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Kooperationsgipfel

AMAZON ANTE PORTAS

Dass sich der Apothekenmarkt im Wandel befindet und sich die Akteure mit der Digitalisierung sowie neuen Marktteilnehmern auseinandersetzen müssen, ist kein Geheimnis. In welche Richtung geht die Entwicklung?

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Die Strukturen des Apothekenmarktes werden sich verändern, das ist schon heute absehbar. Auf dem jährlichen Kooperationsgipfel zu Jahresbeginn in München war dies das bestimmende Thema. So wies der Chef des Bundesverbandes Deutscher Apothekenkooperationen e.V. (BVDAK), Dr. Stefan Hartmann darauf hin, dass das Apothekensterben an Fahrt aufnimmt. Während sich die Anzahl der Apotheken von 2016 auf 2017 um 1,2 Prozent verringerte, stieg dieser Prozentsatz von 2017 auf 2018 schon um 1,4 Prozent. Dass dieser negative Trend auch eine Verringerung der Arbeitsplätze für PTA bedeutet, ist nur logisch.

Auch im Hinblick auf das umstrittene Honorargutachten äußerte sich Apotheker Dr. Hartmann kritisch: Würden alle Empfehlungen dieses vom Ministerium in Auftrag gegebenen Gutachtens umgesetzt, bedeutet dies nach seinen Berechnungen für eine Durchschnittsapotheke eine Gewinneinbuße von 45 000 Euro pro Jahr. Es braucht wenig Phantasie um sich vorzustellen, an welcher Stelle solche Summen eingespart werden... Auch ein weiteres zukunftsträchtiges Thema trieb den Moderator um: So prophezeite er, dass im Rahmen der Digitalisierung das Fernbehandlungsverbot fallen und sowohl die Telemedizin als auch die Telepharmazie kommen werden.

Doch das Kernthema für die Zukunft ist ein anderes. Dr. Hartmann brachte es in einer Frage auf den Punkt: „Wie müssen stationäre Apotheken aufgestellt sein, wenn Amazon vollumfänglich in den Arzneimittelmarkt einsteigt?“ Der Apotheker entwickelte dazu ein visionär anmutendes Szenario, das erstens einen branchenübergreifenden Ansatz ins Spiel brachte, und zweitens konsequent aus Kundensicht gedacht war.

Kundenfreundliche Überlebens-Vision Offensichtlich beeindruckt von den unkomplizierten deutschlandweit funktionierenden Bestellvorgängen des Essen-Bringdienstes „Lieferando“ stellte sich Dr. Hartmann vor, dass ein Zusammenschluss aller Vor-Ort-Apotheken als ein Dienstleister im Arzneimittelmarkt im drohenden Konkurrenzkampf mit Amazon die Lösung sei. Unter der Voraussetzung, dass alle stationären Apotheken auch digitalisierte Leistungen anbieten können, wäre es beispielsweise denkbar, dass diese Services über eine (!) gemeinsame App von den Kunden und Patienten in Anspruch genommen werden können.

Die digitalisierte Kundenkarte einer bestimmten Apotheke kann dann dem Konsumenten nicht nur lokal etwa in Bayern Vorteile bieten, sondern auch in Hamburg eingesetzt werden. Im Rahmen einer allgemeinen Digitalisierung wäre dann auch eine Auslieferung aus allen Kommissionierautomaten rund um die Uhr vorstellbar. Als Klammer für apothekenübergreifende – digital verankerte – Lösungen betrachtete Dr. Hartmann die Anbieter der Warenwirtschaftssysteme, die er auch als „Schlüsselindustrie“ für den stationären Markt bezeichnete. Eine schöne Vision: Die Partikularinteressen einzelner Apotheker und Kooperationen werden zurückgestellt und der Kunde erlebt alle Apotheken als eine homogene Einheit, die ihm ein ganz auf seine Bedürfnisse zugespitztes Dienstleistungsangebot offeriert.

»Wie müssen stationäre Apotheken aufgestellt sein, wenn Amazon vollumfänglich in den Arzneimittelmarkt einsteigt?« Dr. Stefan Hartmann, Chef des Bundesverbandes Deutscher Apotheken-Kooperationen e.V.

Amazon wird den Apothekenmarkt aufmischen Ein spannender Redner der Veranstaltung war auch Marc Aufzug, geschäftsführender Gesellschafter der „The Global Marktplace Group GmbH“. Sein Tätigkeitsfeld besteht darin, als Dienstleister für Amazon das operative Marktplatzmanagement zu organisieren. In diesem Kontext kennt er den Konzern sehr gut und vermittelte den Zuhörern die Denkweise von Amazon, dem künftigen Wettbewerber, der den Apothekenmarkt vermutlich am nachhaltigsten verändern wird.

Aufzug wies in seinem Vortrag zunächst darauf hin, dass Kunden, sobald sie sich online über Produkte informieren wollen, mit über 57 Prozent zuerst bei Amazon recherchieren. Im Vergleich dazu suchen nur 38 Prozent bei Google. Insgesamt haben 84 Prozent aller Menschen, die online shoppen, einen Amazon Account. Und 32 Prozent sind Prime-Kunden. Damit ist Amazon in der Lage, eine gewaltige Summe an Kundendaten zu speichern und gezielt auszuwerten: Amazon weiß, dass derjenige, der heute einen Kinderwagen bestellt, in etwa zwei Monaten die ersten Baby-Windeln benötigt.

Das Geschäftsmodell Dann skizzierte der Referent diejenigen Stichworte, die eine zentrale Rolle innerhalb des Amazon-Geschäftsmodells spielen und charakterisieren, wie Jeff Bezos, der Chef des Unternehmens, denkt. Im Mittelpunkt steht selbstverständlich der Kunde und dessen Customer Experience (seine Erfahrungen als Kunde, die möglichst emotional positiv besetzt sein sollten). Jeff Bezos sagt: „Wir wollen das kundenfreundlichste Unternehmen der Welt sein!“ Zu dieser Philosophie gibt es eine Skizze, die der Amazon-Gründer wohl eher nebenbei in einem Restaurant auf einer Serviette verewigt hat. Dabei steht im Mittelpunkt der Begriff growth (Wachstum), um den herum andere Begrifflichkeiten mit Pfeilbewegungen angeordnet sind. Die Pfeile kann man als Ausdruck eines dynamischen Prozesses interpretieren. Folgende um das Wachstumszentrum kreisende Begriffe sind elementar:

  • Selection (Auswahl): Das Warenangebot ist so breit und vielfältig wie möglich angelegt und stimuliert per Empfehlungen immer neue Einkäufe. Gleichzeitig wird das Angebot permanent ausgebaut.
  • Lower cost structure (eine niedrige Kostenstruktur) und Lower Price (niedrigere Preise als bei der Konkurrenz), befeuern die bereits erwähnte Consumer Experience, indem sie einen maximalen Produktverkauf generieren und somit auch für Traffic (Produktverkehr) sorgen.
  • Sellers (Verkäufer, die von außerhalb des Systems dazukommen) sind zusätzliche Anbieter, profitieren von der Dynamik von Amazon und sind selbst Teil des dynamischen Schwungrades.


So ist für die Zukunft vorstellbar, dass Apotheker beispielsweise OTC-Produkte auf dem Marktplatz von Amazon anbieten (was eher nicht so laut verkündet wird, ist die Tatsache, dass Amazon auch die Geschäftsbedingungen vorgibt und somit auch die Gewinnmargen mitbestimmt). Der Clou bei dem Geschäftsmodell besteht nun darin, die Gewinne nicht einfach einzustreichen, sondern sie in weitere Kostensenkungsmaßnahmen zu investieren und parallel dazu die Verkaufspreise weiterhin niedrig zu halten oder weiter abzusenken. Damit wird der unternehmensphilosophische Nukleus, nämlich der Anspruch an ein unendliches Wachstum, immer weiter bedient.

Buchmarkt wurde auch neu erfunden Beinahe en passant wies Marc Aufzug darauf hin, dass Amazon mit seiner Dynamik auch das Buchgeschäft völlig umgekrempelt und gewissermaßen neu erfunden hat. Und mittlerweile ist wohl auch der Amazon-E-Reader „Kindle Paper White“ Marktführer. Die Sub-Botschaft dahinter soll wohl lauten: Wenn Amazon in den Apothekenmarkt eindringen will, wird das auch gelingen. Und wie sollten sich Apotheker verhalten, wenn der Markteintritt Amazons Wirklichkeit wird? Für diesen Fall empfahl der Referent den Apothekern, „einfach mitzumachen. Ohne Amazon gibt es keine Lösung.“

Schließlich wies Aufzug noch darauf hin, dass (auch für Apotheker als Anbieter von außen) für alle, die mit Amazon kooperieren, „unbegrenzt Regalfläche“ vorhanden ist, was einer „Demokratisierung der Ladenfläche“ gleichkomme. Was die Frage der Beratung angeht, so konnte sich Aufzug vorstellen, dass Amazon sich genau aus diesem Grund mit einer Versandapotheke verbünden würde. In Bezug auf die Preisgestaltung verriet der Amazon-Dienstleistungspartner auch, dass es ja einerseits so sei, dass eine Teilnahme mehrerer Anbieter aus Konkurrenzgründen dafür sorgen würde, dass die Preise immer mehr nach unten angepasst werden. Auf der anderen Seite habe man aber gerade bei Amazon-Prime-Kunden die Erfahrung gemacht, dass dieses Klientel erst gar nicht mehr nach den billigsten Angeboten suchen würde.

Ihnen ist vielmehr das „Gesamtpaket“ aus Preis, Verfügbarkeit, schneller Auslieferung etc. wichtig. Nach Ansicht von Marc Aufzug ist es auf alle Fälle sicher, dass es im Bereich der stationären Apotheken mit dem Markteintritt von Amazon „zu Ausdünnungen kommen wird“. In der sich dem Vortrag anschließenden Diskussion wurde auch deutlich, wie sich Amazon den Umgang mit juristischen Vorgaben vorstellt. Nachdem ein Apotheker dem Konzern unterstellte, dass er in Bezug auf Gesetze nach dem Slogan „We dont care“ (Wir kümmern uns nicht darum) handle, bestätigte Marc Aufzug diese Haltung mit einem schlichten „ja“, das er dann abwandelte und davon sprach, dass man eben bestimmte Möglichkeiten „ausprobieren“ und „rechtliche Komponenten“ dann eben „nachziehen“ würde.

Alternativlose Digitalisierung Walter Oberhänsli, Chef der Versandapotheke Zur Rose, machte deutlich, dass die bereits am Markt etablierten Versandapotheken auch im Hinblick auf den Rx-Markt eine starke Konkurrenz bleiben werden. Einerseits betonte er zwar, dass aktuell das Versandgeschäft mit Medikamenten, die auf Rezept ausgestellt werden, nur ein Prozent beträgt und somit den stationären Apotheken „nicht viel“ von ihrem Geschäft verloren geht. Andererseits signalisierte er im Hinblick auf ein mögliches Rx-Versandhandelsverbot Kampfeswillen und kündigte an, im Falle eines solchen Szenarios juristisch dagegen vorzugehen.

Thomas Bellartz, Herausgeber des Branchenportals apotheke adhoc, zitierte in seinem Referat den digitalen Vordenker Sascha Lobo mit den Worten: „Es gibt keine Alternative zur digitalen Gesellschaft.“ Da die stationären Apotheken in der „Pole Position“ seien, sollten sie selbstbewusst sein und sich ohne Angst dem Wettbewerb stellen. Der vermutlich jüngste Referent, Fabian Kaske, Geschäftsführer Dr. Kaske GmbH & Co. KG, wählte einen szenischen Einstieg in seinen Vortrag, der überdeutlich klar machte, wie radikal sich das Kundenverhalten in Zukunft beim Umgang mit Medikamenten ändern könnte.

Dabei wandte er sich an eine imaginäre, sprachgesteuerte Alexa und forderte sie auf, „Apotheke zu starten“, um sein vorgegebenes Problem – Kopfschmerz – zu lösen. Und tatsächlich war Alexa dann in dieser gespielten Vision in der Lage, eine Packung Paracetamol zu ordern. Das elektronische Helferlein erläuterte dann ihrem Besitzer, dass die „Packung in 90 Minuten bei dir ist.“ Möglicherweise liegt Fabian Kaske mit dieser Vision gar nicht verkehrt und die Zukunft biegt schneller um die Ecke als das vielen recht ist.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/18 auf Seite 70.

Claus Ritzi, Pharmajournalist (wdv)

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