Schuhe auf Asphalt© Vitezslav Vylicil / iStock / Getty Images

Psychologie in der Apotheke

EMOTIONALES CHAOS

Die Bezeichnung Borderline kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Grenzlinie. Betroffene sind emotional instabil, angespannt, reagieren impulsiv, verletzen sich selbst und haben in Partnerschaften Angst, verlassen zu werden.

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Stimmungsschwankungen, Krisen und Konflikte sind typisch im Leben einer Person, die unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) leidet. Diese findet man sowohl im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, als auch im ICD (Klassifikationssystem der WHO). Bei der BPS handelt es sich um eine schwerwiegende Störung in der Affektregulation, im zwischenmenschlichen Verhalten sowie in einer verzerrten Wahrnehmung des Selbstbildes.

Das DSM-IV gibt verschiedene Faktoren an, welche für die Borderline-Persönlichkeitsstörung charakteristisch sind (siehe oben). Im ICD-10 ist die Erkrankung unter F60.31 gelistet und stellt eine Unterform von emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen dar. Gefühle, Denken und Handeln weichen von der Norm ab und häufig kommt es zu Störungen in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Symptome Bei Personen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung wechseln die Emotionen innerhalb kürzester Zeit, wobei Betroffene die Gefühle nicht kontrollieren können. Sie verspüren beispielsweise Angst, Aggressionen, Wut, Langeweile, ein Gefühl innerer Leere oder sie geraten in Panik. Auf Außenstehende wirken Borderliner daher oft unberechenbar, in der Regel kommt es zu gravierenden Problemen in Beziehungen. Borderliner befinden sich häufig in unglücklichen Beziehungen und haben bereits viele Trennungen und Versöhnungen hinter sich.

Manchmal drohen sie dem Partner mit Selbstmord, führen Suizidversuche durch oder verletzen sich selbst. Sie bemühen sich, das Alleinsein zu verhindern, erreichen aber durch ihr Verhalten in vielen Fällen das Gegenteil. Aufgrund der Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen verlaufen Freundschaften ähnlich: In einigen Phasen stehen Personen mit einer Borderline-Störung ihren Freunden sehr nahe und idealisieren sie, dann verkrachen sie sich so heftig, dass die Freundschaft in die Brüche gehen kann.

Patienten erleben intensive Gefühle der Angst, Scham, Wut, Schuld, Traurigkeit oder gar des Selbsthasses und zeigen bereits auf Kleinigkeiten heftige Reaktionen. Gelegentlich kommt es zu paranoiden Vorstellungen oder zu schweren dissoziativen Symptomen. Ihre emotionalen Spannungszustände regulieren Betroffene häufig mit unangemessenen Maßnahmen, beispielsweise verletzen sie sich selbst, konsumieren exzessiv Drogen oder Alkohol, fahren riskant Auto oder geben unkontrolliert viel Geld aus.

Es entsteht eine Kluft zwischen den intensiven Gefühlen und der Unfähigkeit, mit diesen angemessen umzugehen, sodass sich Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in einer permanenten emotionalen Instabilität befinden. Die heftigen Reaktionsmechanismen dienen dazu, die Anspannung zumindest kurzfristig zu reduzieren.

Meist treten die Anzeichen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung bereits während der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter auf. PTA und Apotheker sollten bei äußeren Anzeichen wie Brandwunden oder Schnittnarben auch an die Möglichkeit einer Borderline-Störung denken und mit Betroffenen sensibel darüber sprechen, dass sie gegebenenfalls sich in fachpsychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung begeben sollten.

Verschiedene Ursachen Es werden unterschiedliche Auslöser und Risikofaktoren für die Entstehung einer Borderline-Störung diskutiert. Unter anderem kommen genetische Dispositionen und Umwelteinflüsse in Betracht. Zudem kann die BPS als posttraumatische Belastungsstörung auftreten. Auch mit hirnorganischen Veränderungen lässt sich die Entwicklung der Erkrankung erklären.

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2016 beschäftigte sich mit der Frage, ob das Gehirn von Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung emotionale Reize anders verarbeitet als das Gehirn gesunder Personen. Dazu wurden 19 Studien ausgewertet, in denen die Magnetresonanztomografie als Untersuchungsmethode genutzt wurde.

Es zeigte sich, dass die linke Amygdala, welche für die Emotionsverarbeitung zuständig ist, intensiver auf negative Worte, Bilder und Gesichter reagiert als die linke Amygdala gesunder Menschen. Zudem war der sogenannte dorsolaterale präfrontale Kortex, der für die Emotionen ebenfalls eine besondere Bedeutung besitzt, im Vergleich zu dem präfrontalen Kortex gesunder Probanden weniger aktiv.

Diagnostik Die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sollte stets einem Fachmann überlassen werden, wie etwa einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einem Psychotherapeuten. Die Diagnostik erfolgt über die Kriterien des DSM-V oder das ICD-11, sollte jedoch stets von einem Experten durchgeführt werden – die Kriterien eignen sich somit nicht zur Selbstdiagnostik. Weil einige der Symptome auch bei anderen Störungsbildern auftreten, erfordert der Befund eine präzise, differentialdiagnostische Abklärung. Da die BPS mit einem starken Leidensdruck einhergeht, sollten Patienten sich frühzeitig professionelle Hilfe holen.

Hilfe bei BPS Die Behandlung des Borderline-Syndroms gehört ebenfalls in die Hand eines Psychotherapeuten oder in die eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie umfasst als wichtigste Komponente die Psychotherapie. Als erfolgreich haben sich verhaltenstherapeutische Maßnahmen gezeigt, mit dem Ziel, Selbstregulation zu erlernen, um mit den alltäglichen Belastungen des Lebens besser fertig werden. Meist beläuft sich die Therapie auf einen Zeitraum von bis zu drei Jahren, bezüglich der therapeutischen Rahmenbedingungen gelten klare Regeln, die in Therapieverträgen festgehalten werden.

Die Behandlungsziele werden hierarchisiert, wobei Suizidgedanken oder -versuche stets Vorrang erhalten, gefolgt von therapiegefährdenden Verhaltensmustern. Auch körperliche Folgen der Erkrankung, wie etwa eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Anorexie oder Benzodiazepin-Sucht, landen bei der Priorisierung der Ziele weit oben.

Neben Einzel- und Gruppensitzungen finden Kriseninterventionen sowie eine Pharmakotherapie statt. Für Angehörige gilt, dass sie Suizidäußerungen stets ernst nehmen sollten, da viele Borderline-Patienten Selbstmordversuche durchführen. Mit Hilfe einer medikamentösen Therapie ist eine Verbesserung der Symptomatik zu erreichen.

Hierbei werden Antidepressiva, wie etwa Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), eingesetzt, die sich positiv auf Aggressionen, Selbstverletzung, depressive Verstimmungen oder Ängste auswirken. Bei suizidalen Tendenzen, Impulsivität oder psychotischen Symptomen verordnet der Arzt oft atypische Neuroleptika, zum Beispiel Olanzapin, Clozapin, Quetiapin oder Risperidon. Benzodiazepine gehören aufgrund des hohen Potenzials für physische und psychische Abhängigkeit nicht zu den Mitteln der Wahl.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 05/2022 ab Seite 52.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

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