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Psychologie in der Apotheke

EINBLICK IN DIE PSYCHOANALYSE

Sigmund Freud ist bekannt als der Begründer der Psychoanalyse. Mit seiner Theorie des Unbewussten, dem Tor zur Seele, hat er die Psychologie revolutioniert. Heute werden viele seiner Erkenntnisse angezweifelt.

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Mediziner, Neurologe, Begründer der Psychoanalyse, Denker, Kulturtheoretiker, Weltveränderer, Experte für Fisch-Hoden – Sigismund Schlomo Freud wurde am 6. Mai 1856 in Freiberg als Sohn jüdischer Eltern geboren. Schon das Gymnasium schloss er mit exzellenten Leistungen ab, bevor er sein Medizinstudium in Wien antrat. Seine erste wissenschaftliche Arbeit verfasste Freud übrigens zum Thema Aalhoden, später schrieb er seine Promotion mit dem Titel „Über das Rückenmark niederer Fischarten“. Er habilitierte schließlich im Fach Neuropathologie. Ab 1881 arbeitete er als Doktor im Wiener Allgemeinen Krankenhaus in der Abteilung „Neurophysiologie“. 1886 heiratete er Martha Bernays, mit der er sechs Kinder bekam und bis zu seinem Lebensende liiert blieb.

Es, Ich und Über-Ich Freud entwickelte das berühmte Strukturmodell der Psyche und teilte sie in das „Es“, das „Ich“ und das „Über-Ich“ ein. Das „Es“ entspricht den unbewussten Trieben, Bedürfnissen und Affekten. Es wird vom Lustprinzip beherrscht, handelt irrational und strebt permanent nach Befriedigung, ohne überhaupt Konsequenzen zu berücksichtigen. Im „Über-Ich“ sind die Werte, Normen und moralischen Einstellungen eines Individuums gespeichert, es wird auch als Gewissen bezeichnet. Das „Über-Ich“ wird durch Erziehung erworben und spiegelt die dem Kind vermittelten Werte der Eltern wider.

„Es“ und „Über-Ich“ stehen häufig im Konflikt miteinander, denn das „Über-Ich“ möchte tun, was richtig ist, während das „Es“ bestrebt ist zu tun, was sich gut anfühlt. Das „Ich“ vermittelt zwischen diesen beiden Instanzen sowie der sozialen Umwelt und sucht nach einem Kompromiss, der sowohl das „Es“ als auch das „Über-Ich“ zumindest teilweise zufriedenstellt. Es enthält das Selbstbild sowie die Vorstellungen über die eigene Person und repräsentiert die persönliche Überzeugung über die Ursachen und Konsequenzen des eigenen Verhaltens. Freud ging davon aus, dass seelische Konflikte durch ein Ungleichgewicht dieser drei Instanzen entstehen.

Versprochen ist versprochen Ein Freud'scher Versprecher – wem ist dieser noch nicht passiert? Hier spielt uns das Unterbewusstsein einen Streich, indem wir aus Versehen etwas sagen, das wir eigentlich für uns behalten möchten. Häufig eine peinliche Situation, denn der Versprecher bietet Einblicke in das wahre Denken des Sprechers und lässt sich meist nicht mehr glaubwürdig korrigieren.

Unter der Oberfläche Freud unterschied in seinem topografischen Modell zwischen dem Vorbewussten, dem Unbewussten und dem Bewussten. Er veranschaulichte diese Anteile anhand eines Eisbergmodells: Ähnlich wie bei einem Eisberg ist nur ein kleiner Teil sichtbar (das Bewusste), während das Vorbewusste und Unbewusste unter der Wasseroberfläche verborgen sind. Das Bewusste beinhaltet das Erleben im Hier und Jetzt, während das Unbewusste verdrängte Erinnerungen oder unerlaubte Triebe und Wünsche umfasst. Alle Inhalte und Erinnerungen des Vorbewussten können durch Aufmerksamkeit wieder an die Oberfläche gebracht werden und in das Bewusstsein auftauchen.

