Blutgerinnungspfropfen
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Repetitorium

BLUTGERINNUNGSSTÖRUNGEN – TEIL 1

„Blut ist ein ganz besonderer Saft.“ – das sagte schon Mephisto in Goethes Faust. Wie die Blutgerinnung abläuft, wesentliche Störungen und vor allem die Medikation hierbei, sind Teil dieses Repetitoriums.

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Das Blut: Einerseits muss es flüssig sein und zirkulieren können – um Nährstoffe und Sauerstoff in alle Organe und Gewebe des Körpers zu transportieren. Andererseits muss es bei Verletzungen des Gefäßsystems den Blutaustritt so weit wie möglich verhindern (Blutstillung) und den Körper vor Blutungen und Blutverlust schützen, zudem möglichst das Eindringen von schädigenden Keimen (Bakterien, Viren, Pilzen etc.) verhindern. Es darf aber auch wiederum nicht zur falschen Zeit am falschen Ort gerinnen – was etwa bei einem ungewollten Thrombus (Blutgerinnsel) der Fall ist. Ein funktionierendes Blutgerinnungssystem ist für den Organismus somit lebenswichtig.

Die Blutgerinnung (Hämostase) Gerinnung bedeutet erst einmal nichts anderes als Festwerden oder Stocken des Blutes. Doch dahinter verbirgt sich viel: Die Blutgerinnung beziehungsweise Hämostase (altgriech. haima = Blut; stasis = Stillstand) ist ein sehr komplexer Vorgang. Dem Ablauf entsprechend wird sie insgesamt in zwei miteinander gekoppelte Prozesse unterteilt, die Primäre und Sekundäre Hämostase.

Primäre Hämostase(erste Blutungsstillung): Sofort nach einer Verletzung heften sich unter Einfluss eines bestimmten Faktors aus dem Blut (von-Willebrand-Faktor) Thrombozyten (Blutplättchen) an kollagene Bindegewebsfasern der Wundränder an und bilden, sofern die verletzten Gefäße nicht zu groß sind, einen pfropfartigen Verschluss („Thrombozytenpfropf“, reversible Thrombozytenaggregation, „provisorisches“ Gerinnsel). Unter dem Einfluss des bei der Aktivierung des kaskadenartigen Gerinnungssystems gebildeten Thrombins kommt es anschließend zu einer irreversiblen Umwandlung der Thrombozyten. Diese verschmelzen zu einer homogenen Masse, wobei sie ihren Inhalt völlig entleeren. Dabei freigesetzte Botenstoffe, unter anderem auch Serotonin, Adrenalin, Noradrenalin, bewirken einerseits eine Vasokonstriktion (Blutgefäß zieht sich zusammen, vermindert dadurch den Querschnitt) in dem verletzten Gebiet.

Einrollung und Verklebung des Gefäßendothels unterstützt zusätzlich die Blutungsstillung. Andererseits werden Inhaltsstoffe freigesetzt, die eine wichtige Rolle bei der eigentlichen Blutgerinnung (sekundäre Hämostase) spielen. Plättchenfaktor 4 inaktiviert beispielsweise das die Blutgerinnung hemmende Heparin. Die von der Gefäßverletzung bis zum primären, noch nicht stabilen Verschluss der Verletzungsstelle vergehende Blutungszeit beträgt durchschnittlich etwa zwei bis drei Minuten.

Sekundäre Hämostase (plasmatische Blutgerinnung): Der durch die primäre Hämostase erhaltene Thrombozytenpropf reicht für einen dauerhaften Verschluss der Wunde im Regelfall nicht aus. Die notwendige Festigkeit des Wundverschlusses wird erst durch die Bildung eines Gerinnungsthrombus mit Ausbildung eines festen Fasernetzes aus Fibrin, in das Thrombozyten und Erythrozyten (rote Blutkörperchen) eingebettet sind, erreicht. Schon der deutsche Internist und Physiologe Paul Oskar Morawitz (1879 bis 1936) forschte bezüglich der Blutgerinnung und teilte diese folgerichtig in die drei Phasen ein: die Aktivierungs-Phase (Phase der Thrombozyten-Aktivierung), die Koagulations- Phase (Phase der Blutgerinnung) und schließlich die Retraktions- Phase (Phase der Reparatur).

