Ein Mädchen im Kindergartenalter liegt im Bett und bekommt eine pinke Suspension aus einer Dosierspritze in den Mund verabreicht.© Andrei310/ iStock / Getty Images Plus
Fieber- und Antibiotikapräparate für Kinder sind kaum lieferbar. Darauf reagiert die Festbetragsaussetzung ab Februar.

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WAS BRINGT DIE FESTBETRAGSAUSSETZUNG FÜR KINDERARZNEIMITTEL?

Ab Februar gelten für bestimmte Fiebersäfte und Antibiotika für Kinder drei Monate lang keine Festbeträge. Damit reagieren die Krankenkassen auf Lieferengpässe. Aber wem hilft die Maßnahme – und wem nicht?

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Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hat am 10. Januar in Absprache mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach bekanntgegeben, dass für 180 Fertigarzneimittel aus zehn Festbetragsgruppen zeitweise die Festbeträge entfallen. Das wird am 26. Januar im Bundesanzeiger bekanntgegeben und ist dann rechtskräftig. Vom 1. Februar bis zum 30. April zahlen die Krankenkassen für Paracetamol- und Ibuprofensäfte sowie Antibiotika in Kinder-Darreichungsformen also nicht nur den von ihnen festgelegten Festbetrag, sondern die vollen Kosten.

Lauterbach hatte angesichts der bestehenden Lieferengpässe bereits im Dezember erklärt, dass die Kassen für bestimmte Medikamente mehr zahlen müssen, damit es sich für die Hersteller lohnt, diese zu produzieren. Sind die ausgesetzten Festbeträge das Ergebnis dieser Idee?

Warum bereiten Festbeträge den Pharmafirmen Probleme?

Infectopharm, Hersteller einiger Kinder-Arzneimittel, hatte bereits letztes Jahr für 15 Produkte die Preise erhöht, um sich gegen die politischen Sparmaßnahmen aufzulehnen. Geschäftsführer Philipp Zöller erklärte im Dezember gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung: „Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht, sie war aber unumgänglich. Bei Amoxicillin ist der Festbetrag beispielsweise schon viermal abgesenkt worden. Hinzu kommt der Generika-Abschlag von 10 Prozent, den wir zahlen müssen. Letztlich bleibt ein Herstellerabgabepreis von netto 1,65 Euro für einen Saft mit der geringsten Wirkstärke für Kinder.“ Infectopharm nimmt Zöller zufolge in Kauf, dass sie mit ihren erhöhten Preisen eventuell nicht mehr konkurrenzfähig sind und für ihre Packungen keine Abnehmer mehr finden.

Pharmaunternehmen können Arzneimittel zu den niedrigen Festbetragspreisen nicht wirtschaftlich herstellen. Hinzu kommt, dass manche Hersteller dennoch den Festbetrag unterbieten, um bevorzugt abgegeben zu werden. Auch, wenn sie damit Verlust machen. Deshalb haben viele Firmen die Produktion eingestellt – eine von mehreren Ursachen der bestehenden Lieferengpässe.

Sollten die Festbeträge komplett abgeschafft werden?

Werden Festbetragsgruppen aufgelöst, also werden bestimmte Arzneimittelgruppen aus den Festbeträgen entlassen, passiert aktuell Folgendes:

  • Das sogenannte Preismoratorium greift. Das heißt, es gelten automatisch Preise aus 2009, die die Hersteller auch nicht an die aktuellen Produktionskosten anpassen können.
  • Die Hersteller müssen den Herstellerabschlag bezahlen, der kürzlich erhöht wurde.
  • Der Generikarabatt, den der Hersteller zahlt, steigt von 10 auf 16 Prozent.

