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Seltene Erkrankungen von A bis Z

BERNARD-SOULIER-SYNDROM

Weil bei Betroffenen die Blutplättchen nur eingeschränkt an die Gefäßwände binden können, erhöht sich die Blutungsneigung. In der Literatur sind weltweit nur etwa 100 Fälle beschrieben.

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Das Bernard-Soulier-Syndrom gehört zu den angeborenen Thrombozytenfunktionsstörungen. Es ist benannt nach den beiden französischen Hämatologen Jean Bernard und Jean-Pierre Soulier, die es 1948 erstmals beschrieben haben. Weitere Namen für dieselbe Erkrankung sind hämorrhagische Thrombozytendystrophie und Riesen-Plättchen-Syndrom. Als Abkürzung wird BSS verwendet.

Normalerweise spielen die Thrombozyten eine essenzielle Rolle bei der Hämostase, also bei der Stillung der Blutung nach einer Verletzung: Nachdem sich das verletzte Gefäß zusammengezogen hat, um die Blutflussgeschwindigkeit zu verringern, binden zunächst die Thrombozyten in einer dünnen Schicht an die Gefäßwände und bedecken die Wunde .

Daraufhin lagern sich weitere Blutplättchen an die bereits vorhandenen an (Thrombozyten-Aggregation) und schließlich kommt es zu ihrer Vernetzung untereinander mittels Fibrin (Blutgerinnung). Durch den auf diese Weise gebildeten Thrombus wird die Wunde verschlossen.

Bindung gestört Patienten mit Bernard-Soulier-Syndrom zeigen eine verringerte Thrombozytenzahl, außerdem sind ihre Blutplättchen sehr groß. Zudem ist bei ihnen die Adhäsion der Thrombozyten an die Gefäßwände gestört. Der Grund: Der sogenannte Glykoprotein GPIb- V-IX-Komplex wird fehlerhaft oder nicht ausreichend gebildet. Dabei handelt es sich um einen Rezeptor auf der Oberfläche der Thrombozyten für den von-Willebrand-Faktor. Dieser wiederum bindet bei Verletzungen an Kollagenfasern in den Gefäßwänden.

Indem die Thrombozyten ihrerseits den von-Willebrand-Faktor binden, können sie sich bei gesunden Menschen an die verletzten Stellen anlagern. Bei Patienten mit Bernard-Soulier-Syndrom hingegen funktioniert dies nur eingeschränkt. Ursächlich sind Mutationen in den Genen, die für die verschiedenen Untereinheiten des Glykoprotein GPIb-V-IXKomplexes kodieren. Diese heißen GP1b-alpha, GP1b-beta, GPV sowie GPIX. Mit Ausnahme des Gens für GPV wurden bei Betroffenen in allen diesen Genen Mutationen gefunden, die die Krankheit verursachen. Beim BSS handelt es sich um eine angeborene Krankheit; die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv.

Blutungsneigung & Co. Meist äußert sich das Bernard-Soulier-Syndrom in den ersten Lebensjahren in Form von Purpura (kleinfleckige Kapillarblutungen unter der Haut), Nasenbluten, Zahnfleischbluten und (bei Mädchen später) verlängerten und verstärkten Regelblutungen. Selten treten auch Blutungen im Gastrointestinaltrakt auf. Nach größeren Verletzungen, chirurgischen Eingriffen und bei der Geburt sind starke Blutungen typisch und auch gefährlich.

Diagnose Um ein Bernard-Soulier-Syndrom festzustellen, sind mehrere Untersuchungen nötig: Die Blutungszeit wird gemessen, indem mit einer kleinen Lanzette in die Fingerkuppe oder ins Ohrläppchen gestochen und das Blut mit einem Filterpapier abgesaugt wird. Normalerweise dauert es zwei bis sieben Minuten, bis die Blutung aufhört, bei Betroffenen dagegen ist die Blutungszeit verlängert. Zudem zeigt ein Blutausstrich bei Patienten eine verringerte Zahl von Thrombozyten, die zugleich deutlich vergrößert sind (Makrothrombozytopenie).

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Cystinose
+ Familiäre Dysautonomie
+ Ehlers-Danlos-Syndrom
+ Fibrodysplasia Ossificans
Progressiva
+ Galaktosämie
+ Haarzell-Leukämie
+ Imerslund-Gräsbeck-Syndrom
+ Jacobsen-Syndrom
+ Kälte-Urtikaria, familiare
+ Lymphangioleiomyomatose
+ Morbus Osler
+ Norrie-Syndrom
+ Osteopetrose
+ Primäre Hyperoxalurie
+ Romano-Ward-Syndrom
+ Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
+ Tuberöse Sklerose
+ Usher-Syndrom
+ von-Willebrand-Syndrom
+ Wilson-Krankheit
+ Xeroderma pigmentosum
+ Zapfen-Stäbchen-Dystrophie

Im Ristocetin-Test lässt sich keine Thrombozyten-Agglutination auslösen (dieser Test wird auch eingesetzt, um die Funktionsfähigkeit des von-Willebrand-Faktors zu untersuchen). Außerdem ist bei Patienten der Prothrombinverbrauch deutlich reduziert. Prothrombin ist der Precursor von Thrombin, einer Serinprotease, die Fibrinogen zu Fibrin spaltet, welches sich im Rahmen der Blutgerinnung zu unlöslichen Fibrinpolymeren zusammenlagert. Schließlich lässt sich untersuchen, in welcher Menge der GPIb-V-IXKomplex im Blut vorliegt.

Auch hier gilt: Bei Patienten mit Bernard- Soulier-Syndrom ist die Expression vermindert. Zusammengenommen ergibt sich aus den Untersuchungsergebnissen die Diagnose des Bernard-Soulier-Syndroms. Differentialdiagnostisch müssen andere Ursachen für die Blutungsneigung wie etwa ein von-Willebrand-Syndrom ausgeschlossen werden.

Leben damit Die kanadische Hämophilie- Vereinigung empfiehlt Patienten, Verletzungen möglichst zu vermeiden, indem sie etwa auf Kontaktsportarten wie Fußball verzichten und beim Fahrradfahren auf jeden Fall Helm tragen. Regelmäßige Zahnarzt-Besuche sind wichtig, um Komplikationen aufgrund des Zahnfleischblutens zu verhindern. „Blutverdünnende“ Medikamente wie Acetylsalicylsäure dürfen nicht eingenommen werden. Bei großem Blutverlust aufgrund von akuten Verletzungen, Operationen und auch im Rahmen der Geburt erfolgt die Behandlung durch die Gabe von Trombozytenkonzentraten.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/15 ab Seite 82.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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