Frau sitzt auf Sofa © fizkes / iStock / Getty Images
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Schwangerschaftsabbruch

DAS ABTREIBUNGSDILEMMA

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes soll es zwischen Januar und September 2018 in Deutschland 76 365 Schwangerschaftsabbrüche gegeben haben. Zuvor haben Betroffene wohl eine der schwierigsten Entscheidungen in ihrem Leben getroffen.

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Im Januar ist das „Oldenburger Baby“ Tim (* 6. Juli 1997 in Oldenburg; † 4. Januar 2019 in Quakenbrück) im Alter von 21 Jahren an einem Lungeninfekt verstorben. Eigentlich sollte es das Licht der Welt nie erblicken, denn als seine Eltern in der 25. Schwangerschaftswoche erfuhren, dass Tim unter dem Down-Syndrom leidet, entschieden sie sich für eine Abtreibung. Doch der Junge war von Anfang an ein Kämpfer: Er wurde mit einer Größe von 32 Zentimetern und einem Gewicht von 690 Gramm im Rahmen einer Spätabtreibung geboren – und lebte noch. Daraufhin wickelte man ihn in warme Tücher ein, saugte die Atemwege frei und wartete auf den sicher eintretenden Tod. Anstatt zu sterben, verbesserten sich Tims Vitalwerte nach fünf Stunden, dennoch wurde er erst vier Stunden später auf die neonatologische Intensivstation gebracht.

Die Strapazen des Schwangerschaftsabbruchs, der Geburt sowie die mangelnde medizinische Versorgung hatten zur Folge, dass er zusätzlich unter Autismus, Schädigungen der Lunge, der Augen sowie unter Fehlstellungen der Füße litt. 1997 wurde Tim nach einem achtmonatigen Aufenthalt in der Oldenburger Kinderklinik von Pflegeeltern aufgenommen, die sich ursprünglich ein Mädchen ohne Behinderung wünschten. Doch als sie Tim zum ersten Mal sahen, wussten sie, dass er fortan zur Familie gehören würde. Tim hatte in der Pflegefamilie ein erfülltes Leben und starb im Alter von 21 Jahren, obwohl die Ärzte ihm damals lediglich ein Lebensjahr prognostiziert hatten. „Es waren 21 superglückliche, schöne Jahre“, erzählt Bernd Guido, Pflegevater des verstorbenen Tim.

Definition und Gesetzgebung Ein Schwangerschaftsabbruch wird auch als Abtreibung, Interruptio, Abruptio graviditatis oder induzierter Abort bezeichnet und kennzeichnet sich durch das Beseitigen der Leibesfrucht, wobei der Fötus den Vorgang in der Regel nicht überlebt. Die Zulässigkeit der Methode unterliegt immer wieder gesellschaftlichen und politischen Debatten. Ethische und religiöse Ansichten, das Lebensrecht des Embryos, das Selbstbestimmungsrecht der Frau oder gesellschaftliche Ansprüche werden dabei kontrovers beurteilt.

Laut Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich für alle Beteiligten strafbar (§ 218 Strafgesetzbuch). Es gelten jedoch Ausnahmen: Die Schwangere muss den Abbruch selbst verlangen und sich mindestens drei Tage zuvor in einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen. Auch bei medizinischen (Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes) oder kriminologischen Indikationen (zum Beispiel nach einer Vergewaltigung) ist ein Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig.

Wie läuft ein Schwangerschaftsabbruch ab? Die Abtreibung findet in den meisten Fällen nach der Beratungsregel statt, erfolgt frühestens am vierten Tag nach dem entsprechenden Gespräch und wird von einem Mediziner durchgeführt. Vom Zeitpunkt der Befruchtung an dürfen nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein, darüber hinaus ist es Pflicht, dass Betroffene eine Beratungsbescheinigung vorlegen.