Ein Weg zum Unterbewussten ist laut Freud die Traumdeutung: Der Mediziner ging davon aus, dass Individuen im Traum unbewusste Wünsche und unterdrückte Triebe ausleben, die sich im Alltag nicht erfüllen lassen. Freud lebte zu einer Zeit, in der Sexuelles zu den Tabuthemen gehörte und in der strenge Moralvorstellungen herrschten, welche keinen Raum für sexuelle Triebe bot. Der Wunsch nach Erfüllung der Triebe solle daher in der Psyche zensiert werden. Tauchen im Traum „verbotene“ Gedanken auf, sind diese dem Zensor entkommen und zeigen sich in Form von harmlosen Symbolen.

Für Freud ist die Traumdeutung der Weg ins Unbewusste: Unterdrückte Wünsche und Triebe, die als Tabu gelten, tauchen im Schlaf als harmlose Symbole auf.

Behandlung auf der Couch Bei der Psychoanalyse handelt es sich um ein psychotherapeutisches Verfahren, das zur Behandlung von psychischen Störungen eingesetzt wird. Ihr Symbol ist die Couch, worauf Patienten während der Therapie liegen. Die entspannte Körperhaltung soll dazu beitragen, tiefer in die Psyche vorzudringen. Laut Freud werden schmerzhafte oder gefährliche Gedanken aus dem Bewusstsein gedrängt und äußern sich in Form von verdrängten, schmerzhaften Erinnerungen. Erhält ein Kind beispielsweise keine Nähe von seinen Eltern, leidet es zunächst, verdrängt das Bedürfnis dann und lernt, ohne Geborgenheit zurechtzukommen.

Der Konflikt bleibt unbewusst bestehen und macht sich unter Umständen in einem höheren Lebensalter bemerkbar, etwa wenn die betroffene Person in einer Partnerschaft aufgrund ihrer Angst vor Zurückweisung keine Nähe zulassen kann. Der seelische Konflikt kommt dann in Form von psychischen Problemen zum Vorschein. Der Heilungsprozess besteht darin, mit Unterstützung eines Psychotherapeuten die Erinnerung ins Bewusstsein zu rufen. Patienten erkennen dadurch die Ursache ihrer Problematik und können auf dieser Basis ihr inneres Gleichgewicht wieder herstellen. Die Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim ging als Anna O. in die Geschichte der Psychoanalyse ein.

Sie litt während der Pflege ihres kranken Vaters unter psychosomatisch bedingten Beschwerden, wie beispielsweise unter Halluzinationen, von denen Freud-Mitarbeiter Josef Breuer sie befreien wollte. Freud beschrieb den Fall Anna O. in seinen Theorien und bezeichnete sie als eigentliche Erfinderin der Psychoanalyse. Bei ihr wurde die Technik der freien Assoziation angewendet, wobei die Patientin alles verbalisieren sollte, was ihr während der Sitzung spontan in den Sinn kam. Mit der Methode beabsichtigte Freud, alle „Filter“ auszuschalten und an die unbewussten Inhalte des Gehirns zu gelangen. Jede noch so absurde Assoziation könne einen Hinweis auf die Ursache des Problems liefern.

Umstrittene BehandlungDie Psychoanalyse muss allerdings einiges an Kritik aushalten, denn sie wird als wissenschaftliche Theorie in Frage gestellt. Nachteilig ist beispielsweise, dass sie jahrelang andauert, sodass Patienten häufig frustriert sind und die Therapie abbrechen. Kritiker werfen der Psychoanalyse auch vor, dass sie wissenschaftlich nicht bestätigt wurde und lediglich auf den Hirngespinsten ihres Begründers basiert. Bestimmte Annahmen Freuds sind heutzutage widerlegt, daher sind die Inhalte aus den Lehrplänen der deutschen Universitäten gänzlich verschwunden. Kürzlich zeigten jedoch neuere Studien, dass die Psychoanalyse langfristig gute Erfolge erzielt.

Das Ende 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Man verbrannte Freuds Werke in Deutschland öffentlich, allerdings wurden sie später wiederhergestellt. Am 12. Mai 1938 marschierten deutsche Truppen in Österreich ein, Freud floh über Paris nach London. Dort wurde er begeistert aufgenommen und praktizierte kurze Zeit weiter. Allerdings nahm sich Freud am 23. September 1939 aufgrund seiner schweren Krebserkrankung das Leben. Zuvor bat er seinen Arzt um eine Überdosis Morphin.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2020 ab Seite 100.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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