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MIKS

EIN TEUFELSKREIS

Medikamente, die chronische Kopfschmerzen bekämpfen sollen, können selbst welche auslösen. Für die Betroffenen eine hoffnungslose Spirale, die ihre Lebensqualität stark einschränkt.

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Wer starke Schmerzen hat, will nur eins: sie so schnell wie möglich loswerden. Schmerzmittel versprechen schnelle Hilfe, doch wendet man sie über einen zu langen Zeitraum an, können sie eine unerwünschte Nebenwirkung haben – den medikamenteninduzierten Kopfschmerz .

Zu viele Tabletten sind gefährlich Meist kommt es bei Menschen mit chronischen Kopfschmerzen zu einem MIKS. Betroffen sind hauptsächlich Patienten mit Migräneoder Spannungskopfschmerzen, da sie die immer wiederkehrenden Anfälle ohne Medikation kaum aushalten können und die Medikamente daher über lange Zeiträume, manchmal über Jahrzehnte, einnehmen. Die Kopfschmerzmedikamente wie herkömmliche Analgetika, Triptane oder Mutterkornalkaloide (z. B. Ergotamin) beeinflussen dabei auf Dauer die Funktionsfähigkeit zentraler Rezeptoren wie etwa Serotoninrezeptoren. Dadurch sinkt die Schmerzschwelle und eigentlich harmlose Reize werden bereits als Schmerz registriert.

Erstaunlicherweise entwickeln nur Migräne-, Spannungs- und Traumakopfschmerzpatienten einen MIKS, Menschen mit Clusterkopfschmerzen, die ebenfalls langfristig und häufig starke Schmerzmittel einnehmen müssen, sind davon nicht betroffen.

Vorsicht vor Kombipräparaten! Der medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz ist dumpfdrückend oder pulsierend und ähnelt damit dem herkömmlichen Spannungskopfschmerz oder der Migräneattacke. Dies macht es den Betroffenen häufig sehr schwer, ihren primären Kopfschmerz von einem MIKS zu unterscheiden. Werden aber gegen den chronischen Kopfschmerz an mehr als 12 bis 15 Tagen im Monat Arzneimittel eingenommen, kann man von einem bereits aufgesattelten MIKS ausgehen, der neben dem ursprunglichen Kopfschmerz auftritt. Diese eigenständige Kopfschmerzform vereint die Symptomatik von Migräne- und Spannnungskopfschmerzen, sie kann sogar innerhalb eines Tages zwischen diesen beiden Ausprägungen hin und her wechseln.

Ein reiner Spannungskopfschmerz ist meist nicht medikamenteninduziert, er kann aber bereits bestanden und sich durch zu häufige Medikamenteneinnahme chronifiziert haben. Besonders gefährlich sind Analgetika mit Koffein- oder Codeinzusatz. Diese Suchtstoffe erhöhen das Risiko eines MIKS beträchtlich.

Gefangen im TeufelskreisEin MIKS funktioniert genau wie eine Suchterkrankung. Die Betroffenen benötigen immer höhere Dosen des Wirkstoffs, um überhaupt noch einen Effekt zu erzielen, wobei die Schmerzen in immer kürzeren Abständen auftreten. Werden die Substanzen abgesetzt, kommt es zu Entzugserscheinungen, die – zumindest kurzfristig – nur durch eine erneute Zufuhr der Substanz gelindert werden können. Für die Betroffenen ist das sehr schwer zu ertragen, denn schon ihre Grunderkrankung lässt sich kaum aushalten. Kommt noch ein MIKS hinzu, sind sie endgültig in einem Teufelskreis aus Schmerzen und Medikamenten gefangen. Aus eigener Kraft können die meisten ihn nicht mehr durchbrechen.

Folgeschäden vorprogrammiert Bei mindestens zwei Migräneanfällen pro Monat sieht die Leitlinie der Deutschen Migräneund Kopfschmerzgesellschaft eine Migräneprophylaxe vor. Diese kann aus einer medikamentösen (Betablocker oder Antidepressiva in Tabletten- oder Spritzenform) oder nicht-medikamentösen (Magnesium, Coenzym Q 10 und Vitamin B2) Vorbeugung bestehen. Medikamentöse und nicht-medikamentöse Prophylaxe kann man auch kombinieren. Was hilft, muss individuell ausprobiert werden.

