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Schlaf – Teil 5

DER VERLUST DER MITTE

Bei manchen Schlafstörungen schlafen Betroffene zu viel, bei anderen zu wenig. In ganz schweren Fällen sogar gar nicht mehr. Das ist mit dem Leben nicht vereinbar.

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Glücklicherweise ist die fatale familiäre Insomnie extrem selten. Die Prävalenz wird auf weniger als 1:1 000 000 geschätzt, weltweit sind lediglich 27 Fälle dokumentiert. Bei dieser Form der Insomnie lässt sich die Schlaflosigkeit durch keine Therapie lindern und ist von Träumen und Halluzinationen begleitet. Dazu kommen vegetative Störungen wie der Verlust des zirkadianen Rhythmus und eine gesteigerte Aktivität des Sympathikus. Schließlich nehmen motorische Störungen zu, spät im Verlauf tritt eventuell eine Demenz auf.

Die fatale familiäre Insomnie führt innerhalb von Monaten bis wenigen Jahren zum Tod, das mittlere Erkrankungsalter liegt bei rund 50 Jahren. Die Erkrankung gehört zu den Prion-Krankheiten, die durch Mutationen im Prion-Proteingen PRNP auf Chromosom 20 ausgelöst werden. Das Prion-Protein kommt natürlicherweise in gesundem Gewebe vor. Bei bestimmten Mutationen kann es pathogene Formen annehmen. Zu den Prionkrankheiten gehören außerdem die verschiedenen Formen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sowie das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom. Bis heute gibt es für Prionkrankheiten keine Therapie.

Narkolepsie Im Gegenteil dazu schlafen Betroffene mit Hypersomnie zu viel. Zu den bekanntesten Schlafstörungen dieser Gruppe gehört die Narkolepsie. Patienten leiden an einer übermäßigen Tagesschläfrigkeit und können nicht verhindern, dass sie im Laufe des Tages – auch in unpassenden Situationen – immer wieder einfach wegnicken. Das ist meist das erste und bekannteste, aber bei Weitem nicht das einzige Symptom der Narkolepsie: Bei den meisten Betroffenen erschlaffen zudem, häufig ausgelöst durch starke Gemütsregungen, plötzlich einzelne Muskeln oder Muskelgruppen .

Bei manchen lässt die Muskelspannung in allen Muskeln gleichzeitig so vollständig nach, dass sie zu Boden sinken. Dabei bleiben sie bei vollem Bewusstsein. Nach einigen Minuten kehrt die Muskelspannung zurück. Manche Patienten führen in einem Zustand der Schläfrigkeit ihre aktuelle Tätigkeit fort, wobei es jedoch auch zu sinnlosen Handlungen kommen kann. Je etwa die Hälfte der Betroffenen berichtet über Schwierigkeiten während des Übergangs zwischen Wachen und Schlafen: Sie können sich in diesem Zeitraum nicht bewegen und/oder haben Halluzinationen, häufig begleitet von Ängsten.

»Eine Hypersomnie kann auch eine Nebenwirkung von Medikamenten sein, etwa von Hypnotika, Psychopharmaka oder Antihypertonika.«

Schließlich können etwa 50 Prozent aller Patienten mit Narkolepsie nachts nicht durchschlafen. Gefährlich kann es werden, wenn Betroffene beispielsweise am Steuer oder beim Bedienen von Maschinen einnicken. Auch beim Fortsetzen von Handlungen, dem sogenannten automatischen Verhalten, können Betroffene sich und andere in Gefahr bringen. Schätzungsweise leben etwa 40 000 Menschen mit Narkolepsie in Deutschland.

Die Erkrankung kann sehr unterschiedlich schwer ausgeprägt sein. Man vermutet, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der sich das Immunsystem irrtümlicherweise gegen Hypocretin-produzierende Neurone im Gehirn wendet. Außerdem weisen 98 Prozent aller Betroffenen einen bestimmten HLA-Typ auf. Den hat allerdings ein Viertel aller Deutschen, ohne Narkolepsie zu erkranken.

