.

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Etwa eine von fünf bis eine von sechs Personen in Deutschland erkranken in ihrem Leben an einer Depression. Sie fühlen sich oft traurig, teilnahmslos und können keine Motivation aufbringen. Das lässt viele Betroffene verzweifeln. Antidepressiva sollen ihre Beschwerden lindern und es ihnen ermöglichen, wieder aktiver am Leben teilzuhaben.

Zwischen 40 und 60 Prozent der Anwender*innen berichten, dass sie sich nach Einnahme ihres Antidepressivums emotional abgestumpft fühlen. Insbesondere bei der Substanzklasse der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) kommt es zum sogenannten Emotional Blunting. Professor Dr. Barbara Sahakian von der University of Cambridge in Großbritannien erklärt: „Emotional Blunting ist eine häufige Nebenwirkung von SSRI-Antidepressiva. Das könnte gewissermaßen ein Teil der Wirkung sein – sie nehmen einen Teil des emotionalen Schmerzes weg, den Patienten mit Depression erleben. Doch unglücklicherweise nehmen sie anscheinend auch einen Teil der Freude weg.“ Mit einem Team britischer und dänischer Forschender untersuchte sie das Phänomen.

Was machen SSRI mit Gedanken und Gefühlen?

Die Studienautor*innen untersuchten die Wirkung von Escitalopram bei Gesunden auf die sogenannte kalte und heiße Kognition. Mit Kognition sind die Prozesse der Informationsverarbeitung im Gehirn gemeint, also das Denken. Die kalte Kognition umfasst zum Beispiel Aufmerksamkeit und Gedächtnis, bei der heißen Kognition spielen auch Emotionen eine Rolle.

Kalte KognitionHeiße Kognition
HemmungEntscheidungsfindung
kognitive Flexibilität   Verstärkungslernen
Gedächtnis 


Dazu teilten sie 66 gesunde Freiwillige in zwei Gruppen ein: Die eine nahm mindestens drei Wochen lang 20 Milligramm Escitalopram ein, die andere Placebo. Fragebögen und psychologische Tests untersuchten etwa

  • das Lernen,
  • die Entscheidungsfindung.
  • die inhibitorische Kontrolle (also das Hemmen impulsiver Handlungen aus logischen Gründen),
  • die exekutiven Funktionen (Kontrollprozesse, die es ermöglichen, Handlungen an Situationen anzupassen, zum Beispiel Ziele zu setzen, zu priorisieren, die eigene Aufmerksam gezielt zu lenken, aber auch aus einem Gedanken eine tatsächliche Tat zu machen) und
  • das Belohnungsverhalten (durch die positiven und negativen Folgen des eigenen Handelns etwas dazulernen oder auch etwas nicht Angenehmes tun, weil später eine Belohnung folgt; zum Beispiel aufräumen, damit man es ordentlich hat).

Belohnungsempfinden schwindet

Dabei zeigte sich: Bei Aufgaben aus dem Bereich der kalten Kognition unterschieden sich die Gruppen nicht. Wohl aber bei der heißen Kognition: Die Escitalopram-Gruppe war weniger sensibel für Belohnungen. Die Studienautor*innen schreiben: „Die geringere Sensibilität für Verstärkung als Reaktion auf die chronische Verabreichung von SSRIs könnte die "abstumpfende" Wirkung widerspiegeln, über die Patienten mit Depression, die mit SSRIs behandelt werden, häufig berichten.“ Sie mutmaßen, dass die geringere Empfänglichkeit für Belohnungen auch die Emotionen abstumpfen lässt.

Außerdem hatten Escitalopramgruppe häufiger als die Placebogruppe angegeben, Schwierigkeiten zu haben, beim Sex zum Orgasmus zu kommen. Das ist eine bekannte und häufige Nebenwirkung von SSRI. Auch hier sehen die Forschenden einen Zusammenhang mit dem Emotional Blunting und dem schwächeren Belohnungsempfinden.

Quellen:
Langley, C., Armand, S., Luo, Q. et al.: „Chronic escitalopram in healthy volunteers has specific effects on reinforcement sensitivity: a double-blind, placebo-controlled semi-randomised study.“, Neuropsychopharmacology, 23. Januar 2023. https://www.nature.com/articles/s41386-022-01523-x#Abs1
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wie-das-alles-egal-gefuehl-zustande-kommt-138234/

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