Politik

ARZNEIMITTELFÄLSCHUNGEN

Lange Zeit ein Problem der Dritten Welt, tauchen gefälschte Präparate auch in Industriestaaten auf. Ein Authentifizierungssystem bis hin zur Apotheke soll das zukünftig verhindern.

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Fälschungen gibt es vermutlich, seit es Handel gibt. Nachgemacht wird praktisch jede Ware, die Profit verspricht, Arzneimittel eingeschlossen. Waren in der Vergangenheit wegen unzureichender Kontrollen vor allem Entwicklungsländer betroffen, tauchen zunehmend Arzneimittelfälschungen auch in Industriestaaten auf.

In Europa sind insbesondere „peinliche“ Lifestylepräparate sowie Anabolika betroffen. Vor allem bei Bezug über illegale Vertriebskanäle im Internet ist die Gefahr groß, kein Original zu erhalten. Seltener finden Fälscher Wege, die Ware in die legale Vertriebskette einzuschleusen. So tauchte 1996 in Deutschland eine Totalfälschung von Zerit®, einem Präparat zur AIDS-Behandlung auf. Im Jahr 2002 wurde gefälschtes Sandimmun® entdeckt. Das Mittel soll die Abstoßung transplantierter Organe verhindern.

Was tut die Politik? Nur die wenigsten Fälschungsfälle werden tatsächlich bekannt. Und die Gefahr wächst. Deshalb wurden im Zuge der 12. und 14. Novellierung des Arzneimittelgesetzes Gegenmaßnahmen getroffen. Insbesondere wurden Strafandrohungen verschärft, eine Erlaubnispflicht für pharmazeutische Großhandelsbertriebe eingeführt und die Überwachung der Vertriebskette intensiviert.

Nationale Anstrengungen alleine genügen angesichts der globalen Verflechtung im Arzneimittelverkehr jedoch nicht. Vor allem muss man es Fälschern schwerer machen, Präparate nachzumachen und in die Vertriebskette einzuschleusen. Selbst eine Fünf-Euro-Banknote ist besser gegen Fälschungen geschützt als die meisten Arzneimittel. Das soll sich ändern. Darauf zielt eine Richtlinie der Europäischen Union ab, auf die sich nach langen Diskussionen das Europäische Parlament und der Ministerrat in der ersten Jahreshälfte 2011 geeinigt haben.

Die EU-Richtlinie sieht zum Schutz vor gefälschten Arzneimitteln unter anderem eine Verpflichtung der Arzneimittelhersteller vor, bestimmte Arzneimittel mit Sicherheitsmerkmalen zu versehen, um dadurch die Identifizierung und Authentizität von Arzneimitteleinzelpackungen sicherzustellen. Eine entsprechende AMG-Novelle, deren Entwurf zurzeit im Bundesministerium für Gesundheit in Arbeit ist, wird die europäische Fälschungsrichtlinie in deutsches Recht umsetzen. Es ist davon auszugehen, dass spätestens im Jahre 2015 vor allem verschreibungspflichtige Arzneimittel mit der fälschungssicheren Codierung gekennzeichnet werden (müssen).

FÄLSCHUNG IST NICHT GLEICH FÄLSCHUNG
Manchmal werden „lediglich“ Packmaterial und Beipackzettel gefälscht wie bei Sandimmun®, um illegal erworbene Bulkware verkaufen zu können. Wird auch das Arzneimittel selbst gefälscht, ist meist der Wirkstoff nicht in ausreichender Quantität noch Qualität enthalten (Totalfälschung). Die Folgen sind mangelnde Wirkung. Mitunter sieht ein Produkt auch wie ein Arzneimittel aus, enthält aber keinen oder einen anderen Wirkstoff.

Praktische Umsetzung Relativ einfach lassen sich Sicherheitssiegel realisieren, um zu verhindern, dass Packungen und Inhalt manipuliert werden. Hoch komplex hingegen ist hingegen die Einführung der in der Richtlinie geforderten Arzneimittelverifizierung. Denn diese schließt Arzneimittelhersteller, pharmazeutischen Großhandel und Apotheken ein und darf nicht an nationalen Grenzen enden, um wirksam zu sein. Auch deshalb ist zum jetzigen Zeitpunkt die technische Umsetzung noch offen.

Gesichert werden könnten Arzneimittel mit einem speziellen Transponder, der aus einem winzigen Chip und einer Miniantenne besteht. Diese auch als Radio Frequency Identification, kurz RFID, genannte Technik könnte den Weg vom Hersteller bis zur Apotheke transparent machen. Die nicht ganz billige Technik böte speziell für Apotheken den Vorteil, dass komplette Warensendungen von einem Scanner erfasst und damit die Arbeit in den Apotheken erleichtert werden könnte.

Den Praxistest für erste Präparate hat die Technik bereits bestanden. Wären da nicht die erheblichen Kosten … Das Rennen könnte deshalb der relativ preiswerte Datamatrixcode machen, der alle relevanten Produktangaben maschinenlesbar macht: PZN, Charge, Verfalldatum sowie eine neue, individualisierte und nach dem Zufallsprinzip vom Hersteller vergebenen Seriennummer. Durch die Erfassung der Seriennummer in einer zentralen Datenbank soll der Verbleib jeder Arzneimittelpackung in der Vertriebskette nachvollziehbar bleiben. Mit einem entsprechenden Scanner ausgerüstet wären dann Apotheken in der Lage, vor der Abgabe die Originalität des Arzneimittels zu verifizieren und Fälschungen zu erkennen.

WorldWideWeb Auch der Erwerb von Arzneimitteln im Internet soll sicherer werden. Zugelassene Apotheken sollen durch ein neues Logo für Verbraucher erkennbar werden. Eine absolute Sicherheit wird es nicht geben. Aber die Maßnahmen sind sicherlich ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/11 ab Seite 90.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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