© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Repetitorium

DIE LEBER – TEIL 3

Nehmen wir einen Arzneistoff auf – sei dies oral, über die Haut oder die Lunge – muss er den Körper auch wieder verlassen. Zuvor erfahren die meisten Wirkstoffe eine Umwandlung, damit dies leichter vonstatten geht. Die Leber spielt hier eine zentrale Rolle.

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Ein jeder, der in der Apotheke zu Arzneimitteln und deren Einnahme berät, musste sich während seiner Ausbildung in das Fachgebiet der Pharmakokinetik einfuchsen. Die Lehre beschreibt die Gesamtheit aller Prozesse, denen ein Arzneistoff im Körper unterliegt. Das zweite große Teilgebiet der Pharmakologie ist die Pharmakodynamik. Sie geht weniger der Frage nach „Was macht der Organismus mit dem Wirkstoff?“, wie es die Kinetik tut. Sondern vielmehr „Was macht der Wirkstoff mit dem Organismus?“. In Bezug auf die Leber ginge es dabei also um die Veränderungen, die eine Pharmakotherapie an dem Organ auslösen kann und welche Auswirkungen dies auf den weiteren Verlauf einer Erkrankung, einer Therapie, aber auch auf andere eingenommene Arzneimittel hat.

Bei einem Medikationscheck wird das Augenmerk also auf ein mögliches pharmakodynamisches Arzneimittelinteraktionspotenzial gelegt. In der Praxis kommt es jedoch häufiger zu pharmakokinetischen Interaktionen, also zu einer gegenseitigen Beeinflussung zweier oder mehrerer Arzneistoffe, die deren Freisetzung (Liberation), Aufnahme (Absorption/​Resorption), Verteilung (Distribution), Metabolisierung (Biotransformation) oder Ausscheidung (Elimination) betrifft. Geht man bei einem Interaktionscheck alle Stationen dieses LADME-​Modells durch, kann man im Grunde nichts übersehen. In den meisten Fällen wird man aber bei der Biotransformation, also den Umwandlungs- und Abbauprozessen eines Arzneistoffes in der Leber, hängen bleiben. Denn der Großteil aller Interaktionen liegt einer Induktion oder Inhibition am Cytochrom P450-System der Leber zugrunde.

Biotransformation Alles Fremde, was in den Organismus gelangt, muss irgendwann auch wieder raus. Ebenso körpereigene Stoffe, die ihren Dienst getan haben und nicht in einem Kreislauf aufgenommen und wiederverwertet werden können. In einem geringen Umfang tragen die Galle (biliäre Elimination) und die Lunge (pulmonale Elimination) zur Ausscheidung bei. Den größten Teil stemmt jedoch die Niere (renale Elimination). Das funktioniert am besten mit möglichst wasserlöslichen Stoffen. Der Job der Leber ist es also, lipophile Substanzen in hydrophilere Varianten umzubauen, damit sie besser durch die Niere eliminiert werden können. Und das geschieht in zwei Schritten: Phase-I-​Reaktionen (Oxidation, Reduktion, Hydrolyse) und anschließende Phase-II-Reaktionen (Konjugatbildung mit körpereigenen Stoffen).

In der ersten Phase werden die Verbindungen chemisch verändert, beispielsweise Sauerstoff addiert, Halogen-, Alkyl- oder Aminogruppen abgespalten, Ester oder Amide aufgespalten. Am Ende jeder dieser chemischen Veränderungen sollte eine der folgenden funktionellen Gruppen entstanden sein: -OH, -NH2, -SH, -COOH. Sie sind reaktiv und eignen sich als Kupplungspartner. In Phase II kommt noch ein Anker aus einer körpereigenen Substanz dran, in der Regel ein aktiviertes Glucuronsäuremolekül. Aber auch Methyl-, Ac(ety)l- oder Sulfatgruppen sowie Glutathion oder Aminosäurereste kommen in Frage. Nun ist die Niere bereit, die Substanz auszuscheiden. Weist diese von Beginn an bereits eine gewisse Hydrophilie auf, entfällt die Phase-I-Reaktion.

