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Ernährung

AUF SPURENSUCHE

Menschen, die an einer Weizensensitivität leiden, geben immer häufiger an, alte Getreidesorten besser als den herkömmlichen modernen Weizen zu vertragen. Was steckt hinter diesem Phänomen?

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Nicht nur eine Zöliakie oder Allergie gegen Weizenbestandteile lösen Bauchschmerzen nach dem Verzehr von Weizenprodukten aus. Ebenso kann eine Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität dahinter stecken. Diese Unverträglichkeit wird häufig kurz auch nur als Weizensensitivität bezeichnet. Sie führt nicht nur zu Blähungen, Bauchkrämpfen oder Durchfällen. Typischerweise kann es zudem zu Beschwerden außerhalb des Magen-Darm-Traktes wie Kopfschmerzen, Migräne, Müdigkeit oder Muskel- und Gelenkschmerzen kommen.

Bei der Weizensensitivität handelt es sich bislang um eine Ausschlussdiagnose, bei der weder die Marker für eine Zöliakie noch für eine Weizenallergie festgestellt werden können. Somit sind weder Gluten noch Weizenproteine die eigentlichen Übeltäter. In Verdacht steht vielmehr eine Gruppe von Eiweißstoffmolekülen, die Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI), sowie schlecht resorbierbare Kohlenhydrate, die FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole). Darüber hinaus werden die Auswirkungen moderner Technologien bei der Brotherstellung als potenzielle Auslöser diskutiert und das Erbgut der verschiedenen Getreidesorten in Betracht gezogen.

ATIs Amylase-Trypsin-Inhibitoren, kurz ATIs, finden sich in glutenhaltigen Getreiden wie Weizen, Roggen und Gerste sowie auch in älteren Weizenarten wie Dinkel, Emmer und Einkorn. Diese Proteinbestandteile sind natürliche Abwehrstoffe zum Schutz vor Fraßfeinden. Sie hemmen aber nicht nur die Verdauungsenzyme von Insekten, sondern auch die der Menschen. Besonders problematisch ist, dass sie dosisabhängig über den Toll-like-Rezeptor 4 das angeborene Immunsystem und damit die Freisetzung entzündungsfördernder Botenstoffe stimulieren. Folge sind Entzündungsprozesse im Darm, die mit einer Barrierestörung einhergehen und folglich gastrointestinale Symptome auslösen.

Zudem werden extraintestinale Beschwerden an verschiedenen Stellen im Körper damit assoziiert. Da die ATIs im Getreide mit Gluten vergesellschaftet sind, können sich die Beschwerden mit einer glutenfreien Diät bessern. Bei vielen ist keine vollständige Glutenkarenz notwendig. Oftmals reicht schon ein geringerer Verzehr, um eine deutliche Besserung zu er- zielen. Allerdings reagieren die Betroffenen nach Verzehr verschiedener gluten- und damit ATI-haltiger Getreidesorten nicht immer gleich. Wiederholt wird berichtet, dass der Verzehr ursprünglicher Weizenarten wie Einkorn, Emmer und Dinkel mit weniger Beschwerden als der Genuss von herkömmlichem Weizen einherginge. Forscher können diese Aussage jedoch nicht pauschal bestätigen.

Auch wenn moderner Weizen häufig hohe ATI-Gehalte aufweise, enthalten alte Weizenarten wie Dinkel, Emmer oder Einkorn nicht grundsätzlich weniger ATIs. Die ATI-Gehalte schwanken vielmehr innerhalb der Sorten stark. Zudem gibt es anbauspezifische Unterschiede (z.B. Klima, Bodenbeschaffenheit, Düngung). Häufig werden beispielsweise Sorten aus biodynamischem Anbau wie die klassische Dinkelsorte Oberkulmer Rotkorn gut vertragen. Aber auch neue Zuchtlinien sowie Sorten aus konventioneller Züchtung können gut verträglich sein. Schließlich gibt es moderne Weizensorten mit geringen und alte Sorten mit hohen ATI-Gehalten. Doch es existieren auch Einkornsorten, die praktisch ATI-frei sind, während Dinkel nicht grundsätzlich weniger ATIs als Weizen aufweist, wie oftmals behauptet wird.

