Mann mit Schubkarre im Garten.© Oxana Medvedeva / iStock / Getty Images

Bücher, von denen man spricht

DAS KLUGE, LUSTIGE, SEHR LANGE LEBEN

Das Thema ließ sie wohl nicht los: Klaus Brinkbäumer, der ehemalige Chefredakteur des SPIEGEL, und seine Frau Samiha Shafy haben ein Buch über Hundertjährige geschrieben. Und sind dafür rund um die Welt gereist.

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Manchmal antworten sie nicht, mal sitzen sie im Rollstuhl, dann wieder kläfft der Hund dazwischen und manchmal schlafen sie auch ein: Menschen, die um die hundert Jahre alt sind, sind auch immer ganz spezielle Interviewpartner. Aber dann gibt es auch diese: Die Krankenschwester, die immer noch arbeitet und darüber ganz den Termin mit Klaus und Samiha vergessen hat. Der Friseurmeister, der immer noch jeden Arbeitstag in den Salon geht, sich niemals krank meldet.

Die Dame, die davon abrät, bei jedem „Wehwehchen“ eine Tablette zu nehmen: „Wenn Sie mal krank sind, sollten Sie das ausprobieren.“ Betty Halbreich, die, obwohl längst im Pensionsalter, immer noch als Modeberaterin im Nobelkaufhaus Bergdorf Goodman arbeitet, und zwar Vollzeit. Sie alle haben eine Geschichte zu erzählen.

Und während das Autorenduo herauszufinden versucht, wie denn das möglich ist, hundert Jahre alt zu werden, haben all ihre Interviewten ähnliche Erzählungen und erstaunliche Gemeinsamkeiten. Die Gene, so wie allgemein angenommen wird, sind es jedenfalls nur zum Teil. Es kommt auch noch ein bisschen Glück dazu. Wollen Sie wissen, was die halbe Miete, also mindestens ein Drittel der Faktoren darstellt auf dem Weg zur Hundert?

Tipps für ein langes Leben Da ist zum einen die richtige Ernährung, so eine Art Diätkultur. Gemüse, Tofu, Obst: Auf Okinawa beispielsweise, der japanischen Insel, auf der besonders viele Hundertjährige leben, wächst alles, was gesund ist. Traurig, aber wahr: Tabak, Alkohol und Koffein sind tabu. Allerdings bestätigen hier Ausnahmen die Regel, denn manche der Oldies in diesem Buch waren in jüngeren Jahren kein Kind von Traurigkeit - haben es allerdings auch nie übertrieben.

Und kleine Essensportionen, die sind schlau. Dr. Makoto Suzuki (auch schon 85), der sein Leben dem Geheimnis der sehr alten Menschen gewidmet hat, zitiert hier das japanische Sprichwort „Hara huchi bu“: Iss nur so lange bis dein Magen zu 80 Prozent gefüllt ist. Der durchschnittliche Erwachsene, so hat er ausgerechnet, nimmt auf Okinawa knappe 1900 Kalorien pro Tag zu sich. In den USA ist es das Doppelte.

Bewegung, auch geistig Und Bewegung ist natürlich wichtig. „Es muss nicht Sport sein, aber der Mensch hat Beine, damit er geht“, formuliert es Brinkbäumer: „Und der Mensch kann schwimmen und wenn nicht, kann er’s lernen.“ Außerdem wichtig: Mentale und soziale Gesundheit. „Ikigai heißt hier das Zauberwort.“ Es meint unsere Leidenschaft, unsere Mission, im besten Fall den Beruf, unsere Liebe. Ikigai, das ist die Kunst, zugleich bedingungslos und entspannt genau das zu tun, was uns etwas bedeutet, was uns glücklich macht.

Es hört übrigens nie auf: In Japan gibt es nicht mal ein Wort für Ruhestand oder Rente, denn es liegt ja wohl im Wesen des ikigai, dass eine Berufung niemals endet. Daraus folgt auch: Stirbt einmal die Neugier, stirbt auch der Geist und dann der Körper. „Wir müssen uns auch im geistigen Sinne bewegen“, sagt Dr. Suzuki. Man muss in der Lage sein, Niederlagen und Trauer irgendwann hinter sich zu lassen. Familie und Freunde sind wichtig, gleichgesinnte Menschen. Auch Konzentration gilt als neuer Schlüssel zum Glück.

