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Digitalisierung

DIE BERATUNG WIRD VIELSCHICHTIGER

Die traditionell im Herbst in Frankfurt stattfindende Inspirato-Veranstaltung stand dieses Jahr unter dem vielsagenden Titel: „Zukunft Apotheke – change or go: Trends und Treiber im dynamischen Healthcare-Markt“.

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Aufschlussreich war insbesondere der Themenblock „Zukunft Apothekenberatung“. Die Herangehensweise an das Thema war mehr oder weniger zweigeteilt: Während sich beispielsweise Oliver Leisse, Geschäftsführer von „See more Future Research & Development“ eher abstrakt mit allgemeinen Entwicklungen des digitalen Wandels beschäftigte, zeichnete Jochen Schlindwein, Vice President bei Merck Consumer Health ganz konkret sämtliche Kommunikations-​Kanäle auf, die eine Kundin möglicherweise durchläuft, wenn sie das Produkt femibion® erwerben möchte.

Die aktuelle Situation in Zahlen Zunächst wies Schlindwein darauf hin, wie man mit der Digitalisierung generell umgehen sollte. Nach seiner Ansicht sollte man die Digitalisierung weniger als ein „Ding sehen, sondern eher als einen Weg, wie man etwas tut.“ Doch schon mit der Beantwortung der Frage, wie digital Pharmaindustrie, Endverbraucher und Apotheken zwischenzeitlich schon geworden sind, lieferte Schlindwein Fakten. Folgende Prozentzahlen charakterisieren die aktuelle Situation: Pharmaindustrie 90 Prozent wollen mehr in die Digitalisierung investieren, 71 Prozent entwickeln gerade digitale Strategien, 33 Prozent arbeiten an digitalen Pharmazie-Konzepten.

Apotheken 20 Prozent der Apotheker arbeiten bereits mit digitalen Konzepten, wogegen 70 Prozent diese für nicht wichtig halten, 65 Prozent der Apotheken haben einen online-shop (das ist aber noch kein digitales Konzept), 49 Prozent der Apotheken investieren in soziale Medien. Endverbraucher 7 Prozent der Konsumenten haben schon pharmazeutische Apps verwendet und 37 Prozent erwägen, das künftig auch zu tun, 71 Prozent der Endverbraucher haben bereits Medikamente online bestellt, 52 Prozent der Endverbraucher denken, dass Apotheken auf die Digitalisierung gut vorbereitet sind.

Nach der Auflistung dieser Prozentzahlen erinnerte Schlindwein daran, wie schnell sich die Einkaufswege verändert haben: War die Welt der neunziger Jahre noch weitgehend eindimensional, startete 2000 der E-Commerce, der sich schon zehn Jahre später in Form des Multi-Channel-Einzelhandels ausdifferenzierte. Natürlich hatte diese Entwicklung Auswirkungen auf das Marketing, das ab 2015 über alle Kanäle kommuniziert wurde. Typisch für dieses „Omnichannel Marketing“ sind folgende Merkmale: Es wird vom Endverbraucher als ganzheitliche Erfahrung mit in sich stimmigen Inhalten wahrgenommen. Der Abruf der Informationen ist mühelos und es werden individualisierte Lösungen angeboten. „Omnichannel Marketing“ wird beispielsweise über YouTube, Smartphones, Onlineshops, soziale Medien und Alexa verbreitet.

Präzise angepasstes Marketing Vor dem Hintergrund all dieses Wissens, werden dann genau angepasste Marketing-​Strategien entwickelt. So wird in diesem Fall zuerst der deutsche Vitamin-Markt für Schwangerschaftsvitamine geclustert und beispielsweise genau erfasst, wie viele deutsche Frauen aktuell schwanger sind, wie viele eine Schwangerschaft planen und wie viele gerade Mutter gewordene Frauen ihre Babys stillen. Im nächsten Schritt wird das finanzielle Volumen ermittelt, das in diesem Markt erwirtschaftet werden kann. Danach werden in exakten Prozentzahlen die Gewichtungen der verschiedenen Einkaufswege (Präsenzapotheke, Versandapotheke und andere Verkaufsstellen) erforscht.

Gleichzeitig wissen die Marketing-Spezialisten, dass die Schwangerschaft in der Regel als emotionale Achterbahn erlebt wird und die Frauen ein hohes Bedürfnis nach beruhigenden Informationen haben. Und natürlich können die Experten bei der eher jungen Zielgruppe eine hohe Affinität gegenüber digitalen Berührungspunkten wie beispielsweise Facebook, Internet oder Austausch per Mail voraussetzen. Ebenfalls bekannt sind die verschiedenen Wege, um sich das gewünschte Produkt zu besorgen: Traditionell in der Apotheke, in Drogerie- und Supermärkten oder per Onlinebestellung.

