Ein neugeborenes liegt auf der Brust der Mutter und lächelt sie an© AleMoraes244 / iStock / Getty Images Plus
Der erste Blickkontakt mit dem Nachwuchs - der erste Mikrobenkontakt hat dann schon längst stattgefunden.

Ausbildung des Mikrobioms

KEIN MIKROBENKONTAKT VOR GEBURT

Die These, dass sich der Säugling vor der Geburt in einer sterilen Umgebung befindet, wurde immer wieder diskutiert – warum fand man dann Bakterien im Mekonium oder Fruchtwasser? Ein Expert*innenkonsortium kommt nun zu dem Schluss: Die Proben waren nur verunreinigt, der erste Mikrobenkontakt findet während der Geburt statt.

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Über unser Mikrobiom können wir identifiziert werden wie über unseren Fingerabdruck: Jeder Mensch verfügt über eine individuelle mikrobielle Zusammensetzung. Doch wann bildet sich dieser bakterielle Fingerprint genau aus?

Eine umstrittene wissenschaftliche Frage. Ging man zunächst davon aus, dass sowohl Plazenta als auch Fruchtwasser steril seien, wurde die Diskussion nach dem Fund von Mikroben im Mekonium – also dem ersten Stuhl des Neugeborenen nach Geburt – und dem Fruchtwasser angeheizt. Schließlich ist auch von bestimmten Tierarten bekannt, dass die Mutter mikrobielle Informationen bereits vorgeburtlich an den Nachwuchs weitergibt.

Unsauber gearbeitet, falsche Schlüsse gezogen

Bekanntermaßen gibt es bei widersprüchlichen Thesen immer zwei Seiten – doch welche hat Recht? Um das zu klären, führten insgesamt 46 internationale Expert*innen aus der Reproduktionsbiologie, der Mikrobiomforschung und der Immunologie eine gemeinsame Studie durch, diskutierten die fraglichen Studien und werteten die Analysen erneut aus.

Mit dem Ergebnis, dass es sich bei den nachgewiesenen Mikroben lediglich um Verunreinigungen handelte. Diese Kontamination könnte bei der Probenentnahme durch Vaginalsektret, bei der Aufreinigung oder der Analyse an sich aus der Umwelt stattgefunden haben.

„Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien. Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden", erklärt Thomas Rattei, Leiter der Forschungsabteilung für computergestützte Systembiologie am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. "Datenbanken und Methoden der Bioinformatik spielen in solchen Analysen eine besondere Rolle", ergänzt er.

Was bedeutet das für die künftige Mikrobiomforschung?

Damit lehnen die Forschenden die These des mikrobiellen Erstkontaktes vor der Geburt zwar mit dem aktuellen Kenntnisstand ab. Es geht ihnen aber vielmehr über die Gestaltung der Folgestudien, denn: „Die Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt entwickelt, hat einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die Gesundheit", sagt Thomas Rattei. "Für ein gutes wissenschaftliches Verständnis müssen Studien in diesem Bereich international vergleichbar durchgeführt werden, und dazu trägt diese Publikation bei".

Fehler passieren, und zwar, damit man aus ihnen lernt. Künftige Forschende sollten daher ihren Fokus auf das Mikrobiom der Mütter und ihrer Neugeborenen richten. Sowie auf Stoffwechselprodukte des mütterlichen Mikrobioms, die in der Lage sind, die Plazenta zu passieren. Denn man geht davon aus, dass die Plazenta als natürliche Schranke den Fötus vor Mikroben schützt. Doch könnten Mikrobiom-Stoffwechselprodukte das Ungeborene auf die Konfrontation mit Mikroben während und nach der Geburt vorbereiten.

Wichtig ist den Expert*innen vor allem eines: Geringe Fundproben von Mikroben in Geweben deuten nicht zwangsläufig auf eine Besiedelung hin, man muss eine Kontamination ausschließen können.

Quellen:
"Questioning the fetal microbiome illustrates pitfalls of low-biomass microbial studies", Katherine M. Kennedy, Marcus C. de Goffau, Thomas Rattei, Jens Walter et.al.; Nature (2023)
https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/mensch-ist-nicht-bereits-vor-geburt-mit-bakterien-besiedelt/

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