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Krankheiten im Kindesalter

EIN CHROMOSOM ZU VIEL

Auch wenn sie mit manchen Einschränkungen zu kämpfen haben, Kinder mit Down-Syndrom laufen häufig Gefahr, unterschätzt zu werden. Frühe und interdisziplinäre Förderung hilft ihnen, ihr Potenzial zu entfalten.

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Mitunter passieren bei der Bildung von Keimzellen Ungenauigkeiten – dann ist beispielsweise das Chromosom mit der Nummer 21 zweimal in einer Eizelle enthalten anstatt einmal, wie es sich gehören würde. Die Folge: Nach der Verschmelzung mit der Samenzelle liegt das Chromosom 21 insgesamt dreimal vor und das Kind kommt mit einer Trisomie 21 zur Welt. Das ist gar nicht so selten und geschieht umso häufiger, je älter die Mutter bei der Geburt ist: Bei Frauen im Alter bis 25 Jahre liegt die Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Down-Syndrom noch weit unter 0,1 Prozent, im Alter von 35 Jahren bei etwa 0,5 Prozent und bei einem Alter von 40 Jahren bereits bei 1 bis 2 Prozent.

Das zusätzliche Chromosom hat zahlreiche Auswirkungen auf die Entwicklung und die Gesundheit des Kindes. Wie stark sie sein werden, lässt sich während der Schwangerschaft noch nicht sagen. Insgesamt leben in Deutschland etwa 30 000 bis 50 000 Menschen mit Down-Syndrom. Der Name geht übrigens auf den englischen Arzt Dr. John Langdon Down zurück, der das Syndrom Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal beschrieb. In den 1950er und 1960er Jahren fand man heraus, dass die Ursache das dreifache Vorhandensein des Chromosoms 21 ist, daher der Name Trisomie 21 (Tri = drei; somie = Chromosom).

Krankheitsbild Kinder mit Down-Syndrom haben ein typisches Aussehen: Das Gesicht ist rund und flach, die Augen sind leicht schräg gestellt. Die Zunge ist oft zu groß und kann etwas aus dem Mund hervorschauen; der Gaumen ist schmal, hoch und spitz. Kinder mit Down-Syndrom sind kleiner als Altersgenossen; in den ersten Jahren sind sie meist auch leichter, ab der Pubertät nehmen sie deutlich zu. Ihr Hals ist kurz. Die Hände sind kurz und breit, vielfach findet sich eine Vierfingerfurche (eine Beugefalte, die quer über die Handfläche läuft). Am Fuß fällt der Abstand zwischen großem und zweitem Zeh auf. Insgesamt sind die Muskeln schwach und das Bindegewebe locker. Daneben treten eine Reihe von gesundheitlichen Einschränkungen bei Down-Kindern vermehrt auf: Etwa die Hälfte der Kinder kommt mit einer Anomalie des Herzens zur Welt, etwa jedes zwölfte Kind mit einer Fehlbildung des Verdauungstrakts.

Bis zu acht von zehn Kindern sind von Störungen des Hörens und/oder des Sehens betroffen. Schließlich kommen einige Krankheiten bei Kindern mit Down-Syndrom häufiger vor, darunter Zöliakie, Typ-1-Diabetes, Störungen der Schilddrüsenfunktion und die juvenile idiopathische Arthritis sowie auch die Leukämie. Das Immunsystem funktioniert meist nicht so gut. Mehr als die Hälfte der Kinder weist eine Schlafapnoe auf. Auch verschiedene psychiatrische Erkrankungen wie Hyperaktivität, Störungen aus dem Autismus-Spektrum, Zwangsstörungen und Depressionen werden bei Kindern mit Down-Syndrom häufiger festgestellt. Kinder mit Down-Syndrom entwickeln sich langsamer als gesunde Kinder. Die meisten weisen eine leichte bis mittelgradige geistige Behinderung auf, weniger als zehn Prozent sind schwer geistig behindert. Abhängig von der Schwere der Begleiterscheinungen kann die Lebenserwartung eingeschränkt sein. Positiv fallen Kinder mit Trisomie 21 vielfach durch ihre Offenheit, Freundlichkeit, Zärtlichkeit und Heiterkeit auf. Viele lieben Musik und sind musikalisch begabt.

Therapie und Frühförderung Bereits John Langdon Down betonte in seiner ersten Beschreibung des Down-Syndroms 1866 die Lernfähigkeit der Kinder. Heute ist unbestritten, dass eine möglichst frühe und umfassende Therapie und Förderung wichtig sind, damit sie sich so gut wie möglich entwickeln können. Anders als noch zu Langdon Downs Zeiten können Fehlbildungen des Herzens und auch des Verdauungstrakts heute oft gut operiert werden. Für die Therapie der häufigen Infekte stehen bei Bedarf Antibiotika zur Verfügung. Zudem ist eine Behandlung der Hörstörungen möglich, was wiederum für die sprachliche Entwicklung essenziell ist. Hier spielt auch eine Therapie durch einen Kieferorthopäden eine Rolle, um den hohen, spitzen Gaumen beispielsweise mit einer Gaumenplatte zu behandeln.

Diese führt unter anderem zu einer besseren Position der Zunge im Mund und kann so neben der Sprache vermutlich auch die Schlafapnoe verbessern. Zentral ist auch eine logopädische Förderung. Beim Erlernen der Sprache hat es sich als hilfreich erwiesen, die Worte durch Gebärden zu unterstützen. Für die Entwicklung der motorischen Fähigkeiten sind Physio- und Ergotherapie wichtig. Zu den Zielen gehören hier die Stärkung der Muskulatur sowie eine Verbesserung der Koordination. Geborgenheit in der Familie und im sozialen Umfeld sowie Vertrauen zu den Therapeuten und ein Lernen ohne Druck wirken sich förderlich aus. Der Verlauf lässt sich nicht vorhersehen. Während manche Kinder in einem Regelkindergarten beziehungsweise einer Regelschule zurechtkommen und später einen Beruf erlernen, sind andere auf spezielle Einrichtungen und auch im Erwachsenenalter auf dauerhafte Betreuung angewiesen.

Pränataldiagnostik Schwangere können anhand des Ersttrimester-Screenings das Risiko für das Vorliegen eines Down-​Syndroms einschätzen lassen. Bei erhöhtem Risiko ist eine Fruchtwasseruntersuchung oder Chorionzottenbiopsie möglich, um den Verdacht zu bestätigen oder auszuschließen. Bereits seit einigen Jahren existiert zudem ein Test, der gefahrlos anhand einer Blutentnahme bei der Schwangeren einige Chromosomen-Anomalien des Ungeborenen nachweisen kann, darunter auch die Trisomie 21.

Im Herbst letzten Jahres hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Kassen und Kliniken beschlossen, dass dieser Test für Frauen mit Risikoschwangerschaften nach ärztlicher Beratung und in Verbindung mit bestimmten verpflichtenden Informationen zukünftig von der Krankenkasse bezahlt werden soll – voraussichtlich ab Ende 2020. Niemand muss ihn in Anspruch nehmen, es besteht weiterhin ein Recht auf Nichtwissen. Der Vorteil des Bluttests: Die Risiken einer Fruchtwasseruntersuchung können vermieden werden. Jedoch gibt es Befürchtungen, dass durch den nicht-​invasiven Test und den durch die Kostenübernahme erleichterten Zugang in Zukunft noch mehr Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben werden könnten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 68.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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