Verschiedene Verfahren Der chirurgische, instrumentelle Abbruch mittels der Absaugmethode ist die gängigste Variante und kann innerhalb kürzester Zeit unter lokaler Betäubung oder unter Vollnarkose ambulant durchgeführt werden. Dabei wird ein Saugröhrchen durch die Vagina der Frau in die Gebärmutter appliziert, um das Schwangerschaftsgewebe, bestehend aus dem Fruchtsack mit dem Embryo und der Gebärmutterschleimhaut, abzusaugen. Vorher erhalten Schwangere unter Umständen eine geringe Dosis eines Prostaglandins, um die Aufdehnung des Muttermundes zu erleichtern. Die Scheide wird mit Hilfe eines Spekulums offen gehalten, sodass die Gebärmutter sichtbar bleibt. Nach der Absaugung macht der Arzt einen Ultraschall und ermittelt, ob eine weitere Absaugung oder eine Ausschabung (Kürettage) zurückgebliebener Gewebereste notwendig ist.

Komplikationen treten bei dieser Methode nur selten auf, vereinzelt leiden Frauen im Anschluss an Gebärmutterkrämpfen, die mit Menstruationsbeschwerden vergleichbar sind. Ein Schwangerschaftsabbruch ist auch medikamentös möglich und zwar mit der sogenannten Abtreibungspille, die das künstlich hergestellte Hormon Mifepriston enthält. Die Substanz ist ein Gegenspieler zum schwangerschaftserhaltenden Gestagen Progesteron und bewirkt, dass der Fötus aus der Gebärmutter herausgelöst wird und innerhalb von 36 bis 48 Stunden stirbt. Nach diesem Zeitraum erhält die Frau ein Prostagladin: Der Muttermund erweicht, die Wehen setzen ein und das tote Embryo sowie das Schwangerschaftsgewebe werden aus der Gebärmutter ausgestoßen.

Die Abtreibungspille darf nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche zum Einsatz kommen, für die Anwendung des Abtreibungsmedikaments gelten die gleichen gesetzlichen Voraussetzungen wie für jeden anderen Schwangerschaftsabbruch. Ein Nachteil der Methode besteht darin, dass sich der Prozess über mehrere Tage erstreckt (der Abbruch selbst dauert zwei bis vier Tage) und durchschnittlich vier Arztbesuche nötig sind. Die oben bereits erwähnte Kürettage wird heutzutage kaum noch als alleinige Methode zum Schwangerschaftsabbruch gebraucht. Sie wird vor allem dann durchgeführt, wenn nach einer Abtreibung Reste des Embryos oder andere Gewebereste entfernt werden müssen.

Qualvolle Entscheidung Bei Tims Abtreibung handelte es sich um eine sogenannte Spätabtreibung, bei welcher das Kind im Mutterleib getötet wird und unter der Verabreichung von Wehenmitteln (Prostaglandine) als Totgeburt zur Welt kommt. 1997 ging man noch davon aus, dass Föten, die an der Grenze ihrer Lebensfähigkeit sind, die Geburt nicht überleben. Heutzutage injiziert man dem Embryo zuvor Kalium ins Herz, sodass dieses aufhört zu schlagen. Erst dann wird es unter Mithilfe der Mutter tot geboren. Eine Spätabtreibung ist für Schwangere emotional sehr belastend und stellt ein traumatisches Erlebnis im Leben einer Frau dar. Sie hat im Laufe der Monate eine emotionale Bindung zum heranwachsenden Kind aufgebaut, sodass der Verlust meist mit starken Trauergefühlen einhergeht.

Auch die Geburt, bei der die Mutter aktiv mithelfen muss, ist eine physische und psychische Herausforderung. Ein Spätabbruch ist theoretisch bis zur Geburt erlaubt und findet beispielsweise statt, wenn beim ungeborenen Kind eine Behinderung diagnostiziert wird. Hier liegt eine medizinische Indikation vor, die so begründet wird, dass der Frau körperliche und seelische Schäden drohen, wenn sie das Kind weiter austrägt. Die starke emotionale Belastung, die ein Spätabbruch nach sich zieht, sollte bei der Beratung der Schwangeren und bei ihrer Entscheidung ebenfalls Berücksichtigung finden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/19 ab Seite 88.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

Geschichten wie die des Oldenburger Babys bringen das Thema Schwangerschaftsabbruch immer wieder in den Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit.

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