Die Behandlung setzt sich aus nichtmedikamentösen sowie medikamentösen Bausteinen zusammen. So sind regelmäßige Schlafenszeiten und eine gute Schlafhygiene für Betroffene wichtig. Vielen hilft es zudem, wenn sie zu bestimmen, für sie optimalen Zeiten am Tag schlafen. Zudem ist es von Vorteil, wichtige Termine möglichst auf Tageszeiten zu legen, zu denen erfahrungsgemäß die geringste Neigung einzuschlafen besteht. Gegen die Tagesschläfrigkeit können Stimulanzien eingesetzt werden. Auch die übrigen Symptome lassen sich teilweise pharmakologisch lindern.

Idiopathische Hypersomnie Betroffene Patienten neigen ebenfalls dazu, tagsüber immer wieder einzuschlafen – vorzugsweise in monotonen Situationen. Allerdings fühlen sie sich danach, anders als jene mit Narkolepsie, nicht erholt. Morgens sind viele außerordentlich schlaftrunken. Ein Teil der Patienten schläft darüberhinaus nachts deutlich länger als die üblichen acht Stunden. Die Diagnose „idiopathische Hypersomnie“ wird gestellt, wenn andere Ursachen für die Tagesschläfrigkeit wie eine Narkolepsie oder schlafbezogene Atmungsstörungen ausgeschlossen wurden. Die Therapie erfolgt ähnlich wie bei der Narkolepsie.

Kleine-Levin-Syndrom Eine besondere Form der Hypersomnie stellt das Kleine-Levin-Syndrom dar: Es betrifft hauptsächlich männliche Jugendliche und tritt periodisch immer wieder für einige Tage bis Wochen auf. Während der hypersomnischen Phasen schlafen Betroffene bis zu 20 Stunden, stehen nur auf, um etwas zu essen oder zur Toilette zu gehen und sind häufig verwirrt, apathisch und verlangsamt. Dazu können Enthemmungsphänomene wie Fresssucht oder Hypersexualität auftreten.

Zwischen den einzelnen hypersomnischen Episoden können Wochen bis Jahre liegen. Bei etwa drei Viertel der Patienten beginnt die Krankheit nach einem Infekt, weshalb eine autoimmune Ursache vermutet wird. Medikamente wie Stimulanzien oder Lithium sind begrenzt wirksam. Meist verschwindet die Erkrankung nach einigen Jahren wieder. Eine Hypersomnie kann auch eine Nebenwirkung von Medikamenten sein, etwa von Hypnotika, Psychopharmaka oder Antihypertonika.

Aktuell können Heuschnupfengeplagte bestätigen, dass auch viele Antihistaminika so müde machen, dass sie tagsüber nur zu gern zwischendurch ein Nickerchen einlegen würden. In manchen Fällen ist es möglich, auf alternative Präparate auszuweichen. Schließlich kann eine Hypersomnie als Folge einer traumatischen Schädigung des Gehirns auftreten und mehrere Wochen bis Monate anhalten.

Wachtherapie Viele organische und auch psychische Erkrankungen gehen mit sekundären Schlafstörungen einher. Paradox erscheint die Situation bei der Depression: Hier gehören Ein- und Durchschlafstörungen sowie frühmorgendliches Aufwachen zu den typischen Symptomen. Trotzdem lässt sich die Depression ausgerechnet durch Schlafentzug zumindest kurzfristig bessern.

Im Rahmen der sogenannten Wachtherapie bleiben Patienten entweder die ganze Nacht oder zumindest die zweite Nachthälfte wach. Am darauffolgenden Tag fühlen sie sich regelmäßig so gut wie lange nicht – allerdings nur bis zum Einschlafen am Abend. Die Wachtherapie wird unterstützend eingesetzt, um Betroffenen die Zuversicht zu geben, dass sie wieder gesund werden können.

Die anderen Teile der Artikelreihe finden Sie hier:
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/15 auf Seite 98.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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