© Frater Aloisius

Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE – TEIL 4

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Kapitel 6 „Du brütest ja schon wieder.“ Britta zuckte beschämt zusammen. Da saß sie an einem sonnigen Sommernachmittag neben dem Mann ihrer Träume in einem offenen Cabrio, die Haare wehten im Fahrtwind und sie dachte nur an Mord und Totschlag. „Könntest du- vielleicht und eventuell – einmal nicht an weißes Pulver, Erstickungsanfälle, Kreislaufversagen oder grünschillernde Käfer denken? Ich meine ja nur. Wir fahren doch zu einem so schönen, harmlosen Kaffeetrinken. In einer wunderbaren alten Burg. Mit deiner Lieblingsangestellten und meinem Lieblingsneffen. Wir werden über die Einrichtung von Babyzimmern, über Hunderassen und Familiengeschichten reden. Falls so harmlose Dinge für dich überhaupt noch in Frage kommen.“ Der letzte Satz hatte ein bisschen streng geklungen. Das war sonst eigentlich nicht seine Art, Robert übte sich üblicherweise in einer fast übermenschlichen Verständnissinnigkeit und beklagte sich nie, nicht einmal über die häufigen Überstunden ihrerseits. In der letzten Zeit war vor lauter Recherche und Artikel-Verfassen für die Frankfurter Zeitung die Buchhaltung nämlich ein wenig kurz gekommen.

Der Chefredakteur band sie auf seine charismatische Art immer öfter in die redaktionelle Arbeit mit ein; kürzlich hatte sie einen Kommentar über die Freigabe von medizinischem Cannabis schreiben dürfen und nun kam auch noch eine Serie über (echte) rätselhafte Fälle aus dem Klinikalltag hinzu, die sie mit ihrem pharmazeutischen Sachverstand begleiten sollte. Sie habe so eine schöne, lebendige Art und Weise, medizinische Sachverhalte darzulegen, hatte der Chefredakteur sie gebauchpinselt. Und sie war leider sofort darauf hereingefallen. Britta beugte sich ein Stück zur Seite und küsste Robert direkt neben den Mundwinkel. „Na, dann will ich dir mal glauben“, grinste er und schaltete einen Gang zurück, damit der schnelle Wagen besser die Serpentinen erklimmen konnte, die zur Grimmburg hochführten. Die Burg thronte auf einem Felsen hoch über ihnen und sah wieder einmal sehr malerisch aus. Die Fahne mit dem Wappen derer von der Leydens wehte oben auf dem Burgmauer; Annette hatte diese Tradition wieder aufgenommen, nachdem sich jahrelang kein Mensch darum gekümmert hatte.

Was bisher geschah
„Mord im Edelrestaurant“ – so titelte etwas reißerisch die Presse über den Tod des Mediziners Dr. Hans Ferdinand. Der Arzt starb an einer kräftigen Prise Cantharidin, die ihm seine Freundin vor aller Augen über sein Essen gestreut hatte, in der irrigen Annahme, es handele sich um Laktasepulver. Doch sagt sie die Wahrheit? Und wer ist dann der wahre Mörder? Einer der sechs Menschen, die mit am Tisch saßen? Britta Badouin, die zu den Gästen des Gala-Essens gehörte, ermittelt wieder und dabei kommen ihr ihre Kenntnisse als Apothekerin zu Hilfe.

Sie hatte auch dafür gesorgt, dass die Sandsteintröge aus den alten Stallungen herausgetragen und auf den Burghof gestellt wurden. Jetzt waren sie mit Sommerblumen bepflanzt und der Hof sah gleich viel schöner aus. Britta hatte es bei ihrem letzten Besuch bereits bemerkt: Hier wirkte jetzt die Handschrift einer Frau. Annette selbst hatte eingeschlagen wie eine Bombe. Inmitten des freiherrlichen Familienclans war sie eine Art Frischzellenkur. Die samt und sonders älteren Herrschaften sahen sprachlos zu, wie ein frischer Wind den Staub von ihren schweren Samtvorhängen wehte, und da Annette den jüngsten Spross und Hoffnungsträger der nächsten Generation in sich trug, hatte sie praktisch Narrenfreiheit. Nachdem Onkel Ducki (eigentlich Dagobert plus noch ein paar andere Namen) von der Schwangerschaft erfahren hatte, soll er in seinem Rollstuhl so laut „ENDLICH!“ geschrien haben, dass die Tauben erschreckt vom Schieferdach des Aussichtsturmes flatterten. Onkel Ducki war der Vater Roberts und hatte ein gespanntes Verhältnis zu seinem Sohn, der ein paar Dinge in seinem Leben getan hatte, die sich für einen von der Leyden nicht ziemten: Totschlag zum Beispiel und Bestechlichkeit. Eines der Geheimnisse von Brittas und Roberts inniger Beziehung lag daran, dass sie ihm dies verzieh, der adlige Clan jedoch nicht. Doch lange Zeit lag eine dunkle Wolke über den Freiherren der hessischen Linie (es gab noch eine fränkische, aber die waren weit weg). Es war einfach kein Nachwuchs in Sicht.

