Schreiende Frau© Sophie Walster / iStock / Getty Images

Psychologie in der Apotheke

DRAMATIK, EGOZENTRIK UND MANIPULATION

Histrioniker möchten unbedingt im Mittelpunkt stehen, denn nur so fühlen sie sich wohl. Häufig schmücken sie daher ihre Geschichten so aus, dass sie möglichst viel Aufmerksamkeit gewinnen.

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Ein egozentrisches und theatralisches Verhalten – das kann typisch für eine histrionische Persönlichkeitsstörung sein. In anderen Worten: Hier hat man es mit Drama-Queens und -Kings zu tun. Anerkennung, Zuwendung, Applaus, Aufmerksamkeit und Komplimente sind ihr täglich Brot. Betroffene zeigen ihre Emotionen übertrieben stark und haben ein sehr hohes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Sie wirken unterhaltsam, extrovertiert und reißen andere Menschen mit sich, zusätzlich fallen sie auch durch positive Eigenschaften wie Spontanität, Kreativität, Romantik oder Herzlichkeit auf.

Nicht selten gelten Menschen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung als schillernd, faszinierend und bunt. Allerdings können bereits kleine Anlässe bei Histrionikern große Gefühlsschwankungen hervorrufen und sie wechseln oftmals zwischen verschiedenen Emotionen. Außenstehende empfinden dieses Verhalten nicht selten als oberflächlich.

Wie erkennt man Histrioniker? Zunächst fallen sie durch ihr übertriebenes, theatralisches Verhalten auf, welches von extremen Stimmungsschwankungen begleitet wird. Sie versuchen stets im Mittelpunkt zu stehen, wobei ihnen keine Mühe zu groß ist. Oft sind Histrioniker auf ihr optisches Erscheinungsbild fixiert und nutzen dieses ebenfalls, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Beispielsweise setzen sie dafür ihre Sexualität ein, flirten in unangemessenen Situationen oder täuschen sogar einen Suizid vor. Sie treten verführerisch auf, sind unterhaltsam, möchten andere Menschen mit ihrer positiven Stimmung anstecken, legen Wert auf Attraktivität und gutes Aussehen.

Ihre Art ist manipulativ und sie verfolgen das Ziel, selbst im Glanze dazustehen. Darüber hinaus setzen sie auch negative Strategien wie Jammern und Nörgeln ein, verhalten sich mitleiderregend, klagen über Symptome oder üben Macht und Kontrolle aus (zum Beispiel durch Klammern in Beziehungen). Ihre Frustrationstoleranz ist gering und sie ertragen es kaum, Niederlagen oder Rückschläge einzustecken. Sie sind meist nicht kommunikations- und bindungsfähig, zudem fehlt ihnen die Fähigkeit, Beziehungen langfristig zu führen. Betroffene inszenieren leicht Eifersuchtsdramen und machen ihren Freunden oder Partner eine Szene, sodass es in ihren Bindungen nicht selten zu Konflikten kommt.

Entsteht bei ihnen ein Leidensdruck, greifen Histrioniker auf ihre Überlebensstrategie, das Dramatisieren, zurück. In der Regel gelingt es ihnen dann, Anerkennung und Berücksichtigung zu erlangen. Je nach Ausmaß und Art der Strategien reagiert das Umfeld zunehmend jedoch genervt bis zurückweisend, beispielsweise, wenn Betroffene in der Nacht tränenüberströmt Bekannte anrufen. Bekommen Histrioniker keine Aufmerksamkeit mehr, steigt der Leidensdruck und mündet in einem Gefühl der Hilflosigkeit. Panikattacken, Angst, Depressionen oder Somatisierungsstörungen zählen zu den möglichen Folgen.

