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Drogen

DIE EGO-SUBSTANZ

Sie ist untrennbar mit Yuppies, Promis und Feierwütigen verbunden: Kokain, die „Hallo-Wach“-Droge. Unter ihrem Einfluss hält man sich für leistungsfähiger, als man ist – eine gefährliche Fehleinschätzung.

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Kokain ist ein Alkaloid, das aus den Blättern des Kokastrauchs gewonnen wird. Das Rauschmittel wurde wahrscheinlich erstmals 1859 in Deutschland vom Göttinger Apotheker Albert Niemann isoliert. Er gab dem Kokain auch seinen Namen, das seinen Siegeszug zunächst als Arzneimittel antrat. Erst therapierte man damit Morphiumsüchtige und Depressive. Später erkannte man seine schmerzstillende Wirkung und setzte es als Lokalanästhetikum ein, vor allen Dingen bei Augenoperationen.

Am bekanntesten wurde Kokain wohl als Inhaltsstoff von Coca-Cola, die den Namen auch an den Wirkstoff anlehnte. Kokain galt als bewährtes Mittel gegen Kopfschmerzen, Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Ein Glas Coca-Cola enthielt bis zum Jahr 1902 angeblich noch etwa 8,5 Milligramm Kokain. Zum Vergleich: Eine Schnupfdosis beträgt zwischen 20 und 30 Milligramm. Ab 1902 ersetzte Coca-Cola den Inhaltsstoff durch einen alkaloidfreien und damit nicht süchtig machenden Extrakt des Kokastrauchs. Die Firma selbst streitet bis heute ab, dem Getränk jemals Kokain zugesetzt zu haben.

1914 verbaten die USA das Alkaloid als Zusatz in Arzneimitteln und Getränken. Auch die europäischen Gesetze zum Kokainkonsum wurden strenger, als das Suchtpotenzial des Wirkstoffes bekannt wurde. Er gehört in Deutschland zu den im Betäubungsmittelgesetz aufgeführten illegalen Substanzen.

Vom Strauch zum Pulver Der Kokastrauch ist in Südamerika seit über 2500 Jahren heimisch. Die Blätter wurden schon von den Inka für rituelle Zwecke konsumiert, meist wurden sie verbrannt und der Rauch inhaliert. Noch heute kauen die Bergbewohner Südamerikas Kokablätter gegen die Höhenkrankheit. Die Blätter des Strauches enthalten etwa ein Prozent Kokain, bei der Extraktion wird es mit Wasser und Schwefelsäure zu Kokainsulfat angereichert. Für den internationalen Drogenmarkt wird das Kokainsulfat größtenteils zu Kokainhydrochlorid, einem Salz der Salzsäure, weiterverarbeitet.

Das Kokainhydrochlorid gelangt, mit Streckmitteln versetzt und in pulverisierter Form, als „Kokain“ auf den Markt. Kokainhydrochlorid ist gut wasserlöslich und ist daher zum Schnupfen oder Injizieren gut geeignet. Rauchen kann man es nicht, da es sich erst bei einer Temperatur von 195 °C verflüchtigt und dann sehr schnell verbrennt. Zum Rauchen wird das Alkaloid entweder mit Salmiakgeist oder Natron aufgekocht. Dadurch entsteht die Kokainbase, auch „freebase“ genannt.

Die chemische Verbindung mit Natron besitzt eine spezielle Eigenschaft – nachdem das Wasser verdunstet ist, bleiben kleine Körnchen übrig, die bei knapp unter 100 °C mit einem knackenden Geräusch verdampfen. Dieser Laut, auf Englisch „to crack“, gab dieser Kokainform ihren Namen.

Wirkung abhängig von der AufnahmeformAm gängigsten ist das „Sniefen“, bei dem man das Kokainhydrochlorid über die Nase konsumiert. Dazu werden ungefähr 20 Milligramm Kokain in einer Linie über ein hohles Röhrchen in die obere Nasenhöhle aufgesogen. Der Rest wird meist auf das Zahnfleisch gerieben, dort wirkt er, ein wenig langsamer, über die Mundschleimhäute. Die Wirkung tritt nach ein paar Minuten ein und hält etwa 20 bis 60 Minuten an.

