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Repetitorium

CHRONOPHARMAZIE – TEIL 2

„Therapie im Takt der Uhr“: Nachdem die Rhythmik verschiedener Vorgänge im Körper erkannt ist, kann für die medikamentöse Behandlung bestimmter Erkrankungen eine detaillierte Arzneimitteleinnahmevorschrift abgeleitet werden.

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Am bekanntesten ist die ausgeprägte Tagesrhythmik des Hormons Kortisol. Die Nebennierenrinde eines gesunden Erwachsenen sezerniert unter dem Einfluss von Corticotropin täglich etwa 15 bis 60 Milligramm Kortisol und ein bis zwei Milligramm Corticosteron. Im Stress können sogar gut 240 Milligramm Kortisol pro Tag ausgeschüttet werden. Die Glukokortikoidsekretion wird dabei hypothalamisch-hypophysär gesteuert. Die Freisetzung ist allerdings nicht konstant, sondern unterliegt einer zirkadianen Rhythmik mit maximalen Kortisolplasmaspiegeln morgens zwischen sechs und neun Uhr sowie minimalen Plasmakonzentrationen um Mitternacht.

Die Nebenwirkungen einer Glukokortikoidtherapie lassen sich somit verringern und auch die physiologischen Rückkopplungsmechanismen zwischen Nebennierenrinde und Hypothalamus sind am wenigsten beeinträchtigt, wenn das Dosierungsregime diesem Rhythmus angepasst wird. Daraus resultiert die Empfehlung, Kortisonpräparate, insbesondere orale Glukokortikoide am besten morgens einzunehmen, um den körpereigenen Rhythmus nicht zu sehr zu stören. Auch Therapieregime mit größerer Dosis morgens, kleinerer abends oder nur einer morgendlichen Gabe jeden zweiten Tag existieren für die orale Anwendung mit ihrer stärkeren systemischen Wirkung. Vorteil: Die Medikamentendosis kann insgesamt niedriger gehalten werden und so sind im Regelfall auch die Nebenwirkungen geringer.

Chronopharmakologie des Magen-Darm-Traktes Auch dieser Bereich ist in allen seinen Funktionen ausgeprägt tagesrhythmisch organisiert. Dies betrifft die Motilität, die Magenentleerungsgeschwindigkeit, den pH-Wert des Magens, die Magen-Darm-Durchblutung. Schließlich arbeiten auch die gastrointestinalen Enzyme „rhythmisch“. Und so sind seit vielen Jahrzehnten die tageszeitlichen Schwankungen der Magensäuresekretion bekannt. Die gegen Abend ansteigende Säurefreisetzung durch die Belegzellen in der Magenschleimhaut deckt sich weitgehend mit der Tagesrhythmik der Magenwanddurchbrüche, ausgelöst im Regelfall durch säurebedingte Magengeschwüre.

Auch die glatte Muskulatur von Speiseröhre- oder Magenwand, die etwa für den Speisentransport, deren Durchmischung oder den Weitertransport zuständig ist, unterliegt in ihrer Funktion tageszeitlichen Schwankungen. So ist die Magenentleerungszeit bei Gesunden am Morgen deutlich kürzer als am Abend. Bekannt ist, dass bei einem Teil der Patienten mit chronischer Refluxkrankheit eine Funktionsstörung der neuromuskulären Steuerung der Speiseröhre für das Beschwerdebild mit Sodbrennen sogar ursächlich verantwortlich ist. Unklar ist noch, ob bei manchen Patienten nicht vielleicht die normale rhythmische Organsteuerung versagt.

ÜBERBLICK
Einerseits verlaufen Aufnahme, Abbau und auch die Ausscheidung eines Arzneimittels zeitabhängig. Andererseits zeigen zahlreiche Erkrankungen wie Asthma, Bluthochdruck, Verengung der Herzkranzgefäße oder Tumoren ausgeprägte tagesrhythmische Schwankungen, die eine zeitlich abgestimmte Therapie benötigen. Für zahlreiche Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen ist bisher eine Chronobiologie und teils auch -kinetik nachgewiesen worden. Faktisch gilt: Nicht nur muss die richtige Menge der richtigen Substanz an das richtige Zielorgan gelangen, dies muss auch zur richtigen Zeit geschehen. Hauptziel der Chronopharmakologie ist dabei die Optimierung der Behandlung: höchstmögliche Steigerung der Medikamentenwirkung bei Verringerung der Nebenwirkungen bis zum Minimum. Welche Möglichkeiten hier existieren – selbst wenn sie im Einzelnen noch nicht vollständig genutzt werden – soll im Weiteren aufgezeigt werden.

Entscheidend für die Wirkung von Arzneimitteln ist auch die rhythmische Schwankung der Durchblutung nicht nur in der Leber, sondern auch im gesamten Verdauungsapparat, inklusive des unteren Speiseröhrendrittels. Je höher die Durchblutung , desto rascher erfolgt auch die Aufnahme von Wirkstoffen in den Körper. Am größten ist die Durchblutung etwa gegen drei Uhr nachts, am geringsten hingegen zwölf Stunden später. Jüngere Studien weisen sogar darauf hin, dass periphere Uhrengene im Magen-Darm-Trakt durch Nahrung gesteuert werden und für Funktion, Stoffwechsel und Schleimhautabwehrmechanismen bedeutsam sein können.

 H2-Blocker, PPI & Co. Erstere (H2-Antihistaminika, etwa Ranitidin, Famotidin etc.) haben als Wirkstoffgruppe vor Jahrzehnten die Therapie des Magengeschwürs (Magenulkus) revolutioniert. Über eine kompetitive Blockade der H2-Rezeptoren an den Belegzellen der Magenschleimhaut wird durch diese Wirkstoffe die basale und Histaminstimulierte Säuresekretion gehemmt. Heute sind sie nur noch Mittel der zweiten Wahl bei der Ulkusleidensbehandlung – verdrängt von den Protonenpumpenhemmern (PPI).

Dennoch gilt: Die H2-Blocker machten schwere Magengeschwüre und hierdurch bedingtes Magenbluten sowie lebensgefährliche Magenwanddurchbrüche (Ulkusperforationen) zu seltenen Ausnahmesituationen. Langjährige Forschungen mit der Substanzgruppe ergaben, dass es angesichts der tageszeitlichen Schwankung der Säuresekretion besonders geeignete Zeitpunkte für die Einnahme gibt, nämlich abends. Schließlich folgt die Magensäuresekretion einem Tag-Nacht-Rhythmus mit einem Maximum um 22 Uhr und einem Tiefststand um acht Uhr morgens. Dies erlaubt bei den meisten Patienten auf die über den Tag verteilte, mehrmalige Medikamentengabe zu verzichten, was die Compliance, also die regelmäßige Einnahme und Therapietreue erheblich erleichtert.

Tipp für die Praxis somit: Bei Abgabe von H2-Antihistaminika gleich sagen: „Die gehören auf den Nachttisch, die Einnahme sollte in den Abendstunden erfolgen. Und nach der Einnahme am besten keinen Snack mehr zu sich nehmen!“ Da für H2-Blocker eine Toleranzentwicklung nachgewiesen wurde, dominieren mittlerweile Protonenpumpenhemmer (PPI, wie Omeprazol, Esomeprazol, Lansoprazol etc.) die Behandlung des Magenulkus. Diese sollten morgens eingenommen werden. Darauf weist auch die Arzneimittelkomission der deutschen Ärzteschaft für den Einsatz bei Refluxerkrankungen hin.

Morgens eingenommene PPI erhöhen den pH-Wert im Magen stärker als bei abendlicher Einnahme. Dies hat zum einen mit einer besseren Aufnahme des Wirkstoffs im Magen-Darm-Trakt am Vormittag zu tun (bessere Resorption), als auch mit einer anscheinend verstärkten Zerstörung des Wirkstoffs durch die abendliche höhere Säuresekretion – trotz magensaftresistentem Überzug der Tabletten –, was sich in einer Verminderung der Bioverfügbarkeit nach abendlicher Gabe zeigt. Die Devise bei Abgabe von PPI lautet also: „Bei einmaliger Gabe täglich im Regelfall morgens einnehmen.“

Zur Prävention morgendlicher Magen-Darm-Beschwerden kann allerdings eine abendliche Einnahme dennoch für den einen oder anderen Patienten sinnvoll sein. Und für jeglichen Applikationszeitpunkte gilt: „Das Medikament bitte eine halbe bis eine Stunde vor der Mahlzeit einnehmen!“

Antazida wie Natriumcarbonat, Algedrat hingegen weisen keine großen chronopharmakologischen Besonderheiten auf. Grund: Sie wirken nach oraler Einnahme sofort und direkt dort, wo die Magensäure gebildet wird – durch Neutralisation. Nicht zuletzt deshalb sind Algedrat und andere effektive Antazida bei einer raschen Linderung von Sodbrennenbeschwerden so wirksam. Das Aluminiumhydroxid in Algedrat neutralisiert allerdings nicht nur die Säure, hebt also den pH-Wert im Magen an, sondern fördert auch die Heilung geschädigter Schleimhaut.

Zeitabhängig: Asthma bronchiale Auch die Physiologie der Atmungsorgane unterliegt einem tagesrhythmischen Profil: Die Bronchien stehen nachmittags meist weit, nachts oft besonders eng – mit erhöhter Empfindlichkeit in den frühen Morgenstunden zwischen drei und sechs Uhr. Bei Asthmatikern ist diese zirkadiane Rhythmik krankhaft gesteigert, also noch viel stärker ausgeprägt, sodass nachts der Atemstoß beziehungsweise Peak-Flow-Wert gegenüber den besten Tageswerten meist gut 15 Prozent niedriger liegt. Sie klagen daher vor allem nachts und insbesondere in den frühen Morgenstunden über Atemnot. Die Aktivität des Sympathikus ist nachts geringer, dagegen ist die Aktivität des Parasympathikus hoch.

»Die Devise bei Abgabe von Protonenpumpenhemmern (PPI) lautet also: Bei einmaligerGabe täglich im Regelfall morgens einnehmen.«

Während das sympathische Nervensystem die Bronchien erweitert und die Atmung beschleunigt, verengt der Parasympathikus die Bronchien. Insgesamt scheinen dem nächtlichen Asthma komplexe Interaktionen verschiedener 24-Stunden-Rhythmen hormoneller, biochemischer und zellulärer Funktionen zugrunde zu liegen. Hinzu kommen zirkadiane Rhythmen in Entzündungsreaktionen der Lunge. Folge ist auch, dass die Empfindlichkeit der Lungen gegenüber Allergenen, selbst Hausstaub, sowie bronchienverengenden Substanzen wie Histamin oder Acetylcholin nachts höher ist als am Tag.

Zusätzlich fällt der Kortisonspiegel in der ersten Nachthälfte ab, wodurch der körpereigene Schutz vor Asthmaanfällen vermindert ist. Im Gegensatz zum Asthma bronchiale spielen bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD, chronic obstructive pulmonary disease) tageszeitliche Unterschiede in der Symptomatik keine bedeutsame Rolle.

Beta-2-Sympathomimetika, Glukokortikoide & Co. Entsprechend Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga wird Asthma bronchiale – je nach Schweregrad – nach einem Stufenschema mit einer entzündungshemmenden Dauertherapie sowie bedarfsorientierter Verwendung von Bronchospasmolytika therapiert. Aus der ausgeprägten Tageszeitabhängigkeit der Symptomatik ergibt sich praktisch zwangsläufig, dass dies Konsequenzen für die Pharmakotherapie haben muss.

Chronopharmakologische Studien bestätigen dies: Beim Wirkstoff Theophyllin finden sich bei morgendlicher Applikation zwar in der Regel höhere maximale Plasmakonzentrationen und die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Konzentration ist kleiner als bei abendlicher Gabe. Da nachts aber höhere Theophyllinkonzentrationen benötigt werden, um die Abnahme der Lungenfunktion beim Asthmatiker zu vermeiden, wurde 1989 erstmals in den USA von der Food an Drug Administration (FDA) und in Deutschland beim damaligen Bundesgesundheitsamt, ein Theophyllinpräparat zur einmaligen abendlichen Anwendung bei nächtlichem Asthma zugelassen.

Bei Theophyllinpräparaten mit retardierter Freisetzung wird empfohlen, zwei Drittel der Dosis am Abend und ein Drittel der Dosis morgens zu geben. Theophyllin ist im Vergleich zu den Beta-Sympathomimetika allerdings ein relativ schwacher Bronchodilatator, sodass die therapeutische Bedeutung von Theophyllin in den letzten Jahren stark abgenommen hat. Auch für Beta-2-Sympathomimetika liegen inzwischen pharmakokinetische Studienergebnisse vor. Mit einer abends doppelt so hohen oralen Dosierung von Terbutalin gelang es, die nächtlich ausgeprägte Dyspnoe (Atemnot) zu verhindern.

Die inhalative Applikation von lang wirksamen Beta-2-Sympathomimetika wie Formoterol oder Salmeterol wird heute vor allem bei Patienten mit nächtlichem Asthma – empfohlen, wobei die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft jedoch keine tageszeitliche Empfehlung ausspricht. Auch Anticholinergika wie Oxitropium- oder Tiotropiumbromid sind bei gleicher Dosierung nachts schwächer wirksam als tagsüber, wie Studien zeigen konnten.

Der Rückschluss, dass auch Anticholinergika bei nächtlicher Atemwegsobstruktion mit einer abendlich höheren Dosierung gegeben werden sollten, um in der Phase höherer Gefährdung des Patienten besonders effektiv zu sein, hat sich therapeutisch bis dato allerdings noch nicht durchgesetzt. Zusätzlich wird bei der Behandlung des Asthma bronchiale gegen die Entzündung bekanntlich der frühzeitige Einsatz von inhalativen Glukokortikoiden empfohlen. Hier steht im Gegensatz zur oralen Applikation (siehe Abschnitt Paradebeispiel Kortison) die lokale Wirkung der Inhalativa im Vordergrund, systemische Nebenwirkungen sind aufgrund der Applikationsart gering.

Untersuchungen einer möglichen Chronopharmakokinetik inhalativer Glukokortikoide gibt es nur bedingt. Eine vergleichende Untersuchung von inhaliertem Triamcinolon mit einer Einmalgabe (800 μg/ Tag) am Abend zu einer viermal täglichen Einnahme (4 mal 200 μg/Tag) zeigte allerdings, dass die Einmalgabe signifikant besser war. Insgesamt scheint – unter Berücksichtigung der vorhandenen Datenlage – beim nächtlichen Asthma bronchiale die abendliche Medikationsgabe von Vorteil zu sein.

Hier kommen Sie zu Teil 1.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 84.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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