Dr. Suzuki, verschmitzt: „Das Telefon wegzulegen und sich voll und ganz einer Sache hinzugeben ist sehr, sehr gesund.“ Nicht zu vergessen: Der ungestörte Schlaf. Und zwar ohne Smartphone auf dem Nachttisch. Nun könnte man sagen: Wie bitte soll das gehen – neugierig zu sein, wenn man nichts mehr hört und sich nur sehr eingeschränkt bewegen kann? Hier ist die Antwort sehr klar.

Alle befragten Wissenschaftler plus das Autorenteam sagen: Wer noch klar denken kann, dem müssen Gelegenheiten gegeben werden, sich an der Gesellschaft zu beteiligen. Bewegung ist wichtig, wie auch immer sie aussehen mag. Und, ganz profan: Hörgeräte können Leben retten, da Depressionen dann entstehen, wenn Menschen keinen Input mehr bekommen, beispielsweise weil sie nichts hören.

Humor hilft Auffallend bei allen der zahlreichen Interviews: Diese Hundertjährigen jammern nicht. Nicht über den Krieg, nicht über die fehlenden Zähne, nicht über die Ungerechtigkeiten des Lebens. Auch wenn es platt klingt: Sie nehmen das Leben, wie es gekommen ist, wie es gerade läuft und wie es werden wird. Eine bekräftigt entschlossen: „Ich sage niemals: Ich kann nicht laufen. Ich sage: Ich muss laufen.“ Humor, das hilft wohl auch beim friedlichen Älterwerden, er gehört zu den „gesunden Anpassungen“, befindet der 83-jähige Altersforscher George Vaillant: Selbstlosigkeit und die Fähigkeit, negative Gefühle in etwas Positives umzuwandeln, ebenfalls.

Die Bewohner Okinawas haben da noch etwas erfunden, was sich als Blaupause auch für die westliche Welt eignet, nämlich das Moai-System. Das meint, dass Menschen zusammenkommen, gemeinsam essen, diskutieren, versuchen Probleme zusammen zu lösen. Und in Naha, der größten Stadt auf Okinawa, hat man Moai speziell angepasst: Gruppen von Menschen mit gemeinsamen Interessen treffen sich einmal im Monat; sie alle zahlen einen kleinen Beitrag, mit welchem dann jenen im Kreis, die Sorgen haben, geholfen werden kann. „Moai ist die moderne Familie, denn Einsamkeit ist schlimm und Isolation tötet“, befindet Dr. Suzuki.

Sie geht arbeiten, Vollzeit Die oben erwähnte Betty Halbreich steht mit ihren 88 Jahren noch mitten im Arbeitsleben und eigentlich wollten sie Brinkbäumer und Shafy gar nicht dazu nehmen, weil sie so ein „junger Hüpfer“ ist. Sie sagt: Würde sie nicht mehr arbeiten, dann würde sie zu Hause hocken und aus dem Fenster gucken und lesen. Dann würde sie zu den Stimmen des Radios irgendwann einschlafen und nicht mehr aufwachen „und kein Mensch würde es bemerken“.

Doch, sie passt auf sich auf, aber nicht manisch: Hier und dort ein Wodka, hin und wieder eine Süßigkeit seien schon okay. Ansonsten: viel Gemüse und wenig Fleisch, selbst gut kochen und Essen beim Lieferservice bestellen: „Wichtig: das beste und nicht das billigste.“ Ob sie glücklich sei, fragen die Autoren. „Im Kontext meines Lebens, ja. Zufrieden. Ich wurde nicht dazu geboren, glücklich zu sein. Ich habe mich glücklich gearbeitet.“

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 04/2022 ab Seite 92.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Klaus Brinkbäumer, Samiha Shafy Das kluge, lustige, gesunde, ungebremste, glückliche, sehr lange Leben – Die Weisheit der Hundertjährigen.
Eine Weltreise Taschenbuch Fischer Taschenbuch Verlag, 448 Seiten, 13 Euro ISBN: 978-3-596-70197-1

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