© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Der Apothekenkrimi

DIE MÖRDERBLUME – TEIL 7

WAS BISHER GESCHAH: Tödliches Ende eines Meditationswochenendes: Kollege Bernd Löwenstein lag am Morgen tot in seinem Bett. Die Apothekerin Britta Badouin weiß, wer ihn ermordet hat. Doch kann der Mörder dafür überhaupt haftbar gemacht werden?

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„Karl hat gesehen, wie Löwenstein den Hund getreten hat“, sagte Britta wie zu sich selbst. „So?“ fragte Jens gedehnt. „Was wirst du tun?“ „Ich werde das ganz allein entscheiden. Niemand kann Karl etwas beweisen.“ Mein Gott, dachte Britta, der macht das wirklich. Neben ihr wand sich Bruder Aloisius. „Jens…“ sagte er. „Die Tasse mit dem Tee ist weg. Ich werde jetzt anrufen“, sagte Jens und nahm den Hörer auf. Hielt inne, da auf dem Flur schnelle Schritte und das Getippel von Hundepfoten zu hören war. Karl riss die Tür auf und rief glücklich: „Chico geht es besser! Wie findet ihr das! Ich glaube, er wird wieder ganz gesund. Er kann schon wieder toll laufen!“ „Prima“, sagte Jens.

„Gehst du mal mit ihm in den Garten? Wir haben hier was zu besprechen.“ „Klar“, sagte Karl vergnügt. „Moment“, sagte Britta. „Würdest du mir einen Gefallen tun?“ Karl blieb abwartend stehen und sah sie aufmerksam an. „Na sicher.“ „Du weißt ja, dass man Dinge zurückgeben muss, die man sich ausgeliehen hat. Würdest du bitte den Mörser wieder in die Kräuterkammer zurückstellen? Alois hat ihn schon vermisst.“ „Klar, mach ich“, sagte Karl fröhlich. „Die Teebeutel auch?“ „Welche Teebeutel?“ Karl schüttelte über so viel Begriffsstutzigkeit den Kopf. „Für das Pulver von den Blumen. Das muss man doch in einen Teebeutel tun, sonst schwimmt es obendrauf.“ Als keiner mehr etwas sagte, drehte er sich achselzuckend um.

„Ich geh dann mal. Tschüss!“ Billie stand an der Kasse vor dem Erkältungsregal und redete in ihrer typischen, singenden Sprechweise mit einer älteren Frau, die sich ausdauernd die Nase putzte; Annette maß einem Kunden den Blutdruck. Der ein klein wenig schnaufende, etwas übergewichtige Mann hatte sich auf die Holzbank am Rand der Offizin fallen gelassen, während Annette ihm die Manschette aufzog. Es roch ein wenig nach Lavendel. Rieke, die PKA, zündete hinter den Kulissen gern mal die Duftlampe an. Britta blieb kurz in der Eingangstür stehen. Sie spürte, wie ihr Tränen den Hals heraufkrochen.

Sie schaute auf das Bild, das sich ihr bot, und konnte sich keinen Ort der Welt vorstellen, an dem sie lieber gewesen wäre. Bloß jetzt nicht weinen. Hier war sie in Sicherheit. Keine Tragödien, keine Polizeiverhöre, keine Giftmorde. Hier war einfach nur die Apotheke, in der sie ihr ganzes Berufsleben verbracht hatte. Annette sah überrascht hoch, ihre Lippen formten ein „o“. Doch professionell, wie sie war, bediente sie zuerst den Kunden zu Ende. Sagte ihm seinen Blutdruck, redete ein wenig mit ihm, dann schickte sie ihn hoch, zum Kardiologen. Zu Robert. Auch Billies Kundin verließ nun die Offizin. Die junge Apothekerin rief „Chefin! Sie sind schon wieder da? Was ist passiert? Sie wollten doch eine Woche bleiben!“

Britta schaute auf ihre Angestellten. Auch Rieke hatte sich nun neben Billie geschoben und sah sie fragend an. „Was passiert ist?“ Brittas Stimme klang ein wenig rau. „Ein Mord natürlich! Was sonst!“ Und dann rollten ihr doch ein paar Tränen herunter, sie schaffte es einfach nicht, das zu unterdrücken. Eine Stunde später hatte sich wieder gefasst. Sie saß im Nachtdienstzimmer, Annette, Billie und Rieke um sie herum. Jetzt, um die Mittagszeit, hatte die Apotheke für eine Stunde geschlossen, und Britta dankte dem lieben Gott dafür. Sie musste haarklein berichten. Vom Gutshof und deren Bewohnern, von den Tieren, vom Heilpflanzengarten.

