© DIE PTA IN DER APOTHEKE

Schon Mal Da Gewesen?

BLOSS NICHT SCHÄMEN

Es gibt viele Gründe, sich zu genieren. Die Ausstellung „Scham. 1000 Gründe, rot zu werden“ im Dresdner Hygiene-Museum zeigt mögliche Antworten, die hinter diesem Schamgefühl stecken können.

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Auch in aktuellen politischen Debatten spielt die Scham eine wichtige Rolle: „Schämt euch!“ lautet der Vorwurf gegen Politiker, die sich vermeintlich von den Wünschen der Bürger entfremdet haben, oder gegen Konzernlenker, die sich hemmungslos bereichern. Es sieht so aus, als sei das Gefühl für das rechte Maß von Scham in unserer Gesellschaft zu einer moralischen Instanz geworden, die darüber entscheidet, was angemessen ist und was nicht. Woher die Normen dafür stammen und wie sie sich begründen lassen, darüber wird im Alltag wenig nachgedacht. Die Fähigkeit, Scham zu empfinden, scheint von Natur aus im Menschen angelegt, auch wenn ihre jeweilige Ausprägung kulturabhängig ist. Die Ausstellung nähert sich dem Phänomen Scham deshalb konsequent interdisziplinär und bezieht unterschiedlichste wissenschaftliche Perspektiven ebenso ein wie Werke historischer und zeitgenössischer Kunst. In einem Parcours von einhundert Gründen und Anlässen der Scham beleuchtet sie dieses schillernde Grundgefühl aus Perspektiven unterschiedlicher Intensität – vom trivialen Pups bis hin zur existenziellen Scham darüber, der zum Massenmord fähigen Gattung Mensch anzugehören.

Beobachten und Beobachtet-Werden Hinter dieser scheinbar zwanglosen Gliederung steht jedoch eine gezielte Choreographie, die den Ausstellungsbesuch zu einem sozialen Experiment von Scham und Peinlichkeit macht. Im Rundgang ergeben sich für die Besucherinnen und Besucher häufig Momente des Beobachtens und Beobachtet- Werdens: So informiert die Eye-Tracking-Technik die Umstehenden darüber, welches Körperteil der eigene Blick auf einer erotische Darstellung gerade fixiert; eine Waage misst unbemerkt das eigene Gewicht und projiziert das Ergebnis in den Raum; Spiegel, Gucklöcher und Durchblicke zu anderen Abteilungen erschließen unerwartete Zusammenhänge. So erfährt das Publikum am eigenen Leib: Was individuell als restriktiv empfunden wird, kann für das Funktionieren einer Gemeinschaft durchaus positiv sein – und umgekehrt.

Künstlerische Arbeiten Videos zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler beschäftigen sich mit Menschen in peinlichen und schamhaften Momenten, die oft mit tradierten Rollenmustern, Geschlechterklischees und kontextabhängigen Erwartungen zu tun haben. Als Markierungen der zentralen Themenfelder begegnen die Besucher im Verlauf ihres Rundgangs zwölf Skulpturen. Das Spektrum reicht von antiken Plastiken (z. B. die klassische Pudor-Geste der Venus Medici) über ethnologische Schaufiguren (Thema: Ethnozentrismus und Rassismus) bis hin zu einem interaktiven Roboter, der die Frage stellt, ob es ein Jenseits der Scham gibt. Jede dieser Skulpturen materialisiert auf ganz unterschiedliche Weise den menschlichen Körper als Kreuzungspunkt der Natur und Kultur des Schamempfindens und stellt die Besucher vor die Frage, was Scham zu dem vielleicht menschlichsten aller Gefühle macht. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/17 auf Seite 132.

KONTAKT
Deutsches Hygiene- Museum
Lingnerplatz 1
01069 Dresden

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