Eine Frau liegt auf einem Sofa. Sie liegt auf dem Bauch und wendet ihr Gesicht der Rückenlehne zu. Ihre Arme hängen schlaff herunter.© Hartmut Kosig/ iStock / Getty Images Plus
Chronische Erschöpfung ist eines der häufigsten Symptome von Long-COVID. Wissenschaftler sind frustriert über den Stand der Forschung.

Arzneimittelentwicklung

WARUM ES NOCH KEINE MEDIKAMENTE GEGEN LONG-COVID GIBT

Wir haben Impfstoffe gegen SARS-CoV-2. Und Arzneimittel gegen die akute COVID-19-Infektion. Was uns fehlt, sind Präparate gegen Long-COVID. Dabei waren allein in Europa in den letzten zwei Jahren 17 Millionen Menschen betroffen, ein Bedarf besteht also. Warum gibt es dann keine Medikamente?

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Es hat länger gedauert als gewünscht: Bereits im Sommer 2022 wollten Forscher um Charité-Professorin Carmen Scheibenbogen ihre erste Long-COVID-Studie beginnen. Das Ziel: schnellstmöglich wirksame Medikamente und Therapien gegen die Langzeitfolgen und deren schwerste Form Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) finden. Aber hohe regulatorische Anforderungen an klinische Studien hätten das Vorhaben gebremst. Es geht um Dokumente, Verträge, Datenschutz. Nichts, was im engeren Sinne mit Forschung zu tun hätte.

Während die Entwicklung von Corona-Impfstoffen außergewöhnlich schnell ging und auch COVID-19-Medikamente schon vor einiger Zeit gefunden wurden, steht der Durchbruch bei Long-COVID-Arzneien noch aus. Forschende klagen über massiven Aufwand. Von der Idee für eine klinische Studie bis zum Beginn vergehe mehr als ein Jahr, heißt es aus Berlins Uniklinik. Dabei bekommen Forscher die Verzweiflung der Betroffenen mit, die teils seit drei Jahren nicht wieder gesund geworden sind.

Was ist nochmal Long-COVID?

Unter Long-COVID versteht man Beschwerden, die jenseits der akuten Krankheitsphase von vier Wochen fortbestehen oder dann neu auftreten. Post-COVID beschreibt das Krankheitsbild mehr als zwölf Wochen nach der Corona-Infektion. Die Symptome sind sehr uneinheitlich, beispielsweise Atemnot und Husten, Müdigkeit, Schlafstörungen, Erschöpfung, aber auch Sorgen und Traurigkeit. Therapien orientieren sich aktuell an den Symptomen.

Für ME/CFS ist charakteristisch, dass sich der Zustand nach geringer Anstrengung deutlich verschlechtert. Laut Charité gehören zu den Leitsymptomen schwere Erschöpfung, Konzentrations- und Schlafstörungen, körperliche Symptome wie etwa Hals-, Muskel- und Kopfschmerzen und ein Verlauf über mindestens sechs Monate.

ME/CFS ist an sich nicht neu: Laut Schätzungen waren vor der Pandemie hierzulande schon 250 000 Menschen davon betroffen, etwa nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder der Grippe. Auch diese Menschen hoffen auf Hilfen im Zuge der Forschung zu Long-COVID.

Den aktuellen Kenntnisstand zu Auslösern, Symptomen und Therapie bei Long- und Post-COVID finden Sie in der PTA-Fortbildung „Long-COVID – Langes Nachspiel“ aus dem Februar 2023. Der Teilnahmezeitraum ist bereits beendet, die Informationen stehen Ihnen aber weiterhin zur Verfügung.

Gefrustete Forscher

Hinter vorgehaltener Hand zeigen sich Long-COVID-Forschende auch an anderen Orten gefrustet. Bei einer Studie, auf der Hoffnungen einiger Betroffener ruhen, ist die Förderung bewilligt und stehen Probanden bereit, aber es fehlt die Genehmigung.

Es ist aber nicht nur das. Long-COVID ist komplex. Die Beschwerden werden wohl durch unterschiedliche Vorgänge im Körper hervorgerufen. Überreaktionen des Immunsystems können eine Rolle spielen, ebenso Gefäßveränderungen, aber auch Viren, die sich nach COVID-19 noch im Körper verstecken oder von früheren Infektionen reaktiviert sind.

