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Psychologie in der Apotheke

AUS DEM LEBEN GERISSEN

Das Leben besteht nicht nur aus Sonnenseiten, auch Schwierigkeiten, Hindernisse, Trauer, Tod oder Krankheiten gehören dazu. Der Umgang mit Tragödien unterscheidet sich von Mensch zu Mensch mitunter stark.

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Das Leben kann sich innerhalb von Sekunden ändern und plötzlich ist nichts mehr, wie es vorher war: Ein Unfall, ein unerwarteter Schlaganfall oder eine Diagnose verändern es grundlegend. Auch der Tod eines nahen Angehörigen, eine Trennung oder eine Scheidung stürzen viele Personen ins Unglück. Derzeit haben Kunden oft Angst vor dem Corona-Virus und je näher die Krankheit kommt, desto größer ist die Furcht. Hinzu kommt, dass neuere Gefahren stärker angsteinflößend sind als altbekannte, wie etwa die jährliche Grippewelle. Warum schaffen es einige Menschen, mit Ängsten gut umzugehen, während andere daran verzweifeln?

Und was können PTA und Apotheker ihren Kunden empfehlen? Warum gehen Personen unterschiedlich mit einschneidenden Situationen um und was steckt dahinter? Der amerikanische Psychologie-Professor George Bonnano, Experte auf dem Gebiet der Traumaforschung, untersuchte nach dem Anschlag auf die Twin Towers am 11. September 2001 Personen, die sich in unmittelbarer Nähe der Geschehnisse befanden. Er beleuchtete die Konsequenzen, die der Terroranschlag für jeden Einzelnen hatte. Dadurch, dass jeder Proband den gleichen Schicksalsschlag erlebte, stellte Bonnano sicher, dass sein Vergleich aussagekräftigt war.

Über einen Zeitraum von zwei Jahren befragte er Betroffene und kam schließlich zu der Erkenntnis, dass es vier Typen der Verarbeitung von Schicksalsschlägen gibt: Der chronische Typ kommt mit Krisen und Schicksalsschlägen überhaupt nicht zurecht und entwickelt dauerhaft psychische und physische Beschwerden, die im schlimmsten Falle gar nicht bewältigt werden. Erholen sich Personen nach Krisen innerhalb von etwa zwei Jahren von ihren anfänglichen Symptomen, zählen sie zu der Kategorie der genesenen Typen.

Der verzögerte Typ zeigt unmittelbar nach dem Schicksalsschlag zunächst keine Auffälligkeiten und es macht den Anschein, als stecke er die Geschehnisse einfach so weg. Allerdings treten nach Tagen, Wochen oder Monaten schließlich doch psychische und/oder körperliche Symptome auf. Menschen vom resilienten Typ können sich glücklich schätzen. Sie verfügen über eine hohe Widerstandskraft gegenüber Krisen, weisen keine oder nur sehr leichte Beschwerden auf und sind in der Lage, traumatische Erlebnisse gut zu verarbeiten.

Psychische Widerstandsfähigkeit Was steckt hinter dem Phänomen der Resilienz? Während einige Menschen trotz Katastrophen die Zuversicht und den Lebensmut bewahren, gehen andere an Schicksalsschlägen zugrunde. Dieser Wesenszug, der sich durch einen positiven Umgang mit Tragödien zeigt, wird als Resilienz bezeichnet und entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Zum einen verhilft Intelligenz dazu, kreative Wege aus der Krise zu finden, zum anderen knüpfen Betroffene mit einer ausgeprägten Extraversion schneller Bindungen an ihre Mitmenschen und erhalten auf diese Weise Unterstützung.

Das soziale Umfeld eines Menschen stellt einen wesentlichen Schutzfaktor im Krisenfall dar. Auch ein genereller Optimismus steht mit Resilienz im Zusammenhang, denn optimistische Personen sind überzeugt davon, dass sich alles zum Guten wendet. Resiliente Menschen katastrophisieren nicht, malen sich also nicht aus, was alles passieren könnte und ersparen sich somit viel Stress. Zudem verfügen sie über ein hohes Maß an Selbstwirksamkeitserwartung. Sie sind also überzeugt davon, Krisen selbstständig bewältigen und das Leben aus eigener Kraft meistern zu können. Oft gehen sie nach einer Tragödie gestärkt in ihr altes Leben zurück, während andere Personen an den Schicksalsschlägen zerbrechen.

