Der Feind in meinem Darm

EHEC UND DIE FOLGEN

Bisher hatten Vegetarier und Veganer gut lachen, denn Lebensmittelskandale gab es meist nur bei tierischen Produkten. Doch seit EHEC müssen sich auch die Gemüseesser vorsehen.

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Die EHEC-Epidemie erreichte am 23. Mai mit 157 Neuerkrankungen an einem Tag ihren Höhepunkt. Die Herkunft der „Enterohämorrhagische E. coli-Bakterien“ war lange Zeit ungewiss. Zunächst standen Tomaten, Salat und Gurken aus Spanien ganz oben auf der Verdachtsliste, doch nun scheint klar: Sprossen aus einem norddeutschen Betrieb sind schuld. Mittlerweile ist die Zahl der Neuerkrankungen wieder deutlich gesunken, vielleicht weil die Infektionsquelle versiegt ist oder sich Essgewohnheiten verändert haben.

Laut Robert Koch-Institut wurden in Deutschland über 3400 Infektionen und fast 40 Todesfälle verzeichnet, davon ein Großteil durch das von diesen speziellen Mikroorganismen verursachte hämolytisch-urämische Syndrom . Zwar gab es EHEC-Ausbrüche seit der Entdeckung des Bakterienstamms 1977 schon häufiger, doch waren bisher meist Kinder betroffen. Diesmal erkrankten hauptsächlich Erwachsene, Frauen dabei deutlich häufiger als Männer.

Lebensnotwendige und lebensgefährliche Bakterien Jeder Mensch hat Millionen von E. coli-Bakterien im Darm, denn sie sind für uns lebensnotwendig. So regen sie etwa die Bildung von Immunglobulin A an, einem Antikörper, der für die Abwehr von Krankheitserregern unverzichtbar ist. Zudem produzieren sie Vitamin K, das für die Blutgerinnung, das Zellwachstum und die Knochengesundheit wichtig ist. Der als probiotisches Arzneimittel eingesetzte Nisslestamm von E. coli lindert sogar nachweislich die Symptome chronischer Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa.

Doch neben den lebensnotwendigen E. coli-Stämmen gibt es auch krankheitserregende wie EHEC, deren Stamm O104:H4 als Auslöser für die lebensgefährliche Krankheit HUS gilt. O104:H4 ist eine Mischform aus mehreren pathogenen E. coli-Stämmen und hat bisher noch keinen eigenen Namen, Experten nennen ihn „HUS-assoziierte E. coli“ oder „STEC“, Shigatoxin produzierende E.coli.

Warum ist der neue EHEC-Stamm so gefährlich? Er verursacht ein besonders stark ausgeprägtes HUS, das in dieser Form noch nicht aufgetreten war, sodass kaum Erfahrungen mit der Behandlung bestehen. Für eine EHEC-Infektion reichen bereits zehn Bakterien aus, die über den Mund aufgenommen werden und sich in der Darmwand festsetzen. Dort scheiden sie ein giftig wirkendes Protein, das Shigatoxin aus, das die Zellen der Darmschleimhaut schädigt und die Wände der darin befindlichen Blutgefäße zerstört. Hierdurch sammelt sich mit Blut durchsetzte Flüssigkeit im Darmlumen an und es kommt zu blutigen Durchfällen.

Das Shigatoxin kann aber auch vom Darm in die Blutbahn übergehen und weitere Zellen im ganzen Körper angreifen. Hiervon sind vor allem die Nierenkörperchen betroffen, deren Aufgabe es ist, Giftstoffe aus dem Blut filtern. Werden sie geschädigt, verschlechtert sich die Nierenfunktion bis hin zum Nierenversagen, sodass der Körper mit Giftstoffen überschwemmt wird (Urämie). Das Shigatoxin zerstört zudem die roten Blutkörperchen (Hämolyse), indem es vermutlich das Komplementsystem der körpereigenen Abwehr dazu anregt, diese anzugreifen.

Da das Toxin auch die Wände kleiner Blutgefäße zerstört, kommt es im Körper vielfach zu Blutungen. Um diese Lecks zu schließen, produziert der Körper sehr große Mengen an Blutplättchen, wodurch jedoch das Risiko für Blutverklumpungen wächst, die zur Thrombose führen können. Darüber hinaus können sowohl das Toxin selbst als auch die durch den Ausfall der Nieren im Blut vorhandenen Giftstoffe das zentrale Nervensystem angreifen, wodurch neurologische Störungen wie etwa epileptische Anfälle ausgelöst werden. Todesursache bei HUS sind somit in der Regel Nieren- oder Multiorganversagen, innere Blutungen, Thrombosen oder einer Kombination dieser Symptome.

Begrenzte Therapiemöglichkeiten Der Einsatz von Antibiotika wird bei dieser EHEC-Infektion nicht empfohlen, da der Körper dann mit den Giften der zerstörten Bakterien regelrecht überschwemmt würde. Einigen Patienten half eine Behandlung mit dem Antikörper Eculizumab, der das Komplementsystem blockiert und so eine Zerstörung der roten Blutkörperchen verhindert. Neben Infusionen zum Ersatz der verlorenen Flüssigkeit und der Mineralien besteht die Behandlung in erster Linie aus dem Austausch des Blutplasmas mittels Plasmapherese um das Shigatoxin und die durch den Verlust der Nierenfunktion vorhandenen Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen. Gegen die erhöhe Thromboseneigung setzt man Heparin ein.

WAS SCHÜTZT VOR EINER INFEKTION?
Das Bakterium kann durch Hitze abgetötet werden. Fleisch sollte daher immer gut durchgebraten oder gekocht werden. Bei Gemüse kann Waschen oder Schälen nicht hundertprozentig vor dem Erreger schützen, sodass auch hier nur das Erhitzen Sicherheit gibt. Durch Kochen, Grillen oder Dünsten bei mindestens 70 °C über mehrere Minuten wird das Bakterium zuverlässig abgetötet. Pasteurisierte Lebensmittel sind ungefährlich, da sie bereits erhitzt wurden. Rohmilchprodukte sollte man hingegen meiden. Das Robert Koch-Institut warnt weiterhin vor dem Verzehr von Sprossen. Dies gilt auch für selbst gezüchtete, da bereits das Saatgut verunreinigt sein könnte. Küchenhygiene ist wichtig: Rohes Fleisch getrennt von anderen Lebensmitteln aufbewahren. Ebenfalls sollten niemals dieselben Küchenutensilien wie Brettchen oder Messer für rohes Fleisch und Gemüse verwendet werden.

Woran erkennt man eine EHEC-Infektion? Typisch sind wässrige, blutige Durchfälle, begleitet von Bauchschmerzen, Übelkeit und Fieber. Die Diagnose kann durch Abstrich oder immunologische Tests (z. B. ELISA) gestellt werden. EHEC-Infektionen sind seit 1998 meldepflichtig. Infektionsquellen sind kontaminierte Lebensmittel (Gemüse und Fleisch) oder auch verunreinigtes Wasser. Auch Schmierinfektionen von Mensch zu Mensch sind möglich, sodass Handhygiene oberstes Gebot ist. Ebenfalls wichtig: Bei länger anhaltendem, stärkerem Durchfall sollten keine durchfallhemmenden Medikamente wie Loperamid genommen werden, da sie bei einer EHEC-Infektion kontraproduktiv sein können. Lieber direkt zum Arzt gehen und die Durchfallursache abklären lassen!

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/11 ab Seite 64.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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