Mit anderen Worten: Der zur schnellen Blutstillung labil abgedichtete Defekt („Thrombozytenpfropf“, „provisorisches“ Gerinnsel) wird bis zur endgültigen Reparatur durch Narbenbildung mechanisch stabil verschlossen. Hieran sind neben den Thrombozyten zahlreiche plasmatische und Gewebefaktoren, in ihrer Gesamtheit Blutgerinnungsfaktoren genannt, beteiligt, wobei eine Gerinnungskaskade in Gang gesetzt wird. In der Literatur aufgeführt werden meistens dreizehn, manchmal auch fünfzehn Gerinnungsfaktoren, die nach der Reihenfolge ihrer Entdeckung mit römischen Ziffern durchnummeriert wurden.

Die Faktoren II, VII, IX und X werden abhängig von Vitamin K in der Leber gebildet. Stoffe aus dem verletzten Gewebe aktivieren die Faktoren. Das bedeutet: Ein Stoff aktiviert einen Gerinnungsfaktor. Dieser aktivierte Faktor aktiviert den nächsten Gerinnungsfaktor und so weiter. Diese Gerinnungs-Aktivierung erfolgt dabei parallel auf zwei Wegen, einem – extravaskulären Weg (Extrinsic-System – schnelle Verschließung von offenen Wunden; Aktivierung durch in das Blut abgegebene Stoffe bei der Gewebeverletzung) sowie einem – intravaskulären Weg (Intrinsic-System – langsame und effiziente Reparatur von beschädigten Gefäßen; Aktivierung durch Kontakt der Gerinnungsfaktoren mit Kollagen des Subendothels, also Oberflächenkontakt). Beide Mechanismen werden – neben der primären Hämostase – unmittelbar nach einer Gefäßverletzung ausgelöst.

Während bei einer äußeren Verwundung des Gewebes das Extrinsic-System schnell, innerhalb von Sekunden abläuft, wird das Intrinsic-System wesentlich langsamer, erst innerhalb von Minuten aktiviert. Gleich ist jedoch, dass nun jeweils eine Kettenreaktion abläuft. Extravaskulär bewirkt die Freisetzung von Gewebsthromboplastin (Faktor III) im Zusammenspiel mit weiteren Blutgerinnungsfaktoren und Kalzium (Faktor IV) die schnelle Umwandlung von Prothrombin (Faktor II) in Thrombin (Faktor IIa). Intravaskulär erfolgt ebenfalls auf etwas langsamerem Weg über die Kaskade mit Beteiligung unter anderem des Hagemann-Faktors (Faktor XII), des Christmas-Faktors (Faktor IX) und ebenfalls unter Beteiligung von Kalzium (Faktor IV) die Umwandlung von Prothrombin in Thrombin. Mittlerweile weiß man, dass beide Treppensysteme, das Intrinsische sowie das Extrinsische, deutliche Wechselwirkungen zeigen.

Ab der Thrombin-Bildung ist der Verlauf jedoch gemeinsam. Beide haben die gleiche Endstrecke: Am Ende dieser Gerinnungskaskade steht die Bildung des Fibrins, das nicht löslich ist, anfangs aus sehr langen dünnen Fäden besteht, die sich zu einem feinen Netz verdichten (Fibrinnetz), und das letztlich wie ein Klebstoff wirkt. So entwickelt sich in mehreren Schritten aus dem „provisorischen“ Plättchenthrombus ein stabiler Thrombus. Dies nimmt etwa sechs bis zehn Minuten in Anspruch.

Physiologische Gerinnungshemmstoffe Neben den die Gerinnung auslösenden Faktoren/Stoffen verfügt der Körper auch über eine Reihe von Blutgerinnungshemmern. Die größte Bedeutung unter ihnen besitzen Antithrombin (Syntheseort: Leber), Heparinsulfat (Syntheseort: Epithelienoberfläche, also Deckgewebe) sowie Protein C und Protein S (Syntheseort: Leber, Vitamin-K-abhängig). Sie sind ebenfalls essentiell, da sowohl physiologischerweise im strömenden Blut eine geringfügige Fibrinbildung stattfindet als auch bei einer größeren Wunde gebildetes Fibrin in den Blutkreislauf gelangen könnte. Ohne Fibrinolyse als „Spiegelbild der Blutgerinnung“ hätten Thromben ein leichtes Spiel.