Individualisierte Ansprache Die Krönung der exakt dem Markt angepassten Marketing-​Maßnahmen ist die individualisierte Kundinnen-Ansprache per App. So wird die Konsumentin schon auf der Startseite mit „Willkommen“ angesprochen. Und unmittelbar nach der Online-​Registrierung erhält sie ein Begrüßungsgeschenk und kann nun Inhalte lesen, die auf ihre persönliche Lebenssituation zugeschnitten sind. Handelt es sich beispielsweise um eine arbeitende schwangere Frau, wird ihr auf dem Smartphone ein Artikel zum Lesen angeboten, der ihr erklärt, mit welchen Klamotten sie auch während ihrer Schwangerschaft „stylish im Job“ ist.

Auf ihrem Online-​Konto kann sie auch die Quittungen ihrer Einkäufe hochladen, entsprechende Punkte sammeln und bekommt als Dankeschön beispielsweise dann ein kostenloses Probe-Päckchen zugeschickt. Versteht sich von selbst, dass zur perfekten Kundenbindung auch die Ansprache über sämtliche „Omnichannel Marketing“-Kanäle genutzt wird. Im Zusammenhang mit diesen Formen des modernen Marketing sollte eine PTA im Hinterkopf haben, wie vorinformiert ihre Kundin möglicherweise ist, um das Kundengespräch entsprechend ge- schickt aufzubauen.

Visionen für eine nicht allzu weit entfernte Zukunft Während man bei Merck noch darum bemüht ist, alle Möglichkeiten der aktuellen Digitalisierungslage zu nutzen, ging es im Vortrag des „Zukunftsforschers“ Oliver Leisse eher darum, Trends zu erkennen, die teilweise heute schon vereinzelt Realität sind: Zum Beispiel wird bei der Deutschen Bank der Schalterhallen-Charme beim Kundengespräch gerade durch eine Wohnzimmer-Atmosphäre ausgetauscht.

Zum Beispiel prognostiziert das internationale Wirtschaftsprüferunternehmen PricewaterhouseCoopers, das im Zusammenhang mit Robotern und Künstlicher Intelligenz schon in naher Zukunft jeder fünfte (!) seine Arbeit verlieren wird. Zum Beispiel hatte die amerikanische Bank Goldman Sachs bis vor kurzem 600 Aktienhändler auf dem Börsenparkett, heute sind es nur noch zwei. Algorithmen erledigen die Arbeit der anderen 598!

Rasante Änderung der Apothekenwelt Auch die Welt der Apotheken wird sich verändern müssen. So zeigte sich Leisse davon überzeugt, dass bei der Beratung neue Skills gefragt sind. Erforderlich sind „mehr Psychologie (die neue Welt wird verstörend sein)“ und das Apothekenteam benötigt künftig „mehr Überblick über Health-Gadgets“. Beinahe beiläufig stellte der Referent die Frage, ob bekannt sei, was die neue Apple Watch kann? Die Antwort: Sie kann bereits heute das Vorhoffflimmern eines Herzens erkennen!

Ausmerzung aller Krankheiten – was dann? Ein utopisch anmutendes Chart war besonders aufrüttelnd: „Wenn es uns gelingt, die mRNA wie eine Software zu programmieren, ändert sich alles. (Für Pharma-Unternehmen und Apotheken.)“ Anstelle der Be- kämpfung von Krankheiten könnte unter solchen Vorzeichen das Verbesserungspotenzial von uns Menschen im Fokus stehen. Leisse nannte auch schon die entsprechenden Begrifflichkeiten.

Es ginge dann um: Moodtuning, also eine Beeinflussung unserer Stimmung, Mindcoaching, also eine Art geistige, anleitende Beratung zur Findung eigener Lösungen, Mindboosting, also eine allgemeine Stärkung unseres Geistes. Letztlich würde die Art und Weise der Profitmaximierung auch im Apothekenbereich in eine „Glücks“maximierung münden, lautete die These des Vortragenden. Konkret zusammengefasst wurde das auf einem der letzten Charts: „Das nächste große Projekt der Menschheit ist die Suche nach Glück. Somit ein neu entstehendes Geschäftsfeld.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/18 ab Seite 126.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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