FODMAPs Andere Forschungsprojekte beschäftigen sich mit fermentierbaren Oligo-, Di- (Fructane, Galactane) und Monosacchariden (Lactose, Fructose) und Polyolen (Sorbitol, Mannitol), kurz FODMAPs, die unter anderem in glutenhaltigem Getreide enthalten sind. Diese Zuckerverbindungen sind im Darm osmotisch wirksam und werden von dort ansässigen Bakterien fermentiert, wodurch Gase und freie Fettsäuren entstehen, die typische gastrointestinale Beschwerden verursachen. Alle Getreidearten – sowohl alte als auch neue Sorten - enthalten FODMAPs, allerdings zeichnen sie sich durch einen unterschiedlichen Gehalt aus. Nach Untersuchungsergebnissen der Universität Hohenheim weisen Durum und Emmer etwas weniger davon auf als Dinkel, Weizen oder Einkorn.

Der Gehalt im Einkorn übertraf sogar den des Weizens. Folgt man dem Konzept der FODMAP-armen Diät, wäre der Verzehr von Getreideprodukten mit Einkorn auf den ersten Blick nicht optimal. Anders als bei einer ATI-armen Ernährung, bei der Einkorn für Menschen mit einer Weizensensitivität im Vergleich zu Weizen, Dinkel oder Emmer die bessere Wahl zu sein scheint - so die Ergebnisse einer Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass Einkorn im Gegensatz zu Weizen, Dinkel und Emmer keine oder deutlich geringere Mengen von ATIs enthält und bewerten diese alte Getreidesorte daher als besonders bekömmlich.

Slow Baking Bei der Frage nach der Verträglichkeit scheint aber auch der Verarbeitungsprozess bei der Brotherstellung eine Rolle zu spielen. Der Teig von Fertigbackmischungen, der bereits nach einer Stunde zubereitet wird, weist einen hohen FODMAP-​Gehalt auf. In Weizenteigen, die eine Teigruhe von vier Stunden haben, bevor sie weiter verarbeitet werden, kommt es zu natürlichen Gärungsprozessen. Während der langen Ruhezeit bauen Hefen fast alle FODMAPs ab, was mit einer besseren Bekömmlichkeit einhergeht. Auf die ATIs haben lange Ruhezeiten jedoch keinen Einfluss.

Während lange Teigführungszeiten für die Industrie und Großbäckereien eher uninteressant sind, weil es dort schnell gehen muss, lassen vor allem kleine Handwerksbäckereien ihre Teige länger ruhen. Dort haben auch eher alte Getreidesorten eine Chance, deren Teige weicher und schwerer zu verarbeiten sind. Diese sind zwar teurer, da die alten Sorten in viel geringerem Maße als herkömmliche Getreidearten angebaut werden. Belohnt wird die Mühe und der besondere Einsatz der Bäcker aber mit Backwaren, die für Menschen mit einer Weizensensitivität häufig bekömmlicher sind als herkömmlich erzeugte Industrieprodukte.

D-Genom-freie Weizenarten Eine weitere Hypothese über fragliche Auslöser der Weizensensitivität betrachtet bei den verschiedenen Weizenarten die Glutenstruktur, die auf einem unterschiedlichen Genom beruht. So weisen die Arten der diploiden Einkorn- (Einkorn) und tetraploiden Zweikornreihe (Emmer, Khorasan-Weizen/Kamut®, Hartweizen) im Gegensatz zu den Arten der hexaploiden Dinkelreihe (Dinkel, Weichweizen) kein D-Genom auf, was mit einer besseren Verträglichkeit in Verbindung gebracht wird. Fazit Es gibt viele Hinweise.

Immer wieder spielen bei den Erklärungsversuchen alte Getreidesorten eine Rolle. Doch die Spurensuche ist noch nicht zu Ende. Eindeutig ist allein, dass noch viel Forschungsbedarf bei dem überaus komplexen Thema besteht. Wer sich noch intensiver mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten beschäftigen möchte, sei auf das gleichnamige Buch von Smollich und Vogelreuter,2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2018, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH verwiesen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/19 ab Seite 116.

Gode Chlond, Apothekerin

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