Da die jungen Leute sich dem Zwang des Geldverdienens ausgesetzt sahen, entschlossen sie sich, wie auch der Rest der Gesellschaft, immer später zum Kinderkriegen – wenn überhaupt. Annette, die beim offiziellen Antrittsbesuch etwas verlegen ihren nagelneuen Schwiegereltern gegenüberstand, würde es Onkel Ducki ewig danken, dass dieser in die steife Runde gekräht hatte: „Mensch, ich dachte schon, das wird nie was! Babys kommen, wann sie wollen, darf ich dich erinnern, Adalbert!“. Woraufhin Fridos Vater lächelte und seinen Sprössling schmunzelnd „Siebenmonatssohn“ nannte. Annettes Schwiegervater war selbst mit einer Bürgerlichen verheiratet; er musste wegen der nicht standesgemäßen Heirat damals auf die Grimmburg verzichten, denn eigentlich war er dran in der Erbfolge. Doch über den Eklat, der bald darauf über den nachrückenden Robert hereinbrach (siehe Mord am Mainufer), war es dann doch an Frido, dem Neffen, die Verwaltung der Burg zu übernehmen. Das Cabrio rollte über das hüppelige Hofpflaster und parkte zwischen zwei riesigen Eichen. Noch bevor Robert den Schlüssel abziehen konnte, nahte auch schon das Empfangskomitee: Ein kleiner Jack-Russell-Terrier, ein Pekinese sowie eine steifbeinige Dogge machten sich daran, den Besuch zu begutachten.

Der Terrier hüpfte vor dem Auto wie ein Flummi auf und ab, um die Insassen überhaupt zu Gesicht zu bekommen, der Pekinese bellte wütend, denn er konnte nichts sehen und die Dogge mit der grauen Schnauze steckte einfach den Kopf durch das heruntergelassene Beifahrerfenster und betrachtete Britta gerührt. Ihre grauverschleierten Augen waren voller Liebe, denn sie mochte alle Menschen gern. Britta wusste noch von ihrem letzten Besuch, dass sie sogleich mit ihrer waschlappengroßen Zunge über ihr sorgfältig aufgetragenes Make-Up fahren würde und hielt ihr die Lefzen zu. „Halt, stopp!“ lachte sie und die Dogge begann zu winseln. Frido kam im Laufschritt herbeigelaufen, wie wahrscheinlich immer, wenn Besuch kam: um diesen nämlich von der Hundemeute zu befreien, denn die Tiere waren hier leider nur mäßig erzogen. Dafür waren sie sehr nett. Yago, der Deutsch-Kurzhaar-Rüde, fehlte seit letztem Monat. Frido hatte seinen alten Jagdhund einschläfern lassen müssen. 16 Jahre war der ihm nicht von der Seite gewichen, und Frido machte das mehr aus als er zugeben wollte. Man begrüßte einander. Inzwischen war auch Annette hinzugestoßen, die wegen ihres Babybauches nicht mehr ganz so schnell zu Fuß war. Sie ist so hübsch, dachte Britta wieder einmal. Annettes Augen strahlten, ihre Haare glänzten und wellten sich in sanftem Schwung um ihr Gesicht.