Und natürlich von dem Drama, das sich ereignet hatte. Wie das Auto des Bestattungsunternehmers den toten Apotheker abgeholt hatte. Dass drei Polizeiwagen vor dem Eingang des Gutshofes geparkt hatten und Alfred gar nicht mehr wusste, welches er zuerst angreifen sollte. Von den kurzen Verhören, die stattgefunden hatten. Und sie würde nie vergessen, dass ein junger Polizist mit dem Hund spielte, damit er Karl nicht hinterherlief. Karl, der zwischen zwei Beamten zu einem der Einsatzwagen geführt wurde, und der ihr fröhlich zuwinkte. Jens, der sich in seinem Büro eingeschlossen hatte.

Aloisius, der im Garten ein Feuer entzündet hatte und den Inhalt einiger Blechdosen mit getrockneten Kräutern und Blüten den Flammen übergab. Der kleine Pharmazierat, der nervös in sein Handy tippte und überhaupt so aussah, als würde er gleich überschnappen. Und schließlich Wolf, den sie oben auf dem Dachboden fand, wo er im halben Lotussitz saß und aus dem Fenster starrte. Die drei Pharmazeuten hatten sich voneinander verabschiedet, etwas betreten und Augenkontakt vermeidend. Man hatte ihnen gesagt, sie sollten sich zur Verfügung halten an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten, aber es war ja alles klar, Tatursache und Täter waren zweifelsfrei ermittelt, die Gerichtsmedizin würde das belegen.

Britta grübelte immer noch über die Frage nach, ob man schuldlos schuldig werden konnte. „Wirst du den Kräutergarten aufgeben?“ hatte sie Aloisius gefragt. „Nein, wohl nicht. Aber ich werde nie wieder mit solcher Unbefangenheit, mit einem so reinen Gefühl….“ Er brach ab und schaute sie hilflos an. „Ich habe die Mönchspflanzen ausgegraben und vernichtet.“ Britta nahm ihn in den Arm. Sie hoffte, dass ihm kein Verfahren drohen würde. Und glaubte nicht daran, dass er je wieder die volkstümlichen Namen der Pflanzen auf seine Blechdosen schreiben würde. Als Britta fertig war mit Erzählen fragte sie: „Und wie ist es euch ergangen?“ „Alles ganz normal“, begann Billie in etwas gedämpfter Laune.

„Am Samstag war ganz schön viel los und im Notdienst hat mich ein Mann gefragt, ob ich mit ihm ausgehen wolle.“ „Und, wolltest du?“ „Nej“, lachte sie und schüttelte den Kopf, dass die blonden Haare flogen. „Auf keinen Fall! Der war zu dick und hat sehr nach Alkohol gerochen!“ Als Britta ihren drei Angestellten hinterherschaute, dachte sie: Was für ein Glück ich mit denen habe. Ich möchte sie nie und nimmer missen. Hoffentlich bleiben die bei mir. Und sie dachte an den verstorbenen Kollegen, den seine Truppe zum Meditieren geschickt hatte. In der Tür blieb Annette stehen und zögerte. Sie wartete, bis ihre Kolleginnen vorgegangen waren und drehte sich dann um. „Britta, Robert gefällt mir nicht. Der hat irgendwas“, sagte sie und blieb abwartend stehen.

„So? Was ist denn mit ihm?“ „Mhm.“ Annette überlegte. „Ich kann es dir gar nicht so genau sagen. Er ist… irgendwie anders. So in sich gekehrt. Er sieht schlecht aus, so grau im Gesicht. Weißt du, was los ist?“ „Keine Ahnung“, antwortete Britta nicht ganz wahrheitsgemäß. Annette warf einen prüfenden Blick auf ihre Chefin. Es war immer so ein schmaler Grat zwischen den beiden – wieweit durfte eine Freundschaft gehen, wenn man auch beruflich miteinander verbunden war? Annette entschied wohl, dass sie nichts anging, was sie vermutete. „Na, dann will ich mal raus. Ich arbeite noch bis vier, dann muss ich den Kleinen abholen.“ „Klar“, sagte Britta. „Ich bin ja jetzt wieder da, du kannst auch früher gehen.“ „Ach“, sagte Annette und gab sich jetzt doch einen Ruck. „Lass mal. Kümmer dich lieber um die Sachen, die liegengeblieben sind.“ 

Mit einem Nicken verschwand sie in die Offizin. Um sechs schloss die Apotheke. Britta entließ Rieke und Billie in den Feierabend, ließ alle Gitter herunter und zählte selbst die Kassen. Sie trug die Zahlen ins Kassenbuch ein, startete das Backup der Computer und schaltete dann den Monitor, an dem sie gearbeitet hatte, aus. Jetzt gab es nichts mehr zu tun. Nur noch das eine. Britta erhob sich und ging durch die Verbindungstür ins Treppenhaus. Oben in der Praxis fuhr die letzte Arzthelferin – Britta nannte sie immer noch so, obwohl es doch mittlerweile „medizinische Fachangestellte“ hieß – ebenfalls die Computer herunter.

