Repetitorium

ARZNEIMITTELRISIKEN – TEIL 2

Ist der „Stufenplan“ das Allheilmittel zur Abwehr von Arzneimittelrisiken? Hier erfahren Sie, was sich genau hinter dem „Stufenplanverfahren“ verbirgt, wer daran beteiligt ist und welche Konsequenzen das für den Arzneimittelverkehr hat.

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Um das naturgemäß von Arzneimitteln ausgehende Gefahrenpotenzial zu minimieren, hat die Gesetzgebung für den Bereich nach der Arzneimittelzulassung ein Stufenplanverfahren entwickelt. Grundlage dieser ganz konkreten Pharmakovigilanzmaßnahme sind in Deutschland die § 62 und 63 des Arzneimittelgesetzes , die mittels einer „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken“ (kurz Stufenplan) umgesetzt werden. Die Ursprungsversion dieses Stufenplans stammt aus dem Jahr 1980 und war damit eine der ersten in der Europäischen Gemeinschaft (EU). Sie hat sich in ihren Grundzügen bis heute bewährt. Eine Überarbeitung trat 1990 in Kraft. Die aktuelle Fassung dieses Stufenplans ist vom 9. Februar 2005, wobei die Neufassung stark unter dem Eindruck der Umsetzung gesamteuropäischer Vorgaben steht und auf EU-Ebene neu geschaffene Strukturen adäquat abzubilden hat.

Minimierung von Arzneimittelrisiken – So steht es im Gesetz§ 5 AMG – ist die zentrale Grundlage für das Messen von Arzneimittelrisiken: „(1) Es ist verboten, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen. (2) Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.“

§ 62 AMG – beschreibt die Organisation der Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken: „Die zuständige Bundesoberbehörde hat zur Verhütung einer unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier die bei der Anwendung von Arzneimitteln auftretenden Risiken, insbesondere Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Gegenanzeigen und Verfälschungen, zentral zu erfassen, auszuwerten und die nach diesem Gesetz zu ergreifenden Maßnahmen zu koordinieren. Sie wirkt dabei mit den Dienststellen der Weltgesundheitsorganisation, den Arzneimittelbehörden anderer Länder, den Gesundheits- und Veterinärbehörden der Bundesländer, den Arzneimittelkommissionen der Kammern der Heilberufe sowie anderen Stellen zusammen, die bei der Durchführung ihrer Aufgaben Arzneimittelrisiken erfassen.“

§ 63 AMG – schafft die Ermächtigungsgrundlage zur Ko - ordination der Maßnahmen: „Das Bundesministerium erstellt durch allgemeine Verwaltungsvorschrift mit Zustimmung des Bundesrates zur Durchführung der Aufgaben nach § 62 einen Stufenplan. In diesem werden die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und Stellen auf den verschiedenen Gefahrenstufen sowie die Einschaltung der pharmazeutischen Unternehmer näher geregelt und die jeweils nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu ergreifenden Maßnahmen bestimmt. In dem Stufenplan können ferner Informa tionsmittel und -wege bestimmt werden.“

Stufenplanverfahren: zuständige Stellen Der Stufenplan regelt die Zusammenarbeit der beteiligten Behörden und Stellen, die bei der Durchführung ihrer Aufgaben Arzneimittelrisiken erfassen („Stufenplanbeteiligte“). Hier zu Lande sind dies die Landesgesundheitsämter und entsprechende Veterinärbehörden, die Arzneimittelkommissionen der Heilberufskammern und der Heilpraktikerschaft, die Arzneimittelhersteller inklusive der einzelnen Bundesverbände der pharmazeutischen Industrie. Als Bundesoberbehörden haben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), zuständig für Sera, Impfstoffe, Testallergene, -sera, -antigene sowie Blutprodukte sowie zusätzlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine wichtige Funktion in der Arzneimittelsicherheit.

Darüber hinaus können das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und gegebenenfalls andere beteiligte Bundesministerien in schweren Einzelfällen in den Stufenplan mit einbezogen werden. Auf internationaler Ebene werden insbesondere die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft einbezogen einschließlich Arzneispezialitätenausschuss (Committee for Proprietary Medicinal Products, CPMP), Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sowie die Dienststellen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Der Stufenplanbeauftragte Im Rahmen der mit der Zulassung einhergehenden breiten Anwendung eines Arzneimittels wurden die pharmazeutischen Hersteller – wie in Teil 1 dieses Repetitoriums beschrieben – verpflichtet, durch intensive Produktbeobachtungen seltene oder sehr seltene Nebenwirkungen eines Arzneimittels aufzudecken. Schon aus rein statistischen Gründen können diese in den klinischen Prüfungen aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl nicht alle aufgespürt werden.

