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Kulinaria

AUS DER BRÜHE KOMMT DIE KRAFT

Es gibt einen neuen Food-Trend unter den hippen New Yorkern: Bone Broth. Tatsächlich ist die entfettete Knochenbrühe im Thermobecher-to-go dabei, dem Kaffee den Rang abzulaufen.

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Angefangen hat alles mit Marco Canora. Der gebürtige Italiener und gelernte Koch besitzt ein Restaurant, das zwar nicht besonders groß ist, aber eine traumhafte Lage hat: Es liegt an der First Avenue in Manhattans East Village. Allerdings nur nach hinten raus. An der Wand der Pastaküche befindet sich ein Fenster, das leicht zur Ladentheke umgewandelt werden konnte, und Canora grübelte geschlagene drei Jahre darüber nach, was er aus diesem Fenster heraus verkaufen könnte.

Denn sein Restaurant warf nicht gerade üppige Margen ab, die Mieten in Manhattan sind überirdisch hoch und italienische Pastaköche gibt es an jeder Ecke. Canora erinnerte sich an die „Brodos“ seiner Kindheit. Brodo, das heißt Brühe; wir würden Boullion dazu sagen. Seine Mamma hatte immer einen riesigen Topf auf dem Herd stehen, der tagsüber vor sich hin köchelte und in dem alles schwamm, was übrig war: Die Knochen vom Braten, die unleckeren Teile vom Hühnchen und viel Gemüse.

Superfood Marco Canora ist jetzt ein gemachter Mann. Er verfeinerte das Rezept der Mamma, nannte es „Hearth-Brühe“ und verkauft es in drei Varianten, der kleinste Becher zu 230 Millilitern kostet 4,50 Dollar. Nach eigenen Angaben produziert er zurzeit 190 Liter frisch sowie 80 Liter tiefgefrorene. Und alles verkauft er aus dem kleinen Ladenfenster heraus. Man muss nur Ideen haben. Was ist dran an der „Bone Broth“, der Knochenbrühe? Und wie kam Mr. Canora überhaupt darauf?

Er beschreibt das in seinem Buch „Brodo“: „Vor der Eröffnung der Ladentheke trank ich dreimal pro Woche ein bis zwei Becher Brühe. An diesen Tagen fiel mir auf, dass ich weniger oder gar keine Zwischenmahlzeiten einnahm und nicht von meinem üblichen Heißhunger nach Brot und Süßem befallen wurde.“

Nachdem die Knochenbrühe jedoch Hauptbestandteil seines Restaurants wurde, trinkt er das Gesöff täglich: „Nach drei Monaten … nahm ich signifikante Veränderungen an mir wahr. Die Verdauungsbeschwerden, unter denen ich gelitten habe, treten jetzt viel seltener auf, und meine Stimmung schwankt viel weniger. Brühe sättigt, führt dem Körper Flüssigkeit zu und stärkt auf eine Art und Weise, wie koffeinhaltige Getränke es nicht können“, beschreibt der Koch die Wirkung, die das auf ihn hat.

Starke Knochen Er selbst gibt zu, dass keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, ob die Knochenbrühe tatsächlich eine medizinische Wirkung auf den Körper hat, denn es gibt keine Studien darüber. Deren Hauptbestandteile – Kollagen, Gelatine und Knochenmark – soll Haut, Haare und Nägel stärken, Erkältungen bekämpfen, die Verdauung fördern, die eigenen Knochen gesund halten und „detoxen“, also entgiften. Canora mixt auch noch Ingwer oder Kurkuma, Chiliöl und Zitronengras hinein.

Die Suppe passt gut ins Konzept der Paleo-Diät, weshalb sie wohl auch bei uns langsam ihren Siegeszug antritt, zahlreiche Buchtitel zeugen davon (schauen Sie nach auf unserer Bücherseite, S. 164). Doch: „Die Vorstellung, dass Kollagen aus den Tierknochen heraus gekocht wird und über die Suppe direkt in die Knochen des Menschen wandert und diese stärkt, ist ganz sicher zu einfach“, erklärte Professor Bernhard Watzl vom Institut für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max-Rubner-Institut in Karlsruhe dem Magazin STERN gegenüber (http://www.stern.de/gesundheit/ ernaehrung/-bone-broth---wie-gesund- ist -die-knochenbruehe- -6704816.html).

