Ein Mädchen sitzt auf einer Bank in einem Einkaufszentrum und weint.
Es ist recht leicht, Menschen falsche Erinnerungen einzureden - zum Beispiel, sie hätten sich als Kind im Einkaufszentrum verirrt. © Sinenkiy / iStock / Getty Images Plus

Gedächtnisforschung | Manipulation

WENN DIE ERINNERUNG TRÜGT

Mit Erinnerungen ist das so eine Sache: Sie können falsch sein. Es ist zudem relativ einfach, Menschen glauben zu lassen, sie hätten ein bestimmtes Ereignis erlebt, das in Wirklichkeit nie geschehen ist. Dass man falsche Erinnerungen entlarven kann, zeigten Forscher jetzt in einer Studie.

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Im Alltag ist solches vergleichsweise harmlos: Man erinnert sich an den Hergang eines Unfalls oder an Erlebnisse aus der Kindheit – die in Wahrheit aber ganz anders gelaufen sind. Manche haben auch nie stattgefunden. Wichtig werden solche Erinnerungslücken oder verzerrte Wahrnehmungen jedoch in Strafprozessen. Dann führen solche Scheinerinnerungen zu Problemen bis hin zu Justiz-Irrtümern, wenn Zeugen fest davon überzeugt sind, etwas erlebt oder beobachtet zu haben, das nicht mit der Realität übereinstimmt. Zahlreiche Studien belegen, dass beispielsweise suggestive Fragen solche Scheinerinnerungen hervorrufen können. Doch wie löst man ein solches Problem?

Damit hat sich ein Team um Aileen Oeberst von der FernUniversität Hagen beschäftigt. Es gelang den Forschern, den oben beschriebenen Effekt umzukehren. Zu diesem Zweck lösten sie bei den Probanden zunächst falsche Erinnerungen aus. Um ein möglichst realistisches Szenario zu schaffen, hatte Oebersts Team vorab die Eltern der Probanden gebeten, mehrere negative Kindheitserinnerungen der Probanden zu nennen; gleichzeitig sollten die Eltern aber auch zwei Begebenheiten konstruieren, die plausibel wären, aber nicht geschehen sind.

Je länger befragt, desto besser die falsche Erinnerung
In drei suggestiven Interviews wurden die Probanden zu je zwei tatsächlichen und zwei vorgeblichen Ereignissen in ihrer Kindheit befragt. Um Verzerrungen auszuschießen, wusste der Interviewer selbst nicht, welche wahr und welche falsch waren. Dabei zeigte sich: Die Qualität der Erinnerungen war generell höher, wenn sie sich auf wahre Begebenheiten bezogen. Im Lauf des Interviews stieg die Qualität der falschen Erinnerungen aber signifikant an.

Wenn sie starke Suggestion anwandten, gelang es den Forschern, 56 Prozent der Probanden tatsächlich dazu zu bringen, ein erfundenes Ereignis für eine eigene Erinnerung zu halten. Bei Probanden, die nur leicht suggestiv beeinflusst wurden, waren es lediglich 27 Prozent.

Die Forscher vermittelten zwei Strategien, um Scheinerinnerungen zu entlarven:

  • Zum einen ermunterten sie die Testpersonen, sich Gedanken darum zu machen, auf welche Quellen ihre Erinnerungen zurückgehen. Waren es Familienfotos, Erzählungen der Eltern oder externe Berichte? Bereits dieses Vorgehen reduzierte den Anteil der Probanden, die glaubten, sich wirklich an die vorgeblichen Erlebnisse erinnern zu können.
  • Eine zweite Strategie bestand darin, die Probanden mit dem Konzept der Scheinerinnerungen vertraut zu machen (allerdings verrieten die Forscher nicht, dass sie selbst ihnen im Versuch diese Erinnerungen untergeschoben hatten).

Nach diesen beiden Interventionen sank die Rate der falschen Erinnerungen bei den Probanden, die starker Suggestion ausgesetzt waren, auf 23 Prozent. Bei Versuchsteilnehmern mit schwacher Suggestion waren es nur 15 Prozent.

Bestätigendes Denken unterbrechen
„Werden die Probanden aufgefordert, die Möglichkeit falscher Erinnerungen in Betracht zu ziehen, trägt das offenbar dazu bei, eine vorherige bestätigende Denkweise zu unterbrechen, in der sie bemüht waren, Erinnerungen abzurufen, die da sein müssten“, resümierten die Forscher.

Das bedeutet für Strafprozesse, dass der Anwender gar nicht wissen muss, ob eine Erinnerung wahr oder falsch ist – gerade hier ist ja die objektive Wahrheit in der Regel nicht bekannt. Die Studie zeigt den Forschern zufolge aber, dass es prinzipiell möglich ist, falsche Erinnerungen rückgängig zu machen – was einen vielversprechenden Ausblick für die zukünftige Forschung ergibt.

Alexandra Regner,
PTA und Medizinjournalistin

Quelle: wissenschaft.de

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