Die Praxis war leer. Gleich würde die Frau von der Reinigungsfirma kommen und mit ihrem gut bestückten Putzwagen durch die Gegend wirbeln. „Ach, hallo“, grüßte das junge Mädchen. „Sind Sie schon wieder da?“ „Ja“, sagte Britta. „Das Seminar war früher zu Ende.“ „Der Doktor ist noch hinten, er liest irgendwelche Arztbriefe. Es tut ihm bestimmt gut, wenn sie ihn besuchen, er sieht ein bisschen gestresst aus.“ „Ich schau mal nach ihm“, sagte Britta und spürte, dass ihr Puls sich erhöhte. Robert hob den Kopf, als sie den Raum betrat. Die Schreibtischlampe des Tisches, an dem er saß, war noch an, die Deckenlampe hingegen ausgeschaltet.

So lag die Behandlungsliege mit dem großen, verglasten Schrank in diffusem Dämmer, während das kaltweiße Licht der LED-Leuchten vor ihm einen Halbkreis auf die ausgebreiteten Dokumente warf. Die Maske des Computers war noch an. Irgendeine Statistik. Er sagte nichts, sah sie nur stumm an. Sein Gesicht ist wirklich ganz grau, dachte Britta. So fertig hab ich ihn noch nie gesehen, nicht mal nach der Geschichte am Mainufer, kurz bevor er zur Polizei ging.

Roberts Augenränder waren gerötet; er, der sonst eine stringente, energiegeladene Art hatte und sich niemals gehen ließ, ließ nun kleine Anzeichen der Verwahrlosung erkennen: Die Krawatte hing etwas schief herunter, die beiden obersten Hemdsknöpfe waren geöffnet (sonst war es, wenn überhaupt, immer nur einer!) und Robert hatte sich nicht rasiert. Seine untere Gesichtshälfte wurde doch tatsächlich von einem Dreitagebart bedeckt, so etwas hatte sie überhaupt nur ein einziges Mal erlebt: als er aus einem mehrtägigen Polizeigewahrsam entlassen worden war. Britta setzte sich zu ihm an den Schreibtisch. „Darf ich?“ fragte sie. Robert nickte.

„Bitte.“ Am Ton seiner Stimme war nichts zu erkennen. Vielleicht hat er ja auch genug von mir? überlegte Britta, wusste aber instinktiv, dass dem nicht so war. Dieser Mann wartete auf eine Antwort. Wie fing sie das bloß an? „Es ist was mit meinem Herz“, sagte sie. Robert nahm die randlose Brille ab, die er jetzt seit neustem beim Lesen trug und schaute sie an. „So? Was denn?“ „Ich weiß nicht. Es stolpert manchmal. Kannst du mal nachschauen?“ Robert, der nicht so genau wusste, was er von der Sache halten sollte, nahm nach kurzem Zögern seine Uhr vom Handgelenk, legte sie vor sich hin und griff dann nach ihrem rechten Arm.

„Ich werde dir jetzt den Puls messen“, sagte er. Er legte zwei Finger auf die Arteria radialis, wartete fünfzehn Sekunden ab und lehnte sich dann mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck zurück. „Es sind keine Unregelmäßigkeiten zu erkennen“, sagte er. „Um genaueres zu erfahren, müsste ich ein EKG schreiben, das ist aber schon aus.“ Dann hielt er kurz inne. „Vielleicht schlägt es ein bisschen schnell, dein Herz“, sagte er. Britta strich sich das Haar aus der Stirn. Sie wollte jetzt, in diesem entscheidenden Moment, nun wirklich keine Locken im Auge haben, die ihr die Sicht versperrten.

Sie sah auf den Mann vor sich, die scharfen Falten um die Mundwinkel, die fahle Haut, die leicht wässrigen Lidränder. Alles ihretwegen. Und sie gestand sich ein, dass sie ihn liebte. „Deins auch?“ fragte sie. Robert brauchte drei Sekunden, dann erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. „Ja“, sagte er strahlend. Er stand auf und breitete die Arme aus. „Komm her.“ Britta flog ihm entgegen, etwas kitschig ist das Ganze hier, dachte sie noch, wir sind doch beide nicht mehr jung… aber dann küsste Robert sie und sie ihn und sie vergaßen ein wenig die Zeit. Standen beieinander und flüsterten sich blödsinnige Dinge ins Ohr.