Die Produktbeobachtung nach der Zulassung erfolgt dabei insbesondere durch Phase-IVStudien, Anwendungsbeobachtungen (NIS), das Sammeln von Spontanbeobachtungen oder Intensiv-Monitoring- Systeme. In den ersten zwei Jahren nach Zulassung (Neuzulassungsphase) hat der pharmazeutische Unternehmer Sicherheitsberichte halbjährlich, in den folgenden drei Jahren jährlich und danach erst alle fünf Jahre an die zuständige Bundesoberbehörde, meist ist dies das BfArM, zu liefern.

Um alle bekannt gewordenen Meldungen über Arzneimittelrisiken zu sammeln, zu bewerten und die notwendigen Maßnahmen zu koordinieren, hat jedes Pharmaunternehmen, das Fertigarzneimittel in den Verkehr bringt, eine entsprechend qualifizierte Person zu beauftragen. Was im europäischen Wirtschaftsraum dann gerne als sachkundige Person für Pharmakovigilanz bezeichnet wird, ist nach § 63a des AMG der Stufenplanbeauftragte. Faktisch sind sie die Arzneimittelsicherheitsexperten in den einzelnen pharmazeutischen Unternehmen.

Zwei Gefahrenstufen Jeder pharmazeutische Unternehmer ist nach § 29 AMG verpflichtet, beim Bekanntwerden von Arzneimittelrisiken unverzüglich, spätestens jedoch nach 15 Tagen, die zuständige Bundesoberbehörde, also meist das BfArM, zu informieren. Wenn eingegangene Meldungen oder andere Informationen auf mögliche oder schwere Arzneimittelrisiken hinweisen, wird nach einem festgelegten Stufenplan vorgegangen. Die Unterteilung in zwei Gefahrenstufen ermöglicht hierbei den zuständigen Stellen eine angepasste Reaktion auf das Bekanntwerden von Arzneimittelrisiken.

Bei Gefahrenstufe I reicht schon der Verdacht auf die Möglichkeit eines Risikos aus. Die zuständige Bundesoberbehörde tritt mit dem betroffenen pharmazeutischen Unternehmen in einen Informationsaustausch ein, der sich insbesondere auf die Häufigkeit der vermuteten Arzneimittelrisiken, ihre möglichen Ursachen und den Gefährdungsgrad erstreckt. In der Regel wird von dem pharmazeutischen Unternehmer eine Zusammenstellung der gemeldeten unerwünschten Wirkungen unter verschiedenen Aspekten, werden Abgabezahlen, der internationale Zulassungsstatus des Arzneimittels und eine inhaltliche Stellungnahme angefordert.

DER „ROTE HAND-BRIEF“
Als weltweit einziges Land setzt Deutschland auf Initiative des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) zusätzlich das Instrument des Warn- Briefes mit dem „Rote-Hand“-Logo seit vielen Jahren ein. Mittels „Rote-Hand-Brief“, der per Post, via Großhandel, Fax und/oder E-Mail versendet wird, informiert der pharmazeutische Hersteller Ärzte und Apotheker schnell dar über, wenn bei einem seiner Arzneimittel gravierende Fälle von unerwünschten Nebenwirkungen
auftreten, bestimmte Patienten verstärkt überwacht oder auf ein anderes Medikament umgestellt werden müssen.

Auch muss der pharmazeutische Unternehmer darlegen, ob und in welchem Umfang er eigenverantwortliche Maßnahmen selbst ergreift. Wenn der Verdacht auf ein Risiko ausgeräumt werden kann oder der pharmazeutische Unternehmer selbst ausreichende Maßnahmen zur Risikoabwehr, wird das Verfahren auf dieser Stufe abgeschlossen. Gilt das gesundheitliche Risiko als begründet und besonders hoch oder ist der Hersteller nicht zu geeigneten Maßnahmen bereit, folgt automatisch die Gefahrenstufe II.

Stufe II kann auch direkt ohne vorhergehende Stufe I von Seiten der Bundesoberbehörde (BfArM) eingeleitet werden, wenn schnell effektiv gehandelt werden soll, also direkt konkrete Maßnahmen zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit für erforderlich gehalten werden. Zentrale Bedeutung kommt dabei dem § 5 AMG (Verbot bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen) zu. Die zuständige Bundesoberbehörde (BfArM) wird nach den gesetzlichen Vorgaben den Hersteller zunächst anhören, also zu einer Stellungnahme und das Einreichen von Sachverständigengutachten bitten.

