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Darreichungsformen

BERATUNG TROTZ GESELLSCHAFTLICHEM TABU

Bei den Indikationen Hämorrhoiden, vaginale Pilzinfektion oder Erbrechen bieten Suppositorien und Ovula Vorteile, die ihresgleichen suchen. Trotzdem ist die Beratung oft mit Schamgefühl verbunden.

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Der Intimbereich wird in der Öffentlichkeit nicht gerne thematisiert. Insbesondere, wenn es den Intimbereich des anderen Geschlechts betrifft, entstehen schnell unangenehme Situationen. Das Gegenstück zu weiblichen Mitarbeitern, die zu Sildenafil beraten, bilden Hinweise zu vaginalen Pilzinfektionen von männlichem Apothekenmitarbeitern. Da beide Konstellationen keine Ausnahmen im Tagesgeschehen einer Apotheke bilden, gelingt die Gewöhnung für die Mitarbeiter meist schnell. Im Notfall wendet man sich einfach an einen entsprechenden Kollegen. Für den Kunden hingegen stellen diese Situationen Ausnahmefälle dar, die mit entsprechendem Schamgefühl einhergehen.

Dabei bieten Zäpfchen und Ovula wichtige Vorteile, aber auch Fehlerquellen, die besprochen werden sollten. Bei Lokalbehandlungen, Kindern, die Fiebersäfte ablehnen oder älteren Patienten mit Schluckbeschwerden wird gerne auf Rektalia zurückgegriffen. Diese können sowohl eine lokale als auch eine systemische Wirkung erzielen. Zu beachten ist, dass die Wirkung bei einem systemischen Einsatz erst versetzt beginnt. Diese und weitere Besonderheiten sollen im folgenden Artikel erläutert werden um die für die Kunden unangenehme Situation schnell aber hilfreich zu beenden.

Resorption Als ein Nachteil der rektalen Wirkstoffapplikation gilt der nur schlecht reproduzierbare Plasmaspiegel. Dem liegt folgende Anatomie zugrunde. Das Rektum wird in drei Abschnitte unterteilt, welche von zwei Venensystemen umgeben sind. Je nachdem wie tief das Zäpfchen eingeführt wird, gelangt der Wirkstoff in unterschiedlichen Mengen in die jeweiligen Blutgefäße. Im unteren und mittleren Rektumabschnitt befindet sich die untere Hohlvene. Diese wird dem transversalen Venensystem zugeordnet. Findet eine Resorption über diese Vene statt, gelangt der Wirkstoff in den großen Blutkreislauf und die Wirkung entfaltet sich direkt an den jeweiligen Angriffspunkten.

Im oberen Rektumabschnitt gelangt der resorbierte Wirkstoff in die obere Hohlvene. Diese ist dem aufsteigenden System zuzuordnen. Der Wirkstoff gelangt über die Pfortader zur Leber, wo er durch den First-pass-Effekt umgewandelt wird. Um nun den Therapieerfolg zu maximieren, gilt es den Kunden so zu beraten, dass er das Zäpfchen nur knapp einführt. Obwohl der First-Pass-Effekt aufgrund der Verknüpfung beider Systeme nie ganz umgangen werden kann, lässt er sich so auf ein Minimum reduzieren. Das Zäpfchen sollte mit der stumpfen Seite zuerst eingeführt werden. Durch den Reiz verkrampft sich der Schließmuskel, was ein Herausdrücken durch die Person selber erschwert.

Im Gegensatz zum Rektum ist die Wirkstoffaufnahme bei Vaginalia wesentlich effektiver. Die beiden gut durchbluteten Schleimhäute des Zervix und des Endometriums sorgen für eine gute und schnelle Resorption bei systemischen Therapien. Allerdings gibt es bei Vaginalia mehr zu beachten als bei Zäpfchen. Der pH-Wert von 4,5 darf nicht verändert werden, um das lokale Immunsystem nicht zu schwächen. Auch die zyklischen Veränderungen müssen bei Therapien mit Ovula beachtet werden.

Beratungstipps

Suppositorien
+ Einführung mit der stumpfen Seite zuerst
+ Nicht zu tief einführen
+ Keine Anwendung von Gleitmitteln, da diese den Wirkstoff inaktivieren könnten
+ Falls es an der Schleimhaut festklebt, das Zäpfchen vorher mit Wasser anfeuchten

Ovula
+ Ovula sollten möglichst tief eingeführt werden
+ Auf die Benutzung des Applikators bei Tabletten und Cremes hinweisen
+ Keine Anwendung von Tampons

Systematik Galenisch werden drei Arten von Zäpfchen und Ovula unterschieden. Suspensionszäpfchen und -ovula bilden den größten Marktanteil. Meist hydrophile Wirkstoffe werden in einer lipophilen Grundlage suspendiert. Der Wirkstoff wird besser resorbiert, da er keine Affinität zur Grundlage hat. Die Herstellung hingegen bietet viele Fehlerquellen. Falls die Suspension in der Form nicht schnell genug erstarrt, kann sich der Wirkstoff unten absetzen. In diesen Fällen müssen Hilfsstoffe, die die Viskosität erhöhen, verwendet werden, um die Dosiergenauigkeit zu gewährleisten. Sogenannte Lösungszäpfchen/-ovula bestehen aus Wirkstoff und Grundstoff, die jeweils beide hydrophile oder lipophile Eigenschaften besitzen.

Der Vorteil dieser Kombination ist die gleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs in der Grundlage und gleichmäßigem Freisetzung nach der Applikation. Der Nachteil ist die langsamer und geringer ausfallende Resorption, da der Wirkstoff eine höhere Affinität zur Grundlage als zur Schleimhaut aufweist. Einige Wirkstoffe kristallisieren beim Erstarren aus, sodass die Schleimhaut gereizt wird. Die dritte Variante bilden die Emulsionszäpfchen/-ovula. Bei diesen wird der lipophilen Masse ein Emulgator zugesetzt, um den hydrophilen Wirkstoff zu lösen. Leider macht diese Kombination das fertige Arzneimittel anfälliger für Bakterien und verschlechtert wie bei den Lösungszäpfchen auch die Arzneistofffreisetzung.

GrundlagenDen größeren Marktanteil bilden lipophile Vertreter wie beispielsweise Hartfett und Neutralfett. Diese Gemische aus Mono-, Di- und Triglyceriden gesättigter C10- bis C18-Fettsäuren sind sehr reaktionsträge und eignen sich daher als Trägerstoff. Weiterhin ist die Schmelztemperatur bei 33 bis 37 °C ideal und sorgt für eine gute Arzneistofffreisetzung. Auch die Herstellung bietet keine großen Risiken. Hartfett erstarrt schnell und besitzt eine gute Volumenkontraktion. Die in der Ausbildung und im Studium gefürchtete Kakaobutter ist mittlerweile weitgehend vom Markt und aus den Arzneibüchern verdrängt worden. Die komplizierte Verarbeitung, die leichte Verderblichkeit durch Ranzigwerden und die geringe Volumenkontraktion haben sie als Grundlage unattraktiv werden lassen.

Der größte Teil der Rektalia und Vaginalia mit systemischer Wirkung wird der Gruppe der lipophilen Grundlagen zugeordnet. Bei hydrophilen Grundlagen muss beachtet werden, dass die Wirkstoffresorption entgegen der Fließrichtung des Wassers steht, welches durch die Grundlage angezogen wird. Trotzdem haben auch hydrophile Trägerstoffe einen Platz in der Therapie. Bekannte Beispiele sind Polyethylenglykol und Glycerin-Gelatine. Mit ein bisschen Erfahrung im Handverkauf gibt es eine Indikation, die bei diesen beiden Stoffen schnell in den Sinn kommt. Beide sind wichtige Vertreter beim Thema Verstopfung.

Auch in Zäpfchenform behalten sie diese Eigenschaft. Sie ziehen Flüssigkeit an und bewirken einen Volumenreiz. Dies löst den Defäkationsdrang aus. Aktuell hat der Austausch von Mesalazin-Zäpfchen aufgrund von Rabattverträgen Aufsehen erregt. Lipophile Hartfettzäpfchen sollen durch hydrophile Macrogol-Zäpfchen ausgetauscht werden. Die im Rektum durch Wärme zu einer Suspension schmelzenden Zäpfchen lösten bei einigen Patienten durch Anwendungsfehler den Defäkationsdrang aus. Dieses Beispiel zeigt wie wichtig es ist, dass die pharmazeutischen Mitarbeiter auch beim Tabuthema Rektalia und Vaginalia kompetent eine kurze aber präzise Beratung durchführen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2020 ab Seite 26.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer

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