Vier unbeschriftete Kunststoffflaschen enthalten verschiedenfarbige Lösungen.
Glasreiniger? Limonade? Salzsäure? Tee? Unsachgemäß gelagerte Chemikalien und verführerisch duftende Reinigungsmittel führen oft zu Vergiftungen im Haushalt. © alenkadr / iStock / Getty Images Plus

Vergiftungen

ANTIDOTE: RETTER AUS DER APOTHEKE

Vergiftungen können durch die unterschiedlichsten Stoffe ausgelöst werden: Pflanzen, Reinigungsmittel und Medikamente gehören dazu. Um diese lebensbedrohlichen Situationen in den Griff zu bekommen, ist schnelles Handeln erforderlich - und das passende Antidot.

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Intoxikationen entstehen meist im Haushalt. Oft geht eine Vergiftung auf eine Verwechslung zurück, etwa weil Chemikalien in Lebensmittelbehältnissen aufbewahrt werden oder die falschen Pilze im Körbchen gelandet sind. Aber auch der Missbrauch psychoaktiver Substanzen und unsachgemäße Medikamenteneinnahme können Vergiftungserscheinungen hervorrufen. In jedem Fall sollten sich Betroffene oder Angehörige an die Giftinformationszentrale wenden. Dort erhalten sie fundierte Anweisungen, wie man am besten vorgehen sollte. Denn die "Hausmittel" Erbrechen auslösen und Milch trinken können die Situation verschlimmern. Die meisten Gegenmittel findet man in der Apotheke - Sie sind also wichtiger Ansprechpartner in Sachen Vergiftungen.

Im Haushalt
Häufig kommt es zu Tensidvergiftungen, vor allem kleine Kinder oder Demenzielle können versehentlich Shampoo oder Reinigungsmittel trinken. Besonders attraktiv wirken die Reinigungsmittel, wenn sie in bunten Behältnissen aufbewahrt werden oder fruchtig süß nach Obst riechen. Erbrechen sollte unbedingt vermieden werden, da die Substanzen im Magen schäumen und dieser Schaum wiederum eingeatmet werden könnte. Es besteht Erstickungsgefahr. Gegengift der Wahl sind hier Simeticon und Dimeticon. Die Silikate setzen die Oberflächenspannung der Schaumblasen herab und bringen sie zum Platzen. Dafür muss verhältnismäßig hoch dosiert werden – es wird empfohlen mindestens 350 Milligramm (Simeticon) möglichst als Suspension einzunehmen.
Auch Säuren und Laugen werden immer wieder versehentlich geschluckt, wenn sie beispielsweise in leeren Getränkeflaschen gelagert werden. Auch bei einer solchen Intoxikation darf kein Erbrechen herbeigeführt werden, da die Substanzen die Speiseröhre sonst ein weiteres Mal passieren und dabei verätzen. Gelegentlich liest man, dass man bei einer Laugenvergiftung eine schwache Säure wie Zitronensaft oder Essig nachtrinken soll, bei einer Säurevergiftung Milch. Allerdings entsteht bei der Neutralisationsreaktion eventuell Hitze, die den Magen-Darm-Trakt schädigen kann. Milch kann außerdem die Aufnahme von Stoffen durch die Darmwand beschleunigen - je nachdem, welches Mittel genau eingenommen wurde, ist dies nicht wünschenswert. Stattdessen soll der Betroffene stilles Wasser trinken und die Säure oder Lauge so verdünnen. Außerdem ist natürlich der Notruf zu wählen.

Durch Nahrungsmittel
Unerfahrene Pilzsammler bringen manchmal giftige Exemplare mit nach Hause. Der Grüne Knollenblätterpilz ist dabei eine besonders toxische Art. Die in dem Wulstling enthaltenen Amatoxine werden auch beim Kochen nicht zerstört und ein einziger verspeister Pilz kann tödlich sein. Nach massiven Durchfällen kommt es zu Leberversagen und schweren Blutgerinnungsstörungen, die innerhalb von sechs bis zehn Tagen zum Tod führen. Als Antidot gilt Silybinin, die Leitsubstanz des Mariendistel-Extraktes Silymarin. Es verringert die Aufnahme der Pilztoxine in die Leber. In vielen Fällen kann nur noch eine Transplantation das Leben retten. Da die hepatotoxischen Schäden erst spät zu Symptomen führen, ist die Todesrate nach einer Knollenblätterpilzvergiftung im Vergleich zu anderen Pilzvergiftungen hoch.
Auch beim übermäßigen Verzehr von Bittermandeln kommt es zu Vergiftungserscheinungen. Schon mit fünf bis zehn Stück erreichen Kinder die letale Dosis. Der Inhaltsstoff Amygdalin setzt Blausäure und damit Cyanid frei, das an das Eisenatom der Cytochrom-c-Oxydase bindet. Das blockierte Enzym steht so für die Zellatmung nicht mehr zur Verfügung. Da Cyanid eine hohe Affinität zu dreiwertigem Eisen hat, dient 4-Dimethylaminophenol (DMAP) als Gegengift. Es oxidiert Hämoglobin mit zweiwertigem Eisen zu Methämoglobin mit dreiwertigem Eisen, an das das Cyanid nun bevorzugt bindet und die Zellatmung nicht weiter blockiert. Das zweite Antidot Natriumthiosulfat ermöglicht dann die Bildung von ungefährlichem Thiocyanat aus dem giftigen Cyanid.

Durch Rauschmittel
Nikotin aus Tabak wirkt auf das parasympathische Nervensystem. Eine Überdosierung, im Haushalt schnell passiert, wenn Kinder mit Nicotin-Kaugummis oder -pflastern spielen oder Zigaretten essen, blockiert die Ganglien. Schon eine Zigarette enthält die für Kinder letale Nikotindosis. Dies führt zu Magen-Darm-Symptomen, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Atemstillstand. Das Anticholinergikum Biperiden schafft Abhilfe.
Methanolvergiftungen entstehen entweder durch Verwechselung mit Ethanol oder wenn Schnaps illegal gebrannt wird und bei unvollständiger Destillation Methanolrückstände im Produkt verbleiben. Methanol wird durch das Enzym Alkoholdehydrogenase zu Formaldehyd abgebaut, aus dem schließlich Ameisensäure entsteht - die Folge: eine Azidose. Bei größeren aufgenommenen Mengen Methanol reicht die Enzymkapazität irgendwann nicht mehr für einen vollständigen Abbau – anfallendes Formaldehyd schädigt im Folgenden Gehirn und Nervensystem. Das Antidot ist ein verwandtes Lösungsmittel: Ethanol hat eine höhere Affinität zur Alkoholdehydrogenase, blockiert diese also für Methanol und dient somit als Gegengift.
Kokain-Überdosierungen äußern sich in erweiterten Pupillen, Krämpfen, Koordinationsschwierigkeiten und Herzrhythmusstörungen. Diese Übererregung bekämpfen Notfallmediziner mit Lorazepam. Ist es bereits zu kardialen Schäden gekommen, wird der Betroffene zusätzlich mit Sauerstoff und Bikarbonat-Infusion stabil gehalten.
Ob missbräuchlich eingenommen oder bei falschdosierter arzneilicher Anwendung: Auch Morphin ruft bei Überdosierung Vergiftungserscheinungen hervor. Die Folge ist schlimmstenfalls eine Atemdepression mit Todesfolge. Das Gegenmittel kennen Sie: Naloxon als kompetitiver Antagonist blockiert die Opioidrezeptoren, sodass das Morphin nicht mehr wirken kann.

Durch Arzneimittel
Zu hohe Dosen von Arzneimitteln, ob versehentlich eingenommen oder mit suizidaler Absicht, führen häufig zu Vergiftungen. 2011 wurden in Deutschland circa 205 000 Krankenhausbehandlungen aufgrund akuter Vergiftungen durchgeführt. 1 410 Todesfälle wurden als vorsätzliche Selbstvergiftung mit Arzneimitteln eingestuft.
Zu einem zentralen anticholinergen Syndrom kommt es durch überdosierte Antihistaminika, ob Antiallergika oder Schlafmittel. Das indirekte Parasympathomimetikum Physostigmin dient dann als Gegenmittel.
Die Sedierung durch Lorazepam kann bei übermäßiger Einnahme zu schwacher Atmung und schließlich zum Atemstillstand führen. Das Antidot zu diesem Benzodiazepin ist Flumazenil, das die Benzodiazepin-Bindungsstelle am GABA-Rezeptor blockiert.
Paracetamol wird durch Leberenzyme verstoffwechselt. Dabei entsteht der Metabolit N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI), welcher die Leberzellen bei Überdosierung irreversibel zerstört, was langfristig zum Tod durch Leberversagen führt. Bis zu einer Stunde nach einer Paracetamol-Überdosis kann der Wirkstoff durch Aktivkohle gebunden werden, bis zu zehn Stunden danach wirkt N-Acetylcystein (NAC bzw. ACC) als Antidot. Es fängt den Metaboliten NAPQI ab und verhindert so die Hepatozyten-Schädigung. Obwohl der Tod durch eine Paracetamol-Intoxikation langwierig und quälend ist, zählt es zu den am häufigsten gewählten Suizid-Medikamenten. Daher wird eine (partielle) Verschreibungspflicht immer wieder diskutiert.
Digitoxin und Digoxin, die beiden Herzglykoside aus dem Fingerhut, haben eine geringe therapeutische Breite. Entsprechend schnell kann eine Dosierung über die therapeutische Dosis hinaus auftreten. Typisch für eine Intoxikation ist das Gelb-Grün-Sehen. Weitere Vergiftungserscheinungen sind Herzrhythmusstörungen und Verwirrtheitszustände. Auch hier wird die Aufnahme, sofern unmittelbar möglich, durch medizinische Kohle verhindert. Als Gegenmittel dient das Fab-Antikörperfragment, ein vom Schaf gewonnener Teil eines Antikörpers. Es bindet an das Digitalis-Glykosid und inaktiviert es dabei. Häufig kommt es dabei allerdings zu allergischen Reaktionen.

Zusammenfassung
Tenside → Simethicon
Säuren / Laugen → stilles Wasser
Knollenblätterpilz → Silybinin
Bittermandeln → DMAP und Natriumthiosulfat
Nikotin → Biperiden
Methanol → Ethanol
Kokain → Lorazepam
Morphin → Naloxon
Antihistaminika → Physostigmin
Lorazepam → Flumazenil
Paracetamol → NAC
Digitoxin / Digoxin → Fab-Antikörperfragment

Notfallsortiment in Apotheken
Für Notfälle schreibt die Apothekenbetriebsordnung vor, dass gewisse Arzneimittel stets vorrätig gehalten werden müssen. Neben Schmerzmitteln, Betäubungsmitteln, Glucocorticosteroiden, Antihistaminika und Epinephrin zur Injektion sind hier auch Gegengifte vertreten: inhalatives Cortison bei Rauchgasvergiftungen, die oben beschriebenen Antischaum-Mittel sowie medizinische Kohle. Kohle als Antidot sollte immer als loses Pulver in der Dose zur Verfügung stehen. Da man sie zur Giftstoffbindung mit einem Gramm pro Kilogramm Körpergewicht dosiert, müsste der Durchschnittserwachsene sonst 280 Tabletten auflösen und einnehmen. Auch das Tetanus-Hyperimmunglobulin muss in allen Apotheken vorrätig sein. Zwar handelt es sich bei Wundstarrkrampf um eine Infektion und keine Vergiftung, allerdings gibt es keine Therapie. Die rasch erforderliche Gabe des Gegenmittels erinnert an die Antidote bei Intoxikationen.
Bei weiteren Gegengiften reicht es aus, wenn sie unmittelbar beschafft werden können, wenn sie also in den Notfalldepots nahegelegener Krankenhäuser gelagert werden. Dazu gehören das Digitalis-Antitoxin, ein polyvalentes Schlangengift-Immunserum und das Botulismus-Antitoxin. Die Telefonnummern und Adressen der nächsten Notfalldepots müssen gut sichtbar in jeder Apotheke aushängen.

Gesa Van Hecke,
PTA und Redaktionsvolontärin

Quellen:
https://www.gesetze-im-internet.de/apobetro_1987/__15.html
https://www.apotheke-adhoc.de/nc/mediathek/detail/toxine-antidote-toxikologie/
https://www.laves.niedersachsen.de/lebensmittel/aktuell/vorsicht-beim-verzehr-von-bitteren-%20mandeln-und-bitteren-aprikosenkernen--gefahr-durch-blausaeure-73476.html
https://deximed.de/home/b/erste-hilfe-notfallmedizin/patienteninformationen/vergiftungen/arzneimittelvergiftung-akute/

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