Mit einer Schere wird von einem Zettel ein Stück abgeschnitten, so wird aus der Aufschrift "I can´t do it" "I can do it".
Eine Schere, die Störendes abschneidet und so Dinge ermöglicht: Auf Erbsubstanz-Ebene ist das Crispr/Cas9. © BrianAJackson / iStock / Getty Images Plus

Chemie | Crispr/Cas9

GENSCHERE MIT „ATEMBERAUBENDEM POTENZIAL“: NOBELPREIS GEHT AN ZWEI FRAUEN

Erstmals teilen sich ausschließlich Frauen einen wissenschaftlichen Nobelpreis. Die von ihnen entwickelte Genschere revolutioniert Biologie, Medizin und Landwirtschaft. Eine der zwei Preisträgerinnen forscht in Berlin.

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Der diesjährige Nobelpreis für Chemie geht an die in Berlin arbeitende Französin Emmanuelle Charpentier und an die US-Forscherin Jennifer A. Doudna für die Entwicklung einer Genschere zur gezielten Erbgut-Veränderung. Das Crispr/Cas9-Verfahren habe die molekularen Lebenswissenschaften revolutioniert, trage zu innovativen Krebstherapien bei und könne den Traum von der Heilung von Erbkrankheiten wahr werden lassen, teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit.

Emmanuelle Charpentier (51), Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin, und Jennifer Doudna (56) von der Universität in Kalifornien in Berkeley hätten eines der schärfsten Werkzeuge der Gentechnologie entwickelt, betonte das Komitee. Die Entdeckung habe „atemberaubendes Potenzial“.

Das Crispr/Cas-System ist ein Mechanismus, der bei Bakterien vorkommt. Was lange als nutzloser Schrott im Erbgut galt, entpuppte sich schließlich als Abwehrsystem gegen Viren. Die Mikrobiologin Charpentier und die Biochemikerin Doudna verwendeten auf dieser Erkenntnis aufbauend Crispr/Cas9 gezielt zum sogenannten Genome Editing, also zum Entfernen, Einfügen und Verändern von DNA. Ihre Studie erschien 2012 im Magazin «Science». Seitdem hat sich das Verfahren rasant in Laboren weltweit verbreitet.

Allerdings betonte das Nobelkomitee auch den möglichen Missbrauch des Werkzeugs: „Wie jede mächtige Technologie muss auch diese Genschere reguliert werden.“ Für weltweite Empörung sorgte 2018 ein chinesischer Forscher, der die Geburt von Zwillingsmädchen bekanntgab, deren Erbgut er mit Crispr/Cas9 manipuliert hatte. Solch ein Missbrauch des Verfahrens bereite ihr Sorge, sagte Charpentier.

„Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna haben von Anfang an die ethische und soziale Komponente ihrer Forschung mitbedacht“, sagte Peter Dabrock, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, der Deutschen Presse-Agentur. „Das hat mich sehr beeindruckt.“

Es ist der erste wissenschaftliche Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilen. In Chemie gab es zuvor erst fünf Preisträgerinnen. Barbara McClintock hatte den Medizinpreis 1983 alleine bekommen.

Pflanzen, Tiere, Menschen: Wo die Genschere angewendet wird
Nutzpflanzen: Mit der neuen Genschere Crispr/Cas9 ist es wesentlich einfacher geworden, Pflanzen gentechnisch zu verändern. Befürworter sehen darin eine große Chance, Nutzpflanzen widerstandsfähiger, ertragreicher, nahrhafter oder lagerfähiger zu machen. Gleichzeitig gibt es Befürchtungen, das gentechnisch veränderte Pflanzen in der Umwelt Schaden anrichten könnten. In Deutschland werden laut Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter bislang keine Crispr-Nutzpflanzen angebaut, in den USA stehen hingegen schon erste davon auf dem Acker.
Nutztiere: Durch die neue Technik lassen sich landwirtschaftlich genutzte Tiere mit vergleichsweise wenig Aufwand verändern. So könnten beispielsweise Schweine erzeugt werden, die gegen bestimmte Viren immun sind, wie der Nutztiergenetiker Wilfried Kues vom Friedrich-Loeffler-Institut erklärt. Um das Schreddern männlicher Küken zu verhindern, können diese per Genschere mit Fluoreszenzmarkern versehen werden, um sie früh in ihrer Entwicklung auszusortieren. Allerdings lassen die rechtlichen Rahmenbedingungen in den USA und Europa die Vermarktung solcher Tiere praktisch nicht zu, wie Kues sagt.
Gentherapie: Forscher hoffen, mit Crispr/Cas9 Menschen mit bestimmten Gendefekten helfen zu können, zum Beispiel bei Bluterkrankungen. Dabei werden Zellen dem Patienten entnommen und im Labor mit Hilfe der Genschere bearbeitet. Anschließend kommen die Zellen zurück in den Körper. Mit Crispr/Cas9 wollen Forscher auch Immunzellen so verändern, dass sie dann Krebs bekämpfen.
Bekämpfung von Stechmücken: Um durch Moskitos übertragene Krankheiten wie beispielsweise Malaria effektiver zu bekämpfen, arbeiten Forscher an einem besonderen Ansatz. Im Labor verändern sie Mücken mit Hilfe von Crispr/Cas9 so, dass die Tiere nach ihrer Freilassung bestimmte Genschäden in die natürlich vorkommende Mückenpopulation tragen - und diese dadurch stark eindämmen.
Medikamentenentwicklung: In Arzneimitteln direkt wird Crispr/Cas9 nicht verwendet, wie ein Sprecher des Verbands forschender Arzneimittelhersteller erklärt. Doch in den Labors hat sich die Genschere binnen kürzester Zeit etabliert, denn: „Die Technik kann man auch benutzen, um bestimmte Labortiere zu züchten oder Gewebe gentechnisch zu verändern.“ Damit könne man dann Versuche machen, um neue Medikamente zu entwickeln.

Quelle: dpa

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