Ein Arzt zeigt und erklärt einem kleinen Jungen, wie er seinen Blutzuckerwert messen soll.© Click_and_Photo / iStock / Getty Images Plus
Je drei Monate nach den Corona-Höchstzahlen steigt auch die Zahl der Diabetes-Diagnosen - vor allem bei Kindern unter sechs Jahren.

Autoimmunerkrankung

MEHR KLEINKINDER MIT TYP-1-DIABETES NACH CORONAWELLEN

Schlechte Nachrichten für kleine Kinder: Während der Pandemie steigt die Zahl der Neuerkrankungen an Typ-1-Diabetes, vor allem bei Kleinkindern. Dieser Trend hat sich in Deutschland auch im zweiten Jahr der Pandemie fortgesetzt.

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Besonders viele Neuerkrankungen an der Stoffwechselerkrankung gibt es bei Kleinkindern im Alter von unter sechs Jahren. Bei ihnen stieg die Inzidenz im Beobachtungszeitraum von Januar 2020 bis Juni 2021 um 23 Prozent mehr als erwartet, im ersten Halbjahr 2021 sogar um 34 Prozent.

Bereits vor der Pandemie war die Anzahl an Neuerkrankungen an Typ-1-Diabetes bei Kindern gestiegen. Eine Auswertung der Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV) ergab für den Zeitraum von 2011 bis 2019 eine konstante Zunahme um 2,4 Prozent pro Jahr. Gründe dafür ließen sich nicht ermitteln, die Zunahme der Zahlen blieb ein Rätsel.

Zeitlicher Zusammenhang von Infektionswellen und Diabetes-Diagnosen

15 Prozent stärker stiegen dann die Zahlen in der Pandemie an, das ermittelte Privatdozent Clemens Kamrath von der Uni Gießen. Die Analyse gerade bei den Kleinkindern unter sechs Jahren ergab einen zeitlichen Zusammenhang mit den ersten drei Wellen der Pandemie: Jeweils etwa drei Monate nach den Höhepunkten der Erkrankungen zeigte sich ein besonders starker Anstieg der Inzidenz, zum Beispiel zwischen Juni und September 2020. Zwischen Oktober 2020 und Februar 2021 flachte dann die Zunahme wieder ab, bevor sie etwa drei Monate nach der Winterwelle zwischen März und Juni 2021 wieder anstieg. Die Ursache bleibt unklar.

Jeweils etwa drei Monate nach den Höhepunkten der Corona-Erkrankungen zeigte sich ein besonders starker Anstieg der Typ-1-Diabetes-Inzidenz bei kleinen Kindern.

Viren werden zwar seit längerem als mögliche Trigger für Autoimmunerkrankungen, wie Typ-1-Diabetes eine ist, diskutiert. Da viele Kinder jedoch schon Jahre vor Ausbruch der Erkrankung Autoantikörper im Blut haben, gingen Diabetologen bisher von einer längeren Latenzzeit zwischen Virusinfektion und Diabeteserkrankung aus. Ein Abstand von nur drei Monaten ist für Kamrath daher überraschend.

Greift SARS-CoV-2 die Bauchspeicheldrüse direkt an?

Er hat noch eine andere Erklärung: einen direkten Angriff von SARS-CoV-2 auf die Beta-Zellen der Langerhans-Inseln. Gegen diese Annahme spricht aber, dass die meisten Kinder bei der Diabetes-Typ-1-Diagnose Autoantikörper gegen die Beta-Zellen haben. Wenn der Diabetes also nicht autoimmun bedingt, sondern durch das Virus ausgelöst wäre, hätten die Kinder keine Autoantikörper. Das heißt: Wenn Coronaviren die Beta-Zellen angreifen würden, müsste es unter den Neuerkrankten einen höheren Anteil geben, der keine Autoantikörper aufweist. Das jedoch war nicht der Fall.

Zudem war bei der Untersuchung unklar, ob die neuerkrankten jungen Diabetiker überhaupt eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten. Hier konnten finnische Forscher etwas Licht ins Dunkel bringen: Auch sie hatten einen Anstieg der Diabetes-Neuerkrankungen festgestellt. Ein Team um Heli Salmi von der Universitätsklinik Helsinki konnte von 33 der 84 neuerkrankten Kinder auf SARS-CoV-2 Antikörper testen. Alle waren negativ, was gegen Corona als Auslöser des Diabetes spricht.

Auch andere Faktoren denkbar

Doch Kamrath hält darüber hinaus auch indirekte Auswirkungen der Pandemie für möglich. Maßnahmen wie die Lockdowns und soziale Distanz könnten dazu geführt haben, dass die Kinder in den ersten Lebensjahren seltener an Infektionen erkrankten. Nach der Hygiene-Hypothese sind seltenere Infektionen eine Ursache für Autoimmunerkrankungen wie Allergien oder Typ-1-Diabetes. Auch der erhöhte psychische Stress während der Pandemie könnte das Diabetes-Risiko erhöht haben.

Was jedoch genau für den Anstieg der Zahlen verantwortlich ist, bleibt vorerst unklar.

Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/131155/COVID-19-Inzidenz-des-Typ-1-Diabetes-steigt-3-Monate-nach-einer-Erkrankungswelle-an 
Clemens Kamrath et al.: „I ncidence of Type 1 Diabetes in Children and Adolescents During the COVID-19 Pandemic in Germany: Results From the DPV Registry“, American Diabetes Association, 17. Januar 2022. https://diabetesjournals.org/care/article/doi/10.2337/dc21-0969/139385/Incidence-of-Type-1-Diabetes-in-Children-and 
Heli Salmi et al. „New-onset type 1 diabetes in Finnish children during the COVID-19 pandemic“, BMJ Journals 20. Januar 2022. https://adc.bmj.com/content/107/2/180.long 

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