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Kinderfreiheit

EIN LEBEN OHNE KINDERWUNSCH

Es gibt Frauen, die sich bewusst gegen das Kinderkriegen entscheiden. Von Außenstehenden werden sie gelegentlich als karrieregeil, egoistisch und verantwortungsscheu bezeichnet.

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Kinderlos oder kinderfrei? In den USA wurde der Begriff „kinderlos“ wegen seines negativen Grundtenors mittlerweile durch „kinderfrei (childfree)“ ersetzt, denn schließlich haben sich Betroffene bewusst gegen Kinder entschieden, unterliegen keinem Defizit und sind quasi kinderfrei. Sicher sieht das bei Frauen, die ungewollt kinderlos sind, anders aus.

Verschiedene Vorurteile Für viele Menschen hat Familie einen hohen Stellenwert und häufig wünschen sich junge Paare, in der Zukunft eine Familie mit Nachwuchs zu gründen. Allerdings bleibt in Deutschland jede fünfte Frau kinderfrei, einige von ihnen gewollt, andere ungewollt. Personen, die keine Kinder haben, wird nachgesagt, dass sie Freundschaften anders wertschätzen und diese über Jahrzehnte pflegen. Mütter sollen dagegen über einen gewissen Zeitraum derart von ihren Kindern vereinnahmt sein, dass ihnen kaum Zeit bleibt, Kontakte aufrechtzuerhalten. Aber auch das ist vermutlich nur ein Vorurteil.

Kategorisierung Man kann Frauen, die keinen Wunsch nach Reproduktion haben, in drei Gruppen einteilen: Frühentscheiderinnen wissen bereits im jungen Alter, dass sie keine Kinder bekommen möchten. Aufschieberinnen legen sich bezüglich ihres Kinderwunsches erst einmal nicht fest, bis sich das Thema von selbst erledigt. Spätentscheiderinnen wünschen sich anfangs Nachwuchs oder sind unentschlossen, sie entscheiden sich im Laufe der Zeit aufgrund äußerer Umstände gegen die Fortpflanzung. Äußern Frauen den Wunsch, sich nicht fortpflanzen zu wollen, müssen sie sich oft gut gemeinte Ratschläge anhören wie „Du wärst so eine gute Mutter“, „Beim ersten Kind hat man Angst, doch dann gewöhnt man sich daran“, „Du bist doch nicht normal“, „Ohne Kinder bist du keine vollwertige Frau“ oder „Werde noch ein paar Jahre älter, dann entsteht auch bei dir der Wunsch nach Kindern“. Sie müssen sich im Alltag rechtfertigen, in Internetforen kommt es sogar vor, dass ihre Einstellung scharf kritisiert wird.

Angst vor der Zukunft Frauen ohne Kinderwunsch kämpfen ohnehin nicht selten mit Schuldgefühlen und empfinden die eigene Einstellung als unangebracht und egoistisch. Manche Personen verzichten auf Nachwuchs, weil sie dem Rentensystem nicht trauen und die Absicherung der finanziellen Zukunft für ungewiss halten. Meldungen, wie die einer Studie der Universität Oxford und des Beratungsunternehmens Deloitte, dass in den nächsten 20 Jahren 40 Prozent der Jobs durch Automatisierung verloren gehen, verstärken die Unsicherheit zusätzlich.

Freiheit genießen Wer sich von Schuldgefühlen freimachen kann, erlebt das bewusst gewählte, kinderfreie Leben in der Regel als Luxus. Frauen ohne Nachwuchs ersparen sich viele Sorgen, auch finanziell geht es Nicht-Müttern oder kinderlosen Ehepaaren besser – schließlich sollte man für Heranwachsende durchschnittlich 585 Euro im Monat erübrigen können.

Glücklicher mit oder ohne Kinder? Eine Studie der Wissenschaftler Rachel Margolis und Mikko Myrskylä aus dem Jahr 2015 enthüllte, dass Eltern nach der Geburt ihres ersten Kindes unglücklicher waren als zuvor. Das Glücksempfinden wurde über eine Skala (von 1 bis 10) gemessen und sank mit dem ersten Kind um 1,4 Einheiten (im Vergleich dazu nimmt es bei Arbeitslosigkeit nur um 0,4 Einheiten ab). Ob noch weiterer Nachwuchs folgt, scheint davon abzuhängen, wie die Erfahrung der Eltern im ersten Jahr mit Kind ausfällt. Oft erwarten Eltern durch die Familiengründung das ganz große Glück, allerdings ist dies von verschiedenen Faktoren abhängig. So kam eine weitere Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Nachwuchs Eltern nur dann glücklich macht, wenn die finanziellen Verhältnisse in der Familie gesichert sind. Auch scheinen Verheiratete mit Kindern insgesamt zufriedener zu sein, wenn die Sprösslinge leiblich sind.

Risiko für die Partnerschaft Häufig belasten Kinder die Beziehung und nicht selten gehen Ehen nach der Geburt kaputt. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes finden 40 Prozent aller Scheidungen im ersten Lebensjahr des Kindes statt. Wenn die Partnerschaft weiterhin funktioniert, waren sie sich meist darüber im Klaren, dass Kinderkriegen mit Abstrichen im Leben einhergeht.

Bekennende Nicht-Mütter Verena Brunschweiger, Ökofeministin und Gymnasiallehrerin, publizierte das Buch „Kinderfrei statt Kinderlos“, da ihrer Meinung nach ein pronatalistisches Dogma herrsche. Es bestehe nicht nur eine grundsätzlich positive Einstellung gegenüber Kindern, sondern es habe sich sogar die Überzeugung durchgesetzt, dass Nachwuchs unbedingt notwendig sei. Brunschweiger gilt als überzeugte Nicht-Mutter und plädiert für ein Leben ohne Kinder, um die Umwelt zu schützen: „Ein Kind ist das Schlimmste, was man der Umwelt antun kann“, sagte sie gegenüber dem Wiener „Kurier“.

So könne man 58,6 Tonnen CO2 einsparen, wenn man nur ein Kind weniger in die Welt setzt. Durch ihr umstrittenes Buch hat die Lehrerin eine heftige Debatte entfacht. Im Jahr 2015 hat die israelische Soziologin Orna Donath bereits das Buch „Regretting motherhood“ herausgebracht, in dem sie über Mütter, die ihre Rolle bereuen, berichtet. Sie führte Interviews mit Frauen durch, die auf folgende Frage mit einem klaren Nein antworteten: „Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, mit Ihrem heutigen Wissen und Ihrer heutigen Erfahrung, würden Sie dann noch einmal Mutter werden?“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/19 ab Seite 80.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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