Das ist bei diesem Beschluss anders. Diese Beträge müssen die Hersteller bei der aktuell beschlossenen Festbetragsaussetzung nicht zahlen, wie der GKV-Spitzenverband in seinem Beschluss angibt. Die Kassen übernehmen die Kosten komplett, nur den Generikarabatt von zehn Prozent müssen die Hersteller tragen. Würden die Festbeträge aber dauerhaft abgeschafft, stiege der Kostendruck nach den derzeitigen Preisregelungen an anderer Stelle. Das wäre also auch kein Mittel, um die Produktion für Pharmafirmen wieder attraktiver zu machen. Infectopharm-Geschäftsführer Zöller plädiert stattdessen für eine komplette Überarbeitung des Festbetrag-Systems.

Würden die Festbeträge dauerhaft abgeschafft, stiege der Kostendruck auf die Hersteller nach den derzeitigen Preisregelungen an anderer Stelle.

Andere Stimmen zur Festbetrags-Aussetzung ab Februar

Die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbindung (ABDA) Gabriele Regina Overwiening äußerte sich gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zur Lage in den Apotheken: „Die Lieferengpässe bei Kinderfiebersäften, Antibiotika und anderen Arzneimitteln halten leider weiterhin an.“ Es sei fraglich, ob die kurzzeitige Aussetzung der Festbeträge die Situation entspanne, da das Angebot der betroffenen Arzneimittel insgesamt begrenzt sei. Sie forderte mehr Entscheidungsspielräume für die Apotheken, zum Beispiel um nicht lieferbare Arzneimittel selbst herzustellen.

Auch Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Lobbyverbands Pro Generika, zweifelte im Gespräch mit dem Handelsblatt am Vorhaben der Krankenkassen: „Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?“ Es gebe keine Ware, die kurzfristig auf den Markt kommen könne, nur, weil sich der Preis für drei Monate erhöhe. Die Unternehmen produzierten bereits rund um die Uhr.

Selbst der GKV-Spitzenverband sieht das wohl ähnlich. Zwar hieß es, die Maßnahme könne einer weiteren Verschärfung der Versorgungslage kurzfristig entgegenwirken. Aber auch: „Kurzfristig der Pharmaindustrie höhere Preise zu ermöglichen, stellt keine nachhaltige Lösung dar.“ Die Krankenkassen „warnen vor der Annahme, dass internationale Pharmakonzerne ihre globalen Produktionsstandorte und Lieferprozesse nur ändern, weil gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland künftig mit ihren Krankenkassenbeiträgen höhere Medikamentenpreise bezahlen müssen.“

Es gibt keine Ware, die kurzfristig auf den Markt kommen könnte, nur weil sich der Preis für drei Monate erhöht. Die Unternehmen produzieren bereits rund um die Uhr.

Was soll die Aussetzung der Festbeträge dann bringen?

Die dreimonatige Pause bei den Festbeträgen ist für Unternehmen also kein Anreiz, ihre Produktionskapazitäten auszubauen. Wem nützt der Ansatz denn dann? Dazu heißt es im Beschluss des GKV-Spitzenverbands: „Mit der Aussetzung sollen angesichts der aktuell angespannten Versorgungslage bei ibuprofen- und paracetamolhaltigen Kinderarzneimitteln sowie bei Antibiotika zur Anwendung bei Kindern kurzfristig Aufzahlungen vermieden werden.“

Liegt ein Arzneimittelpreis über dem Festbetrag, müssen Kund*innen die Differenz zwischen Festbetrag und tatsächlichem Preis selbst zahlen. Da es durch die Lieferengpässe in den vergangenen Monaten oft unumgänglich war, teurere Präparate abzugeben, war also regelmäßig ein Eigenanteil zu zahlen. Insbesondere bei Arzneimitteln für Kinder, die ja keine Zuzahlung kosten, kam das für viele Eltern überraschend. Entfällt der Festbetrag, entfällt jedoch auch der Eigenanteil. Das entlastet vor allem Kund*innen. Aber auch das Apothekenpersonal, das nun im ganzen Prozess um die Lieferengpässe ein Ärgernis weniger erklären muss.

Quellen:
dpa
https://www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/arzneimittel/arzneimittel_festbetraege/festbetraege.jsp
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/wir-mussten-ein-zeichen-setzen-137335/
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/bei-diesen-arzneimitteln-fallen-die-festbetraege-weg-137882/

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