Rauchen am gefährlichsten
Die letale Dosis Kokain liegt beim Sniefen bei etwa 1,2 bis 1,4 Gramm, beim Injizieren bei etwa 0,8 Gramm. Die Überdosis durch das Rauchen von Kokain kann kaum bestimmt werden, da die Droge durch die Inhalation sehr individuell wirkt. Eine Überdosierung zeigt sich in unkontrolliertem Zittern, Pupillenerweiterung, Krämpfen und Herzrasen. Allerdings sterben nur sehr wenige Menschen an einer Überdosis. Die Todesursachen sind eher eine Kombination mit weiteren Drogen wie Heroin oder Alkohol oder der Zusatz anderer Lokalanästhetika wie Lidocain, mit denen man Kokain häufig streckt.

Beim Spritzen wird in etwa dieselbe Menge wie beim Sniefen aufgelöst und injiziert. Schon nach einigen Sekunden tritt eine sehr heftige Reaktion ein, die man auch als „Kick“ oder „Rush“ bezeichnet. Dafür ebbt die Wirkung jedoch bereits nach etwa zehn Minuten ab. Beim Rauchen führen sich die Konsumenten ungefähr die zehnfache Menge, also etwa 250 Milligramm, zu, wobei der „Kick“ ebenfalls nach einigen Sekunden eintritt.

Der Kick im Gehirn Kokain verstärkt die Wirkung der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin an den Rezeptoren, indem es ihre Wiederaufnahme in die präsynaptischen Speicher hemmt. Dadurch kommt es zu einer massiven Stimulation des zentralen Nervensystems. Sie äußert sich in Euphorie, Wachheit, Bewegungsdrang, fehlendem Hungergefühl und einer gesteigerten Konzentrationsfähigkeit. Diese Eigenschaften machten Kokain zur Modedroge für Yuppies, „young urban professionals“, die dadurch ihre Leistung über das normale Maß hinaus steigern wollten.

Bei chronischem Abusus oder zu hoher Dosierung können die positiven Gefühle jedoch in Größenwahn und ein gefährliches Gefühl der Unverwundbarkeit umschlagen. Nahrungs- und Schlafentzug führen häufig zu Mangelerscheinungen, Halluzinationen und Aggressivität. Da dem Hochgefühl nach dem Ende der Wirkung häufig eine als „Crash“ bezeichnete depressive Stimmung folgt, wünscht man sich sofort einen erneuten Kick. Kokain macht daher sehr schnell süchtig und verleitet gerade psychisch labile Menschen zum chronischen Abusus.

Die Droge kann zudem bei dauerhaftem Konsum durch das Sniefen die Schleimhäute und Nasenscheidewände schädigen, Psychosen sind ebenfalls recht häufig. Durch die starke Stimulation des zentralen Nervensystems kommt es beim langfristigen Kokainmissbrauch zum typischen Dermatozoenwahn, das heißt, die Betroffenen haben das Gefühl, Insekten würden unter ihrer Haut herumkrabbeln.

Kurz „high“, aber lange „down“ Kokain erhöht die Pulsfrequenz und verengt die Blutgefäße, daher kann chronischer Konsum durch Folgeschäden wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Lungenblutungen oder Atemstillstand zum Tode führen. Zudem können psychische Folgen wie Depressionen oder Psychosen Kokainsüchtige in den Suizid treiben. Das Alkaloid ist immer noch eine recht teure Droge, sodass die Sucht Menschen auch finanziell ruinieren kann. Gepaart mit den für chronischen Konsum typischen Kontaktstörungen ist Kokain ein „stiller Killer“, der auf Dauer zur völligen sozialen Isolation führen kann. Dieser kann man nur durch einen erneuten „Kick“ entkommen – der klassische Teufelskreis der Drogenabhängigkeit.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/13 ab Seite 70.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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