Quälende Ungewissheit Nicht nur der Umgang mit Katastrophen ist schwer, sondern auch das Warten auf mögliche Schicksalsschläge – nicht umsonst gibt es den Ausdruck „auf die Folter spannen“. Wer beispielsweise monatelang auf ein wichtiges Prüfungsresultat oder - noch schlimmer – auf das Ergebnis einer Biopsie bei dem Verdacht auf Krebs warten muss, befindet sich unter Umständen im Ausnahmezustand und quält sich mit der Unsicherheit. Angst und Sorge sind in dieser Zeit die vorherrschenden Gefühle und zwar mit weitreichenden Konsequenzen: Häufig ist an Schlaf kaum zu denken, stattdessen liegen Betroffene nachts wach und grübeln. Die Leidenszeit wird insgesamt als länger empfunden und nicht selten wünscht man sich lieber ein Ende mit Schrecken, anstatt das Gefühl der Ungewissheit länger ertragen zu müssen.

Die negativen Emotionen sind während der Wartezeit unterschiedlich ausgeprägt. Kurz nach dem Ereignis, also nach der Prüfung oder der Biopsie, ist die Sorge zunächst am größten. Danach beruhigt man sich etwas, bis kurz vor der Verkündung des Resultats erneut die Panik ausbricht. Einige Personen gehen insgesamt optimistischer mit der Situation um und erleben die Wartezeit als erträglicher. Etwas Gutes haben die großen Sorgen allerdings: Der Moment der Wahrheit wird dann angenehmer empfunden, denn man ist bereits durch die Hölle gegangen und trägt die schlechte Nachricht mit Fassung, während man sich über ein gutes Ergebnis umso mehr freut.

Schonen oder belasten? Ist es sinnvoll, Patienten mit schlechten Prognosen zu konfrontieren? Der Onkologe Jerome Groopman berichtet in seinem Buch „The Anatomy of Hope“ über die Fälle zweier Krebs-Patientinnen mit ungünstigen Prognosen. Im ersten Fall spielte der Arzt der Erkrankten etwas vor und tat so, als sei eine Heilung durchaus denkbar, obwohl es keine Hoffnung gab. Kurz vor ihrem Tod zeigte sich die Patientin schwer entsetzt darüber, dass der Arzt, dem sie vertraut hatte, ihr nicht die Wahrheit erzählte. In einem zweiten Beispiel stand es ebenfalls sehr schlecht um eine Patientin, die von ihrem Arzt über das nahende Ende aufgeklärt wurde. Sie genoss ihre letzten Tage in vollen Zügen und starb gefasster als Patientin 1. Trotz der gleichen schlechten Aussicht erlebten die Frauen ihr Ende völlig unterschiedlich.

Tipps für Ihre Kunden Raten Sie Ihren Kunden dazu, sich mit ihrem Schicksal zu versöhnen. Die folgenden Tipps können möglicherweise dabei helfen: Betroffene sollten akzeptieren, dass das Leben aus Höhen und Tiefen besteht. Auch wenn es schwerfällt – es empfiehlt sich, die Situation so anzunehmen, wie sie ist. Jeder Mensch kann seine Einstellung zu dem, was passiert ist, frei wählen und sich dafür entscheiden, sein Schicksal anzunehmen und das Beste aus der Situation machen. Außerdem ist es sinnvoll, Selbstmitgefühl zu entwickeln. Anstatt sich selbst Vorwürfe zu machen oder sich zu verurteilen, sollte man Verständnis dafür aufbringen, dass es einem momentan nicht gut geht. Raten Sie Ihren Kunden, sich Ermutigungssätze wie „Ich schätze mich glücklich, auch wenn mein Leben nicht perfekt ist“ zu notieren und sie einmal täglich durchzulesen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2021 ab Seite 126.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie, Fachjournalistin

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