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OTC-Switch Desloratadin

EIN LANGER WEG

Das Antihistaminikum Loratadin darf schon lange ohne Rezept bei Heuschnupfen und allergischen Hautausschlägen abgegeben werden. Jetzt wird auch Desloratadin aus der Rezeptpflicht entlassen. Was sind die Hintergründe?

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Antihistaminika bewirken eine selektive Hemmung von Histamin-H1-Rezeptoren. Die Substanzen der ersten Generation, wie Diphenhydramin, Doxylamin oder Dimenhydrinat, wirken auch an zentralen Histaminrezeptoren, weshalb sie müde machen und gegen Übelkeit wirken. Sie werden heute ausschließlich als Schlafmittel oder gegen Reiseübelkeit eingesetzt, obwohl auch sie antiallergisch wirken. Auch Clemastin und Dimetinden zählen zur ersten Generation.

Sie finden noch Einsatz bei allergischen Reaktionen, Dimetinden vor allem bei akut auftretenden Hautreaktionen. Der Nachteil an Clemastin ist, dass es zweimal täglich eingenommen werden muss. Antihistaminika der zweiten Generation wurden chemisch so verändert, dass sie die Blut-Hirn-Schranke nicht oder nur in geringem Maße überwinden können, sodass die zentrale Wirkung entfällt. Loratadin und Cetirizin sind typische Vertreter, die kaum noch müde machen. Durch ihre lange Plasmahalbwertszeit müssen sie nur einmal täglich eingenommen werden.

Die dritte Generation Letztes Jahr wurde bereits ein anderes Antihistaminikum, nämlich Levocetirizin, für die Selbstmedikation zugelassen. Es ist das R-Enantiomer des Cetirizins. Cetirizin ist das Razemat aus dem links- und rechtsdrehenden Enantiomer. Da aber nur das eine Enantiomer für die Wirkung verantwortlich ist, sein Spiegelbild hingegen nichts zur Wirkung beiträgt, kann man auch auf die unwirksame Form verzichten. Dadurch war es in diesem Fall möglich die Dosierung zu halbieren. Cetirizin wird in Tabletten zu 10 Milligramm angeboten, Levocetirizin in Tabletten zu 5 Milligramm. Bei Desloratadin verhält es sich chemisch gesehen ein bisschen anders.

Mit der Vorsilbe „Des-“ oder manchmal auch „De-“ wird angegeben, dass dieser Substanz gegenüber der Stammverbindung etwas fehlt. Das was fehlt, wird im Anschluss angegeben. Hier wäre der vollständige Name Descarboethoxylloratadin, das klingt aber etwas sperrig, daher kurz: Desloratadin. Es handelt sich also nicht um Bild und Spiegelbild beziehungsweise Enantiomer und Racemat, sondern um eine Abwandlung des Moleküls, um ein Derivat. Man spricht wie beim Levocetirizin von der dritten Generation der Antihistaminika.

Das Prodrug Loratadin wird fast vollständig in Desloratadin umgewandelt, was den beschleunigten Wirkungseintritt des neueren Arzneimittels erklärt.

Höhere Rezeptoraffinität Desloratadin besitzt eine etwa drei- bis vierfach höhere Affinität zum H1-Rezeptor als Loratadin, hat eine längere Plasmahalbwertszeit und einen schnelleren Wirkungseintritt. Auch hier konnte die Dosierung von 10 auf 5 Milligramm reduziert werden. Allerdings gilt der therapeutische Vorteil von Desloratadin als begrenzt, denn Loratadin wird in der Leber fast vollständig zu Desloratadin umgewandelt. Loratadin ist also quasi das Prodrug, Desloratadin der eigentliche Wirkstoff. Dies erklärt den schnelleren Wirkungseintritt. In Untersuchungen besserten sich die allergischen Symptome nach der Gabe von Desloratadin innerhalb von durchschnittlich 48 Minuten, nach Gabe von Loratadin erst nach 70 Minuten.

Langer Rechtsstreit Dem OTC-Switch von Desloratadin ging ein bemerkenswerter Rechtsstreit voraus. Genau genommen gab es schon seit seiner Einführung Streitigkeiten. Denn bereits 2001, kurz vor Ablauf des Patents für Loratadin, stoppte der Hersteller die Produktion und brachte Desloratadin auf den Markt, um den Generika-Markt für Loratadin zu behindern. Die Patienten sollten auf Desloratadin umgestellt werden, bevor die preiswerteren Generika auf den Markt kommen. Außerdem würden nach Meinung des Herstellers Generika das Patent von Loratadin verletzen, weil Desloratadin ein Metabolit des Loratadins sei und das neue Patent dadurch auch wieder für Loratadin gelte. Also klagte der Originalhersteller gegen den Generikahersteller. Den Prozess verlor er allerdings vor einem US-amerikanischen Gericht.

Evergreening

Der Patentschutz für Arzneimittel gilt 20 Jahre. Diese Zeit dient zur Refinanzierung der Forschungskosten. Eine geringe Molekülabwandlung erspart zum einen die aufwändige Suche nach einem ganz neuen Arzneistoff. Zum anderen bietet sie die Möglichkeit, dadurch eine Verlängerung des Patentschutzes zu erreichen. Dies wird auch als Evergreening bezeichnet.

EU-Kommission oder BMG Auch der OTC-Switch landete vor Gericht. Allerdings nicht aus medizinischen Gründen, denn dass es sich um einen sicheren Arzneistoff handelt, steht außer Frage. Als der Antrag 2013 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gestellt wurde, wurde er wie vorgeschrieben geprüft und mit einer wissenschaftlichen Stellungnahme an den Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht weitergegeben. Dieser empfahl den OTC-Switch, aber das Bundesgesundheitsministerium (BMG) folgte der Empfehlung nicht, sondern verwies darauf, dass es auf dem deutschen Markt neben national zugelassenen Arzneimitteln mit Desloratadin auch welche mit einer zentralen europaweiten Zulassung gebe.

Eine Entlassung aus der Verschreibungspflicht sei daher erst dann möglich, wenn die EU-Kommission dies auch für die zentral zugelassenen Arzneimittel anordne. Der Antragsteller ließ nicht eher locker, bis das BMG eine Stellungnahme von der EU-​Kommission erbat. Diese erklärte daraufhin, dass die EU-Mitgliedsstaaten das Recht hätten, selbst über die Verschreibungspflicht in ihrem Land zu entscheiden. Das gefiel dem BMG allerdings auch nicht, denn es solle aus Gründen der Arzneimittelsicherheit keinen gespaltenen Markt für identische Produkte in der EU geben. Dass Produkte mit gleicher Risikolage in einigen Ländern verschreibungspflichtig seien und in anderen OTC-Produkte, sei nicht vermittelbar. Also handelte das BMG nicht.

Und dann doch der OTC-Switch Das Pharmaunternehmen klagte gegen das BMG, was sich in einem langwierigen Prozess in mehreren Instanzen bis zum September 2019 zog. Das Unternehmen gewann vor dem Bundesverwaltungsgericht und das BMG hat inzwischen den Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung vorgelegt. Ausgenommen von der Verschreibungspflicht ist Desloratadin nun in der oralen Anwendung zur symptomatischen Behandlung bei allergischer Rhinitis und Urtikaria bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab zwei Jahren, es sei denn, es handelt sich um von der Europäischen Kommission als verschreibungspflichtig zugelassene Arzneimittel. Lesen Sie online unter www.diepta.de/pta-plus, wie so ein OTC-Switch genau funktioniert.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/2020 ab Seite 24.

Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion

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