Die Schwangerschaft stand ihr gut. Sie hielt die Dogge am Halsband fest, da diese unablässig versuchte, doch noch Brittas Gesicht abzuschlecken, und hatte ein Auge auf den Pekinesen, der begehrlich Roberts Waden betrachtete. Während Britta Annette umarmte, fragte sie: „Wem gehört der?“ Annette seufzte. „Tante Kuni. Die ist seit sechs Wochen unser Dauergast und hat ihn mitgebracht. Er ist ein bisschen schwierig. Wenn er zu viel Weinbrand-Pralinen genascht hat, ist er etwas… enthemmt und zwickt schon mal die Leute.“ Britta grinste und dachte über die leicht verrückte Burgbesatzung nach. Da es in Adelskreisen oftmals üblich war, dass sich Gäste auch einmal etwas länger aufhielten (vor allem die unverheirateten Tanten), wusste Britta aktuell von zwei ältlichen Fräulein und einer jungen Kusine, die gerade Semesterferien hatte. Letztere befand sich fast nie auf dem Schloss, sondern besuchte gern ihre zahlreichen Freunde. Kunigunde von der Leyden, 82, war einstmals Gouvernante einer Prinzessin aus regierendem Haus gewesen und erzählte gern und viel von dieser Zeit. Die andere Freifrau, Elisabeth von der Leyden, eine frühere Leistungssportlerin, sah das Schwinden ihrer körperlichen Kräfte mit Entsetzen und wurde nicht müde, dies mit sarkastischen Bemerkungen zu kommentieren. Manchmal, so sagte Annette, drückte sie sich dabei sehr deutlich aus. Onkel Ducki, der auf den Rollstuhl angewiesen war und in einem Seitenflügel wohnte, konnte das nur begrenzt ertragen und konterte bei den gemeinsamen Mahlzeiten mit ironischen Sentenzen. Britta fragte sich, wie Annette dieses so vollkommen andere Leben bloß bewältigte. Aus der Zweizimmerwohnung in eine so große Burg, vom Single-Dasein in ein Heim mit vielen Menschen und reichlich Besuch. Sie selbst würde verrückt werden. Und doch war die im sechsten Monat Schwangere aufgeblüht; die zusätzliche Belastung schien ihr nichts auszumachen. Vielleicht hat der liebe Gott sie dafür gemacht, dachte Britta und wurde ein wenig sentimental: Freifrau Annette, die im bürgerlichen Leben als PTA arbeitete und nicht gedachte, nach der Entbindung damit aufzuhören. „Ich liebe meinen Beruf“, hatte sie sehr entschlossen gesagt, als einmal die Rede darauf kam. „Ich bin in der privilegierten Lage, reichlich angeheiratete Verwandtschaft um mich zu haben, die sich mit Freuden um das Kind kümmert. Ich werde zumindest halbtags weiterarbeiten.“

Das war doch einer der Vorteile dieses Berufes, dachte Britta dankbar: Teilzeitarbeit stellte kein Problem dar. Die kleine Gruppe schlenderte weiter zum Westflügel, wo die Kaffeeparty stattfinden sollte. Britta hatte gehofft, dass sie unter sich sein würden, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Beide Tanten schossen unmittelbar nach ihrem Ankommen in den Raum, und auch Onkel Ducki wurde von seinem Pfleger in selbigen geschoben. Der alte Freiherr verscheuchte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung, was dem jungen Mann ganz recht zu sein schien. Annette gab Ducki zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange, was der erkennbar genoss. Britta beobachtete, dass er ihr stets mit den Augen folgte. Na, da hat sie wohl einen richtigen Fan, dachte sie. Die Apothekerin kam neben Tante Kuni zu sitzen, musste allerdings sehr aufpassen, denn unter ihrem Stuhl hockte der Pekinese, der mit gefährlichem Knurren meldete, wenn Brittas Beine denen seiner Herrin zu nahe kamen. Und das war eigentlich immer. Die Tante murmelte dann irgendwas mit „Murkelchen, nun sei doch nicht…“, vergaß dann aber, was sie sagen wollte. Sie war vollauf damit beschäftigt, ja kein Wort von der Unterhaltung bei Tisch zu versäumen, was durch ihre Schwerhörigkeit erhebliche Einschränkungen erfuhr. Elisabeth von der Leyden hingegen hörte ausgezeichnet. Sie hatte sich ihre drahtige Sportlerfigur auch im Alter erhalten; ihre Augen flitzen flink von Gesicht zu Gesicht, ihr entging nichts. Britta kam sich ein wenig vor wie beim Verhör. Sie blickte neidisch auf Robert, der ihr schräg gegenüber saß und der entspannt mit Frido über irgendetwas plauderte, wahrscheinlich über Hunde.

Da konnte sie eigentlich mal nachfragen, später, nachdem sie diese fantastischen Donauwellen probiert hatte, mit der dicken Schokokruste und der Kirschfüllung... Hhhhmmmm. „Und was machen SIE so den ganzen Tag?“ fragte Tante Kuni, als Britta sich gerade den ersten Bissen in den Mund schieben wollte. „Ich bin Apothekerin“, antwortete Britta und lächelte gewinnend, ließ das Kuchenstück in den Mund gleiten und schloss genießerisch die Augen. „HABEN SIE EINE EIGENE APOTHEKE?“ brüllte Tante Kuni weiter, die, wie viele Schwerhörige, immer der Meinung war, andere würden sie schlecht verstehen. „Ja, in Herborn“, antwortete Britta. „WO?“ „IN HERBORN“, brüllte Britta zurück. Plötzlich war Totenstille am Tisch. „Sie brauchen nicht so schreien, ich bin ja nicht taub.“ Tante Kuni nahm missbilligend die blank polierte Kuchengabel mit den stilisierten Buchstaben „VDL“ – von der Leyden – in die Hand. „Sie ist doch Annettes Chefin“, rief Elisabeth ihr zu. „Schöffin sind Sie? Ich dachte, Sie wären Apothekerin? Was denn nun?“ Tante Kunis Blick wurde womöglich noch missbilligender und sie stieß die Gabel energisch in die Donauwelle. „Es wird immer schlimmer mit ihr“, bemerkte Elisabeth in normalem Tonfall und in der richtigen Annahme, dass Kuni nicht ein Wort ihrer Entgegnung verstand. Sie ließ eine Weile verstreichen, goutierte wie alle anderen ihr Kuchenstück, und fragte dann: „Ich habe ein paar Ihrer Artikel gelesen. Gefallen mir gut. Sie haben die Gabe, komplizierte Dinge einfach zu erklären.“ „Danke“, sagte Britta verblüfft, da sie nicht erwartet hatte, dass hier jemand die Frankfurter Zeitung las. „Sind Sie eigentlich schon weitergekommen?“ fragte die alte Freifrau. „Leider nicht wirklich“, sagte Britta bedauernd. „Ich glaube ja, die Lösung liegt im Motiv. Wenn ihr das findet, findet ihr auch den Mörder.“ „Sie nehmen also nicht an, dass die Klinikapothekerin – also diejenige, die ihm das Pulver über das Essen gestreut hat – die Täterin ist?“ „Nein, nach allem, was ich über sie gelesen habe, ist das unwahrscheinlich. Die Frau ist doch völlig gebrochen.“ Freifrau Elisabeth schaute Britta wohlwollend an. „Es ist übrigens eine hübsche Idee, die Tischgesellschaft einzeln zu portraitieren.

Gestern habt ihr ja über den Zuzi geschrieben, sehr treffend.“ „Zuzi?“ fragte Britta. „Ja, den Albert Zurmuehl-Wiedenhausen. Sie werden es kaum glauben, aber ich kenne ihn noch aus der Uni. Albert hat mit mir zusammen begonnen, Sportwissenschaften zu studieren, ist dann aber umgeschwenkt auf Medizin. Wir haben ihn alle bei seinem Spitznamen genannt, er war ein lustiger Geselle. Bis ihn dann Trudi gekapert hat. Die genau wusste, was sie wollte: Frau Professor werden.“ „Na sowas“, sagte Britta. „REDET DOCH BITTE EIN BISSCHEN LAUTER!“ meldete sich Tante Kuni wieder zu Wort. „Wir unterhalten uns gerade über alte Bekannte“, rief Elisabeth ihr zu. Und dann in normaler Lautstärke: „Meiner Lebenserfahrung nach werden Verbrechen häufig aus zwei Motiven begangen, von den psychisch gestörten Tätern mal abgesehen. Das eine ist Habgier.“ „Und das andere?“ fragte Britta. „Eifersucht. Enttäuschte Liebe.“ Elisabeth lächelte schmal. „WEISST DU NOCH, WIE SCHORSCHI UND DIESER FELDWEBEL SICH WEGEN DