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Politik

ANDERE LÄNDER – ANDERE SITTEN

Die Gesundheitskosten für eine immer älter werdende Bevölkerung steigen schneller als die Einnahmen. Die Arzneimittelausgaben sind nicht Ursache, aber Teil des Problems. Geht Deutschland hier einen Sonderweg?

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Die Gesamtausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung beliefen sich im Jahre 2010 auf rund 160 Milliarden Euro. Die größten Kostenblöcke bildeten einmal mehr Krankenhausbehandlungen, ärztliche Versorgung und Arzneimittel. Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeichnet sich inzwischen ab. Im Jahr 2011 stiegen die Ausgaben der GKV weniger stark als in der Vergangenheit, die Ausgaben für Medikamente sanken sogar.

Das Arzneimittelmarktspargesetz AMNOG zeigte zum Leidwesen der Apotheken Wirkung. Das AMNOG und das zu Beginn des Jahres in Kraft getretene GKV-Versorgungsstrukturgesetz stehen am vorläufigen Ende zahlreicher Reformen im Gesundheitsbereich der letzten Jahre, die die Ausgaben im Gesundheitswesen in Deutschland und speziell im Arzneimittelbereich stabilisieren sollten. Die Reformen brachten eine Vielzahl unterschiedlichster „Stellschrauben“ hervor, von A wie aut idem bis Z wie Zuzahlung. Zusätzlich gibt es effiziente Steuerungsinstrumente, die direkt beim Arzt ansetzen, zum Beispiel Richtgrößen oder Therapiehinweise.

Was machen die Nachbarn? Alle Industriestaaten kämpfen inzwischen mit steigenden Ausgaben für das Gesundheitswesen. Jedes Land sucht nach eigenen Antworten. In Großbritannien etwa wird nicht der Preis einzelner Arzneimittel verhandelt, sondern es wird die Gesamtprofitabilität der Hersteller reguliert; dazu werden Kapitalrenditen festgelegt.

Was Therapiestandard ist, bestimmt das NICE, das National Institute for Health and Clinical Excellence. Es ist das Pendent zum deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und wurde gut fünf Jahre vor diesem gegründet. Für Generika und Parallelimporte gibt es in Großbritannien Höchstpreise. Zusätzlich versucht man, die Arzneimittelmenge mittels Budgets zu steuern. In Frankreich sind nur solche Arzneimittel erstattungsfähig, die es auf eine Positivliste schaffen. Alle Versuche hier zu Lande solch eine Liste zu etablieren, sind bisher politisch gescheitert.

Im Gegensatz zu Deutschland erfolgt die Festlegung des Erstattungspreises, noch bevor das Arzneimittel auf dem Markt ist. Dabei werden Arzneimittel durch eine Kommission vier verschiedenen Nutzenkategorien zugeordnet, von wichtig über moderat, gering bis hin zu ungenügend. Letztere schaffen es nicht auf die Liste. Für die anderen wird der Erstattungspreis durch einen Ausschuss festgelegt, das Comité Economique des Produits de Santé (CEPS). Die Patienten müssen eine gestaffelte Zuzahlung leisten. Lediglich nicht austauschbare Arzneimittel sind zuzahlungsbefreit, ansonsten beträgt die Selbstbeteiligung rund ein Drittel, für nicht ernsthafte Erkrankungen rund zwei Drittel. Zusätzlich ist in Apotheken eine Abgabegebühr zu entrichten.

In den Niederlanden darf der Preis eines Generikums nicht über der durchschnittlichen Vergütung in vier Referenzländern liegen. Diesen Weg beschreitet Deutschland inzwischen für Impfstoffe. Bei der Abgabe müssen die Apotheken wie hierzulande Listen der Versicherer beachten. Für neue Medikamente gibt es eine Positivliste, jedoch freie Preisgestaltung. Bei nicht innovativen Arzneimitteln muss sich der Preis an Präparaten mit vergleichbarer Wirkung orientieren, ähnlich wie in Deutschland, wo solche Arzneimittel einer Festbetragsgruppe zugeordnet werden.

Die Schweiz kämpft mit einem Selbstbehalt für Arzneimittel, der bis zu zwanzig Prozent betragen kann, einer Spezialitätenliste und Höchsterstattungspreisen gegen steigende Arzneimittelausgaben. Kriterien für die Erstattung sind wie hier zu Lande Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit. Für Innovationen wird ein Zuschlag gewährt, sofern der Hersteller den Fortschritt belegen kann. Zur Preisfestsetzung werden Vergleiche mit bereits gelisteten Arzneimitteln und Preisen im Auslandsland herangezogen. Trotz dieser Maßnahmen sind Arzneimittel in der Schweiz in der Regel teurer als in Deutschland und Frankreich.

Kaum ein europäisches Land kommt inzwischen ohne Preisvergleiche und der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit aus. Auch Österreich und Schweden bewerten die Kosteneffektivität der Arzneimittel und schränken insoweit die freie Preisfestsetzung durch den Hersteller ein.

AUSBLICK
Demografische Entwicklung und Fortschritte bei der Behandlung lassen auch in Zukunft in Industriestaaten bestenfalls eine Dämpfung der Kostendynamik im Arzneimittelbereich erwarten.

Ein Blick auf die internationale Bühne Einen gänzlich anderen Weg gehen hingegen die USA. Sie lehnen Preis- und Mengenregulierungsmaßnahmen grundsätzlich ab, da nachteilige Effekte auf die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel befürchtet werden. Auch Generikapreise werden nicht reguliert. Während der intensive Wettbewerb im Generikasegment funktioniert, sind die Preisen für Originalpräparate in den USA im internationalen Vergleich sehr hoch.

Das ist insbesondere deshalb ein Problem, weil im amerikanischen Gesundheitssystem Patienten erhebliche Zuzahlungen (wenn denn überhaupt ein Krankenversicherungsschutz existiert) leisten oder gar die Arzneimittel gänzlich zahlen müssen. Nicht gut betuchte Patienten versuchen Originalpräparate in Kanada zu besorgen, wo die Preise deutlich niedriger liegen. Denn Kanada hat bereits vor fünfzehn Jahren eine Kostennutzwertanalyse für neu zugelassene Arzneimittel eingeführt. Nur Australien war noch ein Jahr schneller.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/12 ab Seite 50.

Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium

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