Daneben werden weitere Sachverständige zur Beurteilung herangezogen, sowie alle am Stufenplan beteiligten Institutionen, Verbände und Behörden. Dies kann in einer Sondersitzung erfolgen, meist geschieht dies aber in schriftlicher Form. Nach Auswertung aller eingereichten Unterlagen entscheidet dann das BfArM – eventuell in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) – über die weitere Vorgehensweise, zu treffende Maßnahmen und Fristen der Umsetzung.

Breiter Maßnahmenkatalog Im Einzelnen kommen als Maßnahmen, die seitens des BfArM angeordnet werden können, der Widerruf, die Rücknahme oder das Ruhen der Zulassung sowie Auflagen infrage. Auflage kann beispielsweise die Aufnahme eines Warnhinweises sein, der sicherstellen soll, dass das Arzneimittel nur von Fachärzten oder bei klinischer Überwachung angewendet wird. Auch Änderungen oder Ergänzungen im Wortlaut der äußeren Umhüllung, der Gebrauchs- und Fachinformation, Vorgabe einer therapiegerechten Packungsgröße, eines bestimmten Behältnisses oder eine Verlängerung beziehungsweise Ausweitung bestimmter systematischer Dokumentationsphasen sind typische Auflagen.

Schon die zuständige Landesbehörde kann aber ein Inverkehrbringen des Arzneimittels untersagen, (Chargen)-Rückrufe anordnen oder die Überwachungsmaßnahmen intensivieren. Das BMG entscheidet etwa über eine Ausweitung der Apothekenpflicht, Unterstellung unter Verschreibungs- oder womöglich sogar Betäubungsmittelrecht und kann auch die Herstellung einer Substanz komplett untersagen. Die zu treffenden Maßnahmen werden als rechtsmittelfähiger Bescheid von der zuständigen Bundesoberbehörde dem Stufenplanbeauftragen des pharmazeutischen Unternehmens nachrichtlich zugestellt.

Die betroffenen Fachkreise, also alle Heilberufe, werden nicht direkt vom BfArM, sondern über die Kammern, also Ärzte- beziehungsweise Apothekerkammern über die Maßnahmen informiert. Dies erfolgt durch Mitteilungen seitens der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) in der Fachpresse, in dringenden Fällen auch durch telefonische Rundrufe. Meist ist von Behördenseite ein Zeitablaufplan vorgegeben, der, soweit es die Dringlichkeit der durchzuführenden Maßnahme zulässt, eine Information der Fachkreise vor der Öffentlichkeit vorsieht. Nur bei hoher Gefahr und ganz relevanten Problemen wird die Öffentlichkeit über die Presse direkt informiert.

Zusatzinformationen

Spontanerfassung – die wichtigste Datenquelle
Spontanmeldungen beruhen auf der Sammlung von Meldungen über mögliche Arzneimittelrisiken durch Angehörige der Heilberufe oder auch andere im Gesundheitswesen tätige Personen. Ob zum Beispiel falsche Packungsbeilage, fehlende Chargenbezeichnung, Qualitätsprobleme von Behältnissen, Nebenwirkungen oder Interaktionen – Apotheker sind nach den Berufsordnungen der Apothekerkammern verpflichtet, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, also Risiken oder auch nur den Verdacht eines Risikos an die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) zu melden. Die AMK erfasst alle Meldungen aus Apotheken, untersucht die Arzneimittel, wozu teilweise auch das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) eingeschaltet wird, und gibt die Informationen an die zuständigen Überwachungsbehörden, Hersteller und Apotheken weiter. Dieses System verbessert langfristig die Arzneimitteltherapiesicherheit.

Zur Meldung existieren zwei Berichtsbögen: der „Bericht über Verdachtsfälle von Qualitätsmängeln von Arzneimitteln“, wozu etwa Verpackungsmängel, galenische Mängel, mechanische Defekte und Deklarationsfehler gehören, sowie ein Bericht über unerwünschte Arzneimittelwirkungen („UAW-Berichtsbogen“). Die Formulare zur Meldung von Arzneimittelrisiken nach Stufenplan können auf der Homepage der AMK unter www.abda-amk.de heruntergeladen werden. Auch kann dort direkt online gemeldet werden. Es ist wichtig, lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Arzneimittelrisikoverdachtsfälle zu dokumentieren. Gemäß Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ist bei Mängeln in der pharmazeutischen Qualität zusätzlich auch die zuständige Überwachungsbehörde unverzüglich zu informieren.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/11 ab Seite 88.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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