Nur bei der klassischen Hühnerbrühe, in der ja auch Fleischstücke mitgekocht werden, macht er eine Ausnahme. Da sei es durchaus möglich, dass sie tatsächlich gegen Erkältungen helfe. Denn die Brühe blockiere bestimmte weiße Blutkörperchen, die Entzündungsprozesse mit hervorrufen und bei grippalen Infekten vermehrt im Körper freigesetzt werden.

BÜCHER ZUM THEMA:

+ Canora, Marco: Brodo: Das Brühenkochbuch für Gesundheit und Genuss
+ Claudia Lenz: Magische Brühen: Gesund, schlank und schön mit dem neuen Suppenwunder
+ Marion Grillparzer: Die Suppe heilt

Am heimischen Herd Aufgrund der unklaren und ungesicherten Lage entschloss sich die Autorin zum Selbstversuch. Stimmungsaufhellend, wachmachend, energiespendend, das klang einfach zu gut. Allerdings gibt es schon beim Metzger die ersten Schwierigkeiten („Knochen? So viele? Haben wir nicht.“) Was dann im größten Topf des Haushaltes (16 Liter) landet, ist eine Mischung aus Suppenhuhn, Putenkeule, Fleischknochen und Rinder- Beinscheiben, die gruselig aussieht. Und es riecht auch gruselig.

Der Pott braucht eine Stunde, um aufzukochen, dann muss in der nächsten Stunde mit dem Schöpflöffel das geronnene Eiweiß samt dem bräunlichen Schaum, der entsteht, abgeschöpft werden, sonst schmeckt die ganze Sache später komisch. Wenn die Flüssigkeit klar bleibt, kommt das grob geschnittene Gemüse hinein. Kein Salz! sagt Meister Canora und alle anderen Buchautoren auch. Es dauert einen halben Tag, bis die Knochenbrühe fertig gesimmert hat, dann erst kommt das Salz hinein und sie muss über Nacht raus ins Kalte, damit sich die Fettschicht oben absetzt.

Vorher hat man alles Feste in der Suppe zu entfernen. Nachdem das Fett abgenommen ist, die Suppe durch ein feines Sieb in einen zweiten Topf abgegossen wurde, bleiben rund acht Liter echte Knochenbrühe übrig. Die kann man prima einfrieren. Und man kann sie mitnehmen, zur Arbeit, in der Thermoskanne.

BONE BROTH
Die Knochenbrühe, wird am besten gleich in einer größeren Menge aus ungefähr neun (!) Kilo Knochen gekocht. Dazu kommt Suppengemüse. Nach 12 bis 16 Stunden auf dem Herd sollen alle Vitalstoffe ins Wasser übergewechselt sein, es darf gesalzen werden.

Brühe to go Es ist tatsächlich mal was anderes als der ewige Kaffee. Sie macht sogar ein bisschen satt, die Brühe, aber nicht zu satt. Es kommt wohl auf die richtige Würzung an (bei späteren Versuchen wurde diese optimiert), denn so pur riecht sie schon etwas eigen. Herr Canora und die anderen Autoren empfehlen auch eine selbstgekochte Gemüsebrühe, die ist dann für die vielen Vegetarier und Veganer gedacht, und diese enthält natürlich kein Kollagen.

Es beginnt sich eine ganze Industrie um die Brühe aufzubauen; sie wird mit Attributen wie „magisch“ oder „heilend“ belegt. Unbestritten ist, dass sie in Fasten- oder Entgiftungskuren eine entlastende Wirkung auf den Körper hat, vor allem auf die Leber. Professor Watzl nennt sie immerhin ein „traditionelles, gutes Lebensmittel“. Vielleicht hat Brühe auch deswegen bei uns einen schweren Stand, weil sie als leicht spießig gilt. Bei den Asiaten ist das anders: Die schlürfen ihre Suppe schon zum Frühstück.

Die Vietnamesische „Pho“ besteht aus Knochenbrühe, gewissem Gemüse und hauchdünn geschnittenem, mit der kochenden Suppe übergossenem rohem Rindfleisch oder Thunfisch. Die Japaner lieben ihre Misosuppe, in der sich Kombu-Seetang und Bonito-Fischflocken finden. Und die Koreaner brauen sich „Seolleotang“, eine Brühe aus Ochsenschwanz und Markknochen, deren finales Aussehen sicher nicht unser Gefallen finden würde, die aber sehr gesund sein soll.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/16 ab Seite 94.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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