Schluss, Aus, Ende: Ein Burnout zwingt die Betroffenen zu einer Neuausrichtung ihres Lebens. © wildpixel / iStock / Getty Images Plus

Moderne Arbeitswelt

BURNOUT: WIE EIN DAMPFKESSEL UNTER ÜBERDRUCK

Die Politikerin Sahra Wagenknecht litt darunter und auch Miriam Meckel, Professorin und Ehefrau der Fernsehmoderatorin Anne Will: Burn-Out, das Ausgebranntsein, die völlige körperliche und geistige Erschöpfung. Das Krankheitsbild zwang die beiden Frauen, innezuhalten und ihr Leben grundlegend zu ändern.

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„Brief an mein Leben“ nannte Meckel das Buch, das 2010 zum Bestseller werden sollte, da hier jemand dezidiert, nachvollziehbar und schonungslos mit sich selbst die Mechanismen einer Krankheit offenlegte, die sogar von einigen Psychiatern als „Modeerscheinung“ abgetan wird.

Meckel, Jahrgang 1957, studiert Kommunikations- und Politikwissenschaft, Jura und Sinologie, promoviert, arbeitet als Regierungssprecherin in Nordrhein-Westfalen, wird Staatssekretärin, dann Professorin für Corporate Communications an der Universität St. Gallen. Ein Leben, in dem sie ständig auf Reisen ist, ihr Heim manchmal wochenlang nicht sieht. Sie ist gefragt, sie ist erfolgreich, sie wird gebucht – nach 15 Jahren beruflicher Dauerbelastung ohne wirkliche Pausen rebelliert ihr Körper: Sie schreckt nachts hoch und kann nicht mehr einschlafen. Ihr Kreislauf spielt verrückt – „wie ein Dampfkessel unter Überdruck“ beschreibt sie es. Sie wird langsamer, weniger leistungsfähig, immer unkonzentrierter, emotional instabiler und von einem Gefühl der Sinnlosigkeit ergriffen. Irgendwann kommt der Tag, an dem sie vor dem Reisekoffer steht, den es zu packen gilt; eine Aufgabe, die sie nicht mehr bewältigt. Stattdessen weint sie, anscheinend grundlos, immer wieder.

In der Internationalen Klassifikation der Erkrankungen (ICD-10) wird das Ausgebranntsein zu den „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ gerechnet. Da sich die Symptome mit denen einer Depression teilweise überschneiden, kommt es bei der Diagnose oft zu Schwierigkeiten – dabei ist die klinische Depression eine anerkannte Krankheit, Burnout hingegen lediglich eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose. Die zudem lange keiner ernst genommen hat. Zwar erscheint 1960 das Buch „A Burnt-Out Case“ von Graham Greene, das von einem Architekten handelt, der erschöpft und frustriert von seiner Arbeit in den Dschungel zieht, doch das ist Literatur. Erst als der Amerikaner Herbert Freudenberger eine Symptomsammlung veröffentlicht und die Sozialpsychologin Christina Maslach Kriterien zusammenstellt, nach denen das Krankheitsbild klassifiziert werden kann, wird auch die Wissenschaft Ende der siebziger Jahre auf Burnout aufmerksam. Nach Maslach liegt das Krankheitsbild vor, wenn eine überwältigende Erschöpfung ohne Möglichkeit der Regeneration eintritt, wenn das Ganze durch zunehmenden Zynismus – also eine Depersonalisierung und Distanziertheit gegenüber sich selbst – gekontert wird und über allem ein Gefühl der Sinnlosigkeit und Wirkungslosigkeit liegt. Nichts, was der Betroffene tut, hat noch ein Resultat, so meint er, was in einer völligen Antriebsschwäche bis hin zur Arbeitsunfähigkeit und sogar zum Suizid führen kann.

 

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Einfach ausgebrannt

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Die Erkrankung kommt nicht über Nacht. Sie kündigt sich über Jahre an. Doch der Mensch ist Meister darin, die Symptome zu überspielen, denn er möchte anerkannt und gemocht werden, in diesem Fall durch die Früchte seiner Arbeit. So ging es auch Sahra Wagenknecht, die durch zunehmende gesundheitliche Probleme zu einer Auszeit gezwungen wurde. Erst als sie krankheitsbedingt eine Weile zu Hause verbringen muss, geht ihr auf, dass sie jahrelang nur noch von Termin zu Termin gehetzt war: „Ich kam nicht mehr zum Innehalten. Ich war ziemlich ausgebrannt. Jeder Mensch hat nur einen bestimmten Kraftvorrat, wenn der allmählich aufgebraucht ist, funktioniert man zwar immer noch, aber man entwickelt keine neuen Ideen mehr, keine Leidenschaft.“

Viele Burnout-Geschädigten berichten auch von einer Vernachlässigung ihrer sozialen Beziehungen; es fehlt die Zeit und die Kraft, sich mit Freunden und Familie zu treffen. Dabei ist das so wichtig: Geliebte Menschen geben einem Wurzeln, aus denen die Kraft gezogen werden kann, sich gegen die ständige Überforderung zu wehren. Wenn der Betroffene das nicht mehr schafft, wehrt sich eben der Körper: Im Dauerzustand Stress befindlich, jagt er den Blutdruck in die Höhe, verursacht Kopfschmerzen, Schlaf- und Verdauungsstörungen. Darauf nicht zu reagieren, kann böse Folgen haben und bis zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen, auch Diabetes und Fettleibigkeit sind im Maßnahmenkatalog des Körpers enthalten.

Längst gibt es Kliniken, die sich auf die Behandlung von Burnout-geschädigten Menschen spezialisiert haben. In einem mehrwöchigen Aufenthalt wird der Kranke aus seinem bisherigen Umfeld herausgezogen und lebt mehr oder weniger isoliert; soll somit in die Lage versetzt werden, zu fokussieren und sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen. Besonders am Anfang kann das ziemlich hart sein. Meckel beschreibt es so: „Kein Buch, keine Musik, keine Zeitung, kein Handy, kein Laptop. Ich kann mich nicht erinnern, dass zwei Tage in meinem Leben jemals so lange gedauert hätten.“ Burnout-Patienten lernen, ihre eigenen Erwartungen zu überprüfen und individuelle Stress-Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dazu gehört auch, die beeinflussbaren von den nicht beeinflussbaren zu unterscheiden; am Ende kann sogar ein Wechsel des Arbeitsplatzes stehen. Regelmäßige Pausen, die für die Kranken oft ein Fremdwort sind, sollen ebenso in den Tagesablauf integriert werden wie eine gesunde Lebensweise. Dazu gehören genügend Schlaf, regelmäßige Bewegung und eine ausgewogene Ernährung. Ganz oben auf der Liste steht auch die Förderung von Beziehungen zum Partner, zur Familie und zu Freunden.

Sahra Wagenknecht zieht sich künftig aus der Spitzenpolitik zurück. Das ist ihre Konsequenz aus ihrem persönlichen Burnout. Miriam Meckel schreibt in ihrem Buch den Brief, der ihm den Titel gibt: „Liebes Leben, komm zurück zu mir und lass mich zu. Ich werde Dich auch zulassen, denn ich vermisse dich so. Und nimm dir die Zeit, die du brauchst.“

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quellen: Miriam Meckel: Brief an mein Leben, Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2010
     www.spiegel.de 
     www.dimdi.de 

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