Solche Dinge, die sich verliebte Menschen zu allen Zeiten ins Ohr geflüstert haben und die für Außenstehende keinen Sinn ergeben. Britta kuschelte sich eng an ihn und fragte sich, wie sie je hatte zweifeln können. Bloß weil sie mal mit einem anderen verheiratet war. Was hatte denn das eine mit dem andern zu tun. Robert küsste ihr Haar und Britta öffnete einen weiteren Hemdknopf, um die Hand darunter zu schieben. Die Dinge nahmen ihren Lauf, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Der Deckenfluter flammte auf, tauchte den Raum in gleißendes Licht und eine erschrockene Stimme fragte: „Huch! Kann ich jetzt hier putzen oder brauchen Sie noch?“ Am Tag, an dem sie das Schild „Wegen Familienfeier geschlossen“ an die Tür hingen, hatten sie bis mittags geöffnet.

Britta, die bereits beim Friseur gewesen war und die hoffte, dass kein Windstoß das Kunstwerk auf ihrem Kopf zerstören würde, saß an ihrem Schreibtisch, schon in das taubengraue Wickelkleid gewandet, das sie gleich auf dem Standesamt tragen würde. Dieses befand sich praktischerweise direkt neben der Apotheke am Marktplatz. Sie brauchten nur hinüberzugehen, Robert machte auch gerade Schluss, oben, in seiner Praxis. Britta betrachtete versonnen den Brief vor sich, ein Brief, der ihr sehr viel bedeutete, brachte es doch etwas zum Abschluss, dass noch in ihr gärte. „Liebe Britta“, stand da. Britta setzte sich lieber mal die Brille auf.

Es war an der Zeit dafür, Robert hatte schließlich jetzt auch eine. „Wir alle können uns vorstellen, dass du gern hören möchtest, wie es mit dem Gut und seinen Bewohnern weitergegangen ist. Es ist natürlich viel passiert. Das Wichtigste: Jens ist wieder der Alte. Er hat es am Anfang sehr schwer genommen und ich glaube, er war dir auch sehr böse. Jetzt aber, da doch einige Zeit vergangen ist, erkennt er, dass die Last der Verantwortung von ihm genommen ist. Karl lebt jetzt in einer geschlossenen Einrichtung. Es geht ihm gut, nur seinen Chico und die andern Tiere vermisst er natürlich. Klar, er kann für seine Tat nicht verantwortlich gemacht werden.

Aber andere passen jetzt auf ihn auf. Ich selbst bin zu einer Geldstrafe verurteilt worden; natürlich hätte ich die Tür zur Kräuterkammer verschlossen halten müssen. Unsere Gemeinschaft hat dafür gezahlt, denn wir stehen alle füreinander ein. Ich lebe weiterhin hier und pflege meinen Garten – nur die Giftpflanzen, die habe ich aus ihm entfernt. Als ich Karl neulich besuchte - er darf ein paarmal im Monat Besuch haben - fragte er mich nach der „Mörderblume“. „Was meinst du?“ fragte ich. „CvierunddreißigHsiebenundvierzigNOelf. Tu sie weg. Ist nicht gut.“ „Mach ich“, sagte ich ihm. Er wusste immer noch die Summenformel von Aconitin.“

Britta ließ Aloisius‘ Brief sinken. Gut Emmenau war in eine neue Zeit gestartet, sie war so froh. Die Bürotür öffnete sich und Robert stand im Türrahmen. Auch er hatte sich umgezogen; er trug einen hellgrauen Anzug mit Weste und weißem Oberhemd; seine Krawatte changierte in einem ganz leichten, pastelligen Türkis. Zusammen mit dem weißen Haar sah das wirklich umwerfend aus. Robert lächelte sie an und Brittas Herz begann wieder schneller zu schlagen. „Hast du die Ringe?“ fragte er. Britta öffnete ihre Schreibtischschublade und holte das schwarzsamtene Kästchen heraus. „Hier“, sagte sie. „Dann wollen wir mal“, sagte Robert und bot ihr den Arm. Damit endet unser Apothekenkrimi „Die Mörderblume“. Treue LeserInnen wissen: Es ist bereits der vierte. Sobald Britta und Robert ihre Flitterwochen hinter sich haben, geht es weiter, versprochen! 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/18 ab Seite 100.

Damit endet unser Apothekenkrimi „Die Mörderblume“. Treue LeserInnen wissen: Es ist bereits der vierte. Sobald Britta und Robert ihre Flitterwochen hinter sich haben, geht es weiter, versprochen!

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