Definition laut ICD-10 Die histrionischen Züge können von Person zu Person unterschiedlich stark ausgeprägt sein, keine histrionische Persönlichkeitsstörung ist wie die andere. Nicht jeder, der entsprechende Merkmale aufweist, leidet direkt unter der Störung, stattdessen ist sie als Spektrum zu verstehen. Es handelt sich in der Regel um fließende Übergänge der verschiedenen Facetten. In der ICD-Klassifikation (F 60.4) ist die Störung als Persönlichkeitsstörung definiert, die durch oberflächliche und labile Affektivität, Dramatisierung der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebenen Ausdruck von Gefühlen, Suggestibilität, Egozentrik, Genusssucht, Mangel an Rücksichtnahme, erhöhte Kränkbarkeit sowie durch ein dauerndes Verlangen nach Anerkennung, äußeren Reizen und Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist.

Der US-amerikanische Psychologieprofessor Theodore Millon ordnete Personen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung dem aktiv-dependenten Muster zu. Aktiv sind Betroffene, weil sie sich in ihrem Auftreten nach anderen richten, als dependent gelten sie, da sie von der Reaktion ihrer Umwelt abhängig sind. Der Persönlichkeitsforscher Rainer Sachse unterscheidet hingegen zwischen erfolgreichen und erfolglosen Histrionikern. Zu der erfolgreichen Gruppen gehören solche Personen, die sich überwiegend mit positiven Strategien (und nur mit wenigen negativen) Respekt und Beliebtheit verschaffen. Erfolglose Histrioniker bedienen sich hingegen der negativen Strategien, belasten damit das Umfeld und werden eher abgelehnt.

Kategorisierung der Histrioniker 1996 haben Millon und Davis verschiedene Subtypen der histrionischen Persönlichkeitsstörung beschrieben: Personen vom theatralischen Typus schlüpfen in eine Rolle, die sie glaubhaft spielen. Kindlich-naive und trotzige Verhaltensmuster, emotionale Labilität, Verlustängste sowie Gefühle der Abhängigkeit sind charakteristisch für den infantilen Typus. Der schmeichelnde Typus ist auf der Suche nach Bewunderung und Anerkennung – daher zeigt er sich hilfsbereit und opfert sich für andere auf. Die Sucht nach Sensation und Aufregung kennzeichnet den hypomanen Subtypen, der auch durch seine Impulsivität sowie durch sein hohes Energielevel auffällt. Histrioniker, die ihre Mitmenschen manipulieren, kontrollieren und für ihre Zwecke missbrauchen, bezeichnet man als verschlagene Typen.

Psychotherapie Eine histrionische Persönlichkeitsstörung wird, wie die meisten anderen Persönlichkeitsstörungen, durch eine Psychotherapie behandelt. Sinnvoll kann eine psychodynamische Psychotherapie sein, die sich mit dem zugrundeliegenden Konflikt beschäftigt. Zunächst wird das Verhalten verbalisiert, damit Patienten sich selbst besser verstehen können. Sie sollen eigene Emotionen erkennen, benennen, betrachten und angemessen kommunizieren. Wichtig ist, dass Histrioniker lernen, ihre Gefühle und Bedürfnisse klar zu äußern, damit sie nicht in eine emotionale Drucksituation geraten und in alte Verhaltensmuster fallen. Auf diese Weise gelingt es ihnen nach und nach, weniger Dramen zu erzeugen. Mit der Zeit lernen sie auch, dass ihr dramaturgisches Verhalten unangemessen ist, um Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Bei einer kognitiven Verhaltenstherapie hingegen arbeitet der Therapeut mit dem Patienten an seinen hinderlichen Denk- und Verhaltensmustern, um die Selbstwahrnehmung zu verbessern und Konflikte adäquat zu lösen. Histrionische Menschen definieren sich stark über andere Personen, daher ist es für sie wichtig, dass sie lernen, alleine etwas zu unternehmen, etwa Spaziergänge, Museumsbesuche oder einen Wellnesstag. Dies ist für sie oft nicht leicht auszuhalten, denn es können Gefühle der Langeweile oder der Leere auftreten, die sie ertragen müssen, ohne ein Drama zu erzeugen. Ein Fokus liegt auch auf der Verbesserung des Selbstwertgefühls, schließlich nutzten sie bislang die Anerkennung anderer Menschen, um Minderwertigkeitsgefühle abzubauen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/2021 ab Seite 108.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

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