An einigen Stellen in der Literatur wird noch die Phase-III-Reaktion aufgeführt. Diese beinhaltet den Transport der Konjugate über Lymphsysteme, den Blutkreislauf oder spezielle Transporter zu ihren Eliminationsorten. Generell liegt der Sinn der Biotransformation in der Entgiftung des Körpers, sodass Stoffe in inaktive Metaboliten überführt werden. Doch kann es natürlich ebenso sein, dass durch die Umwandlungsprozesse lediglich weniger aktive Metabolite, Stoffwechselprodukte, die in ihrer Aktivität mit der Ursubstanz vergleichbar sind, oder sogar erst durch die Biotransformation aktive Metabolite aus zuvor inaktiven Ursubstanzen entstehen. So resultieren aus Aflatoxinen (Toxinen aus Schimmelpilzen) erst nach Umwandlung in der Leber hochreaktive, leberschädigende Moleküle.

Dieser Vorgang nennt sich Biotoxifizierung und ist für viele Umweltgifte bekannt. Man kann sich den Vorgang aber auch zu Nutze machen und die Pharmakokinetik eines Wirkstoffs optimieren. Bei Prodrugs handelt es sich um weniger aktive Vorstufen eines Arzneistoffs, die erst durch Biotransformationsprozesse in ihre aktive Form gebracht werden, ein Beispiel wäre Omeprazol. Dadurch lässt sich die Resorption und Bioverfügbarkeit eines Arzneimittels erhöhen oder auch die Selektivität. Bei einem Chemotherapeutikum können auf diesem Weg aber auch beispielsweise die unerwünschten Wirkungen reduziert werden – zum Beispiel wenn die Substanz erst vor Ort durch Enzyme der Tumorzelle aktiviert wird.

Für den Abbau von Medikamenten wichtige CYP450-Isoenzyme sind:
CYP3A4es baut rund die Hälfte aller Arzneistoffe ab,
CYP2D6ist relevant für den Abbau von Opioiden, Tamoxifen oder Metoprolol,
CYP2C9verstoffwechselt Steroidhormone, Fettsäuren, aber auch Ibuprofen oder Sulfonylharnstoffe,
CYP2C19wird benötigt für die Aktivierung von PPI oder Clopidogrel, aber auch für den Abbau der Chemotherapeutika Cyclophosphamid und Thalidomid,
CYP1A2das bedeutsam für eine Therapie mit Duloxetin oder Theophyllin ist – vor allem, wenn der Patient raucht, denn dies beschleunigt den Abbau der Arzneistoffe.

Dauerhafte Baustelle In den 1960er Jahren entdeckten Forscher ein CO-bindendes Pigment mit Proteinstruktur in Leberzellproben. Beim Bestrahlen mit UV-Licht zeigte es bei 450 Nanometern sein Absorptionsmaximum. Es erhielt daher später den etwas sperrigen Namen Cytochrom (= farbiges Protein), P (= Pigment), 450 (Absorptionsmaximum bei 450 nm) – oder kurz CYP450. Mittlerweile sind rund 60 Subtypen der Proteine bekannt, die sich in der Regel aus etwa 500 Aminosäuren zusammensetzen und in ihrem aktiven Zentrum ein Eisen(III)-Ion tragen – wie bei Hämoglobin ist dieses in einen Porphyrin-Ring integriert. Die Chromoproteine kommen praktisch in allen Körperzellen vor, doch gehäuft in der Membran des Endoplasmatischen Retikulums von Hepatozyten.

Dort sind sie für die Oxidation körpereigener und körperfremder Stoffe (wie Arzneistoffen) zuständig und damit wichtiger Teil der Phase-I-Reaktion der Biotransformation. Die zentral ablaufende Reaktion sieht bei diesen Monooxygenasen folgendermaßen aus:
R-H + O2 + NADPH + H+ ➞ R-OH + H2O + NADP+
R steht dabei für einen beliebigen Rest, bei NADPH handelt es sich um das Co-Enzym, das für den Elektronenaustausch benötigt wird. Das können aber auch Flavine, Flavoproteine oder Eisen-Schwefel-Proteine sein. Sie stellen die Elektronen bereit, die zum Oxidieren der abzubauenden Substanz (hier R-H) benötigt werden, wodurch sie selbst reduziert werden – eine klassische Redox-Reaktion.