WORAN ERKENNE ICH EINEN MIKS?
MIKS bei primären Spannungskopfschmerzen:
- Kopfschmerz tritt häufig, mitunter täglich auf
- Intensität bleibt den Tag über bestehen
- morgens aufgrund des gesunkenen Wirkstoffspiegels meist stärkere Beschwerden
- Kopfschmerzmuster verändert und verschlechtert sich unter Einnahme der Medikamente
MIKS bei primärer Migräne:
- Migräneprophylaxe greift nicht mehr
- Zunahme von Häufigkeit und Dauer der Attacken, Kopfschmerzmuster verändert sich unter Einnahme der Medikamente
- Schmerz meist beidseitig drückend (bei Ergotaminübergebrauch)
- Schmerz meist einseitig pulsierend (bei Triptanübergebrauch)
- Betroffene haben manchmal das Gefühl, die eigentliche Migräneattacke wird von einem weiteren Kopfschmerz „überlagert“

Eine wirksame Prophylaxe kann die Häufigkeit der Attacken mindern und damit auch die Anzahl der Analgetika-Einheiten. Doch auch hier zeigt sich der MIKS heimtückisch: Haben die Betroffenen erst einmal einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz entwickelt, greift die Prophylaxe nicht mehr. Schmerzattacken können somit nicht mehr im Vorfeld abgewendet werden, was den Leidensdruck zusätzlich erhöht. Ohne Schmerzmittel geht nichts mehr, dadurch steigt auch die Gefahr organischer Folgeschäden. Allein 15 bis 20 Prozent aller Niereninsuffizienzen, die eine Dialyse notwendig machen, sind auf einen solchen Arzneimittelabusus zurückzuführen. Häufig bringt erst diese Erkenntnis die Betroffenen dazu, gegen einen MIKS vorzugehen und eine Therapie anzustreben.

Am besten stationär Während einer Therapie wird der Körper zunächst von den Substanzen entgiftet. Dazu ist es nötig, die Medikamente komplett abzusetzen, was die Symptome verschlimmert. Daher schaffen es nur sehr wenige, eine Therapie ambulant durchzuführen. Die meisten absolvieren sie stationär, was ungefähr 10 bis 14 Tage in Anspruch nimmt. Neben der Durchführung der Entgiftung werden Atem- und Entspannungstechniken gelehrt sowie andere Möglichkeiten der Schmerzprophylaxe. Darüber hinaus findet eine psychologische Betreuung statt. Manchen Kopfschmerzpatienten hilft auch eine Basen-Fastenkur. Wird dann weiterhin überwiegend basisch gekocht, kann sich die Zahl der Schmerzattacken mindern.

Lebensqualität für immer eingeschränkt Eine kleine Schweizer Studie zeigt jedoch, dass die Lebensqualität vieler Betroffener selbst nach einer erfolgreichen Entgiftung und Therapie noch stark eingeschränkt ist. Die Wissenschaftler befragten 51 Teilnehmer einige Monate bis Jahre nach ihrer Therapie zu ihrem Gesundheitszustand. Obwohl sie ihre körperlichen Funktionen als normal empfanden, schätzten sie im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung ihren allgemeinen Gesundheitszustand, ihr Schmerzempfinden und ihre Vitalität schlechter ein.

Besonders auffällig war das Gefühl, ein nur noch eingeschränktes Sozialleben führen zu können. Dieses Ergebnis ist zum einen verständlich, weil selbst nach einer erfolgreichen Therapie des MIKS der primäre Kopfschmerz bestehen bleibt. Offensichtlich scheinen aber auch die Angst vor einer erneuten Attacke sowie die langfristige Erfahrung, den Alltag mit Dauerschmerzen organisieren zu müssen, die Betroffenen nachhaltig zu belasten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/15 ab Seite 146.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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