Kein Medikament für alle Betroffenen

Die Entwicklung eines Medikaments, das in absehbarer Zukunft allen Long-COVID-Betroffenen hilft und das Problem dauerhaft löst, halten Fachleute für ziemlich illusorisch. Scheibenbogen, die die Immundefekt-Ambulanz der Charité leitet, verweist auf Beispiele wie Multiple Sklerose und sagt: „Wir haben auch bei anderen komplexen Erkrankungen keine Medikamente, die allen helfen. Es sind fast immer nur 30 bis 50 Prozent, die wirklich gut ansprechen.“

„Wir haben auch bei anderen komplexen Erkrankungen keine Medikamente, die allen helfen. Es sind fast immer nur 30 bis 50 Prozent, die wirklich gut ansprechen.“

Forschung zu Chronischer Fatigue lief schon vor Corona

Scheibenbogen leitet auch die Nationale Klinische Studiengruppe (NKSG) zu Post-COVID und ME/CFS, die vom Bundesforschungsministerium 2022 und 2023 mit knapp zehn Millionen Euro gefördert wird. Mehrere klinische Studien sind geplant. Die Konzepte fußen teils auf Scheibenbogens jahrelanger ME/CFS-Forschung. Sie geht davon aus, dass bei der Erkrankung Autoantikörper eine Rolle spielen.

„Wir haben schon 2015 die erste Studie zur Immunadsorption gemacht: ein Verfahren, bei dem Autoantikörper aus dem Blut ausgewaschen werden“, sagt Scheibenbogen. Mit der Förderung aus der Pandemie hat die Forscherin nun die Möglichkeit einer Folgestudie bei Patienten, die nach COVID-19 an ME/CFS erkrankt sind. Diese ist inzwischen gestartet. Eine größere soll in den nächsten Monaten folgen. Aber sie schränkt sogleich ein: „Das ist kein Verfahren für alle Betroffenen. Es ist enorm aufwendig und für Patienten belastend.“ Der Vorteil sei, dass man schnell verstehe, bei wem dieser Ansatz wirksam sei. Der Plan: im nächsten Schritt Medikamente gegen Autoantikörper prüfen.

Hersteller wollen erst zu neuen Wirkstoffen forschen, wenn Krankheitsmechanismen geklärt

Eine Übersichtsarbeit im Fachblatt Clinical Microbiology and Infection vom Januar ermittelte rund 60 Medikamente, die derzeit in Long-COVID-Studien erprobt werden – etwa Entzündungshemmer und Immunsuppressiva, die schon für andere Krankheiten zugelassen sind.

Bei der NKSG stehen auch Studien zu Arzneien, die bei der Durchblutung und Entzündung ansetzen, kurz vor Beginn oder sollen spätestens im Sommer anlaufen. „Wir werden dieses Jahr Ergebnisse haben zur Immunadsorption und zur Durchblutung“, sagt Scheibenbogen. Alles Weitere hänge von Folgefinanzierung durch den Bund oder die pharmazeutische Industrie ab. Bisher stoße sie dort leider auf viel Ablehnung. Firmen machten erst mit, wenn die Autoantikörper-Hypothese belegt sei und man genau wisse, welche Patientengruppe geeignet sei.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) geht von einer zunehmenden Zahl an Forschungsprojekten aus, „wenn die laufende medizinische Grundlagenforschung mehr über die Krankheitsvorgänge herausgefunden hat“. Um neue Medikamente eigens gegen Long-COVID zu entwickeln, brauche es zumindest für einen Teil der Mechanismen molekülgenaue Aufklärung aus der Grundlagenforschung.

Fehlende Daten

Ein Problem bleibt, dass bisher nicht genau zu beziffern ist, wie viele Menschen in Deutschland von Long-COVID betroffen sind. Auch die Verläufe: unklar. „Wir können nur Daten aus dem Ausland anschauen“, sagt Scheibenbogen.

„Ich gehe immer noch davon aus, dass diese Erkrankungen relativ gut behandelbar sind.“

Demnach hätten nach einer Corona-Infektion etwa zehn Prozent der Menschen langfristige Beschwerden, nach einer Infektion von Geimpften seien es etwa noch fünf Prozent. Mit bisherigen Mitteln könne man oft Symptome lindern. „Aber ein bis zwei Prozent werden wahrscheinlich dauerhaft krank bleiben. Und das sind überwiegend junge Menschen.“

Trotzdem sieht die Professorin Grund zu Optimismus: „Ich gehe immer noch davon aus, dass diese Erkrankungen relativ gut behandelbar sind.“ Wenn man den richtigen Ansatz findet.

Quelle: dpa

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