Hintenraus kommt ein Alkohol, der hydrophiler ist und damit besser eliminiert werden kann. Daneben sind sie aber auch an der Produktion körpereigener Stoffe beteiligt, zum Beispiel von Steroidhormonen, Prostaglandinen, Retinoiden oder Vitamin D3. Die beim Menschen bislang entdeckten Cytochrome P450 erhielten alle eine eigene Bezeichnung, die einer bestimmten Systematik folgt, die sich nach der jeweiligen Aminosäuresequenz des Proteins richtet: Auf das Gensymbol CYP folgt eine Zahl für die Familie, ein Buchstabe für die Unterfamilie und eine Nummer für das einzelne Enzym. Ein Beispiel: CYP3A4 gehört demnach zur Familie 3, zur Unterfamilie A und ist das 4. Enzym dieser Unterfamilie.

Hemmen geht schneller als aktivieren Die Wahrscheinlichkeit einer unerwünschten Arzneimittelinteraktion steigt mit der Zahl der eingenommen Medikamente. Ab fünf verschiedenen Wirkstoffen sind sie kaum auszuschließen – zumal sich nicht nur Rx-Präparate gegenseitig beeinflussen, sondern auch Interaktionen mit OTC-Medikamenten oder Nahrungsmitteln möglich sind. Doch nicht jede Interaktion ist klinisch relevant. Eine erste Einschätzung liefert die ABDA-Datenbank. Sie gehört zu den umfangreichsten, frei zugänglichen Datenbanken und ist bei vielen Apothekenkassenprogrammen bereits zugeschaltet.

So können Sie bereits im Kundenvorgang einen ersten Check durchführen und gefährliche Wechselwirkungen vermeiden. Die Einschätzungen der Datenbank reichen von „schwerwiegende Folgen wahrscheinlich – kontraindiziert“ und „vorsichtshalber kontraindiziert“ über „Überwachung/Anpassung notwendig“ oder „vorsichtshalber überwachen“ zu „ in der Regel keine Maßnahme erforderlich“, bei einigen Systemen werden die Einstufungen auch durch ein Ampelsystem verstärkt. Sollte sich Ihre Apotheke dazu entschließen, Interaktionschecks als Serviceleistung anzubieten, empfiehlt sich die unterstützende Anwendung anderer Programme.

Diese sind zum Teil kostenpflichtig (z. B. www.mediQ.ch), teilweise kostenfrei (z. B. www.drugs.com/drug_interactions.php) und verfügen über zusätzliche Informationen. Klinisch bedeutsame Wechselwirkungen sind immer dann zu erwarten, wenn sich die Konzentration eines Wirkstoffes stark verändert und/oder der Wirkstoff über eine enge therapeutische Breite verfügt. Es kann sowohl eine verminderte Wirksamkeit als auch ein Wirkstoffanstieg in den toxischen Bereich stattfinden – in der Praxis wird meistens, bei ansonsten guter Verträglichkeit der Medikation, lediglich erst dann umgestellt, wenn der letzte Fall eintritt.

Bei verminderter Wirksamkeit kann auch eine Dosisanpassung bei gleichbleibender Rahmen-Medikation stattfinden. Zu einem Konzentrationsanstieg kommt es dann, wenn das Enzym, das hauptverantwortlich für den Abbau des Wirkstoffes ist, gehemmt wird. Diese CYP-Hemmung beginnt in der Regel innerhalb von Minuten bis Stunden nach erster Einnahme des Inhibitors – kann unter Umständen also rasch klinisch relevant werden. So zum Beispiel bei herzwirksamen Glykosiden wie Digitoxin, bei denen bereits eine leichte Dosisüberschreitung zu Vergiftungssymptomen führen kann. Eine Enzyminduktion setzt dagegen häufig um Tage bis Wochen verzögert ein, wird also – wenn überhaupt – erst spät bemerkt.

Das liegt daran, dass die Induktion nicht auf einem verstärkten Abbau des Substrats durch die vorhandenen Enzyme beruht, sondern auf einer gesteigerten Produktion der CYP. Der Induktor greift an einem Transkriptionsfaktor des CYP-Gens an, löst so das verstärkte Ablesen des Genabschnitts entlang der DNA aus und führt letztlich zu einer gesteigerten Produktion des jeweiligen CYP-Enzyms. Das dauert natürlich ein bisschen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Induktion auch nach Absetzen des Induktors – also nach Umstellung der Medikation – noch wochenlang anhalten kann.

Bedeutsam wird dies beispielsweise bei Wirkstoffen, die nach einer Transplantation die Abstoßung des transplantierten Organs verhindern sollen – bei Ciclosporin können wochenlang anhaltende niedrige Spiegel zu ernsthaften Konsequenzen führen. Induktoren für CYP3A4 sind unter anderem Rifampicin, Barbiturate und Carbamazepin, aber auch Johanniskrautextrakte, die in vielen Fällen als OTC-Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel erhältlich sind.

Vor allem letztere haben Kunden nicht immer auf dem Schirm, daher lohnt es sich manchmal nicht nur zu fragen, welche anderen Arzneimittel eingenommen werden, sondern ob sich Kunden auch Präparate in Drogerien oder Supermärkten kaufen. Andere Cytochrome P450 werden auch durch Nahrungs- oder Genussmittel in ihrer Aktivität verstärkt. Rauchen kann zum Beispiel zu einer vermehrten Bildung von CYP1A2 führen, ebenso wie der Verzehr von Brokkoli oder Rosenkohl. Man denke auch an den klassischen CYP3A4-​Inhibitor Grapefruitsaft.

Starke und schwache Metabolisierer Abgesehen von einer Hemmung oder Aktivierung, kann es auch innerhalb einer CYP-Familie zu Abweichungen in der Aktivität kommen. Denn einige Cytochrome weisen eine größere genetische Vielfalt auf als andere. Das bedeutet, dass es beim Ablesen der betreffenden Genabschnitte häufiger zu stärker beziehungsweise weniger aktiven Varianten des Enzyms kommen kann. In der Genetik spricht man von einem Polymorphismus, eine natürlich vorkommende genetische Abweichung innerhalb einer Population. Polymorphismen kommen häufig bei CYP2D6 und CYP2C19 vor. Durch die genetischen Muster lässt sich der Metabolisierungsstatus einer einzelnen Person bestimmen.

Also eine Voraussage darüber treffen, mit welcher Geschwindigkeit diese Person einen Arzneistoff umsetzen kann. Im Fall von CYP2D6, das beispielsweise relevant für die Umsetzung von Tamoxifen, Opioiden oder trizyklischen Antidepressiva, klassischen Neuroleptika und Monoaminoxidasehemmer ist, lassen sich vier Typen unterscheiden:

  • Langsame Metabolisierer (poor metabolizer, PM; etwa sieben Prozent der Bevölkerung) bilden inaktive Proteine und der Metabolismus verläuft extrem langsam. Bei Standarddosierungen steigt die Wirkstoffkonzentration daher leicht in den toxischen Bereich, andererseits werden Prodrugs nicht ausreichend aktiviert.
  • Intermediäre Metabolisierer (intermediate metabolizer, IM; etwa 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung) verstoffwechseln Medikamente nur mit reduzierter Aktivität.
  • Extensive/normale Metabolisierer (extensive metabolizer, EM; etwa 80 Prozent der Bevölkerung) zeigen Standardaktivität.
  • Ultraschnelle Metabolisierer (ultrarapid metabolizer, UM; etwa 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung) weisen mehrere Gene auf, die Proteine mit hoher Aktivität hervorbringen. Die Standarddosis wird also zu schnell abgebaut, Prodrugs in einem höheren Umfang aktiviert.

Die Verteilung zeigt grenzüberschreitende Abweichungen. Innerhalb der nordafrikanischen Bevölkerung gibt es beispielsweise einen deutlich höheren Anteil an ultraschnellen Metabolisierern als in Deutschland. Sollte also eine Therapie ohne sonstige Gründe nicht anschlagen oder besonders schlecht vertragen werden, kann eine Genotypisierung, also eine genetische Bestimmung des Metabolisierungsstatus sinnvoll sein. Moderne Testverfahren garantieren eine sichere Bestimmung für CYP2D6 und CYP2C19 mit lediglich einer Blutprobe des Patienten.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/2020 ab Seite 86.

Farina Haase, Apothekerin/Redaktion

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