Auch die Aktivierung der Fibrinolyse erfolgt über ein extraund ein intravaskuläres System. Mittels Plasminogenaktivatoren, welche die inaktive Vorstufe Plasminogen in Plasmin überführen, wird schließlich Fibrin gespalten und aufgelöst. Unsere Blutgerinnung ist somit ein komplexes Zusammenspiel aus Ausbildung und Wiederauflösung von Blutgerinnseln. Im Körper stehen gerinnungsfördernde und gerinnungshemmende Stoffe in einem äußerst empfindlichen Gleichgewicht.

Störungen Dass komplexe Systeme störanfällig sind, da viele Stellschrauben existieren, ist verständlich. Gerinnungsstörungen des Blutes äußern sich in einer zu schwachen oder zu starken Blutgerinnung – je nachdem wie das Gleichgewicht verändert ist. Dabei existieren angeborene und – viel häufiger – erworbene Störungen der Blutgerinnung, die im Zusammenhang mit Erkrankungen auftreten.

Auslöser beziehungsweise Ursache für eine krankhaft gesteigerte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese) sind häufig:

  • vaskuläre Veränderungen (Gefäßveränderungen, Erkrankungen und Anomalien der Blutgefäße),
  • Veränderung der Thrombozytenzahl beziehungsweise eine (seltenere) Beeinträchtigung der Thrombozytenfunktion oder
  • Mangel an Gerinnungsfaktoren (Koagulopathien). Diese können einerseits erworben sein: Vor allem ein Vitamin- K-Mangel, eine Leberparenchymschädigung und die damit verminderte Synthese von Blutgerinnungsfaktoren in der Leber sind hierfür häufig zuständig. Die häufigste erworbene Ursache für Blutungsprobleme ist allerdings die Einnahme von Gerinnungs- und Thrombozytenhemmstoffen. Andererseits kann ein Gerinnungsfaktor- Mangel genetischer Natur sein: Angeboren, also ererbt sind etwa die klassischen Bluterkrankheiten, der Mangel an Gerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) sowie der Mangel an Gerinnungsfaktor IX (Hämophilie B). Hier ist die primäre Hämostase wegen der normalen Plättchenfunktion normal, die sekundäre Hämostase jedoch massiv gestört, sodass selbst geringe Traumen zu schwersten, lebensbedrohlichen Blutungen führen können. Ebenso vererbt werden vor allem die die primäre Hämostase betreffenden von-Willebrand-Erkrankungen (drei Typen). Die Thrombozytenzahl ist zwar normal, die Blutungszeit aufgrund Fehlen oder Störungen am relevanten von-WillebrandFaktor jedoch massig verlängert.

Eine Verminderung der Thrombozytenzahl/Störung der Thrombozytenfunktion, was sich ganz charakteristisch in flohstichartigen Blutungen äußert, kann beispielsweise durch Schädigung des Knochenmarks, durch Infektionen (etwa Röteln) hervorgerufen werden oder auch Folge von Medikamentennebenwirkungen (etwa bei Sulfonamiden, Phenylbutazon) sein. Das genaue Gegenteil: eine Hämostasestörung, die mit einer vermehrten Gerinnbarkeit des Blutes einhergeht. Zu starke Blutgerinnung (thrombophile Diathesen), häufig verursacht durch arteriosklerotische Veränderung der Gefäße, verlangsamte Blutströmung oder tatsächlich beschleunigte Gerinnung (Hyperkoagulabilität), kann zu Thromben (Gefäßverschlüssen) führen. Am bekanntesten sind die Venenthrombosen. Wird der Thrombus erst einmal vom Blutstrom weitergeschleppt und bleibt später irgendwo im Gefäßsystem hängen, ist dies eine Embolie.

Gefürchtete lebensbedrohliche Folgen sind Herzinfarkt, Schlaganfall oder Lungenembolie. Während in diesem ersten Repetitoriumsteil wesentliche Grundlagen der Blutgerinnung behandelt wurden sowie wichtige Störungen/Erkrankungen in deren Zusammenhang genannt werden, stehen in den weiteren Repetitoriumsteilen mehr die Substanzen und Medikamentengruppen im Vordergrund – zur Behebung der jeweiligen Defizite: Dies sind die Hämostase fördernde Stoffe bei akuten Blutungen, hämorrhagischer Diathese (Blutungsneigung) einerseits, andererseits Thrombozytenfunktionshemmer und Antikoagulanzien bei „zu starker“ Blutgerinnung oder entsprechenden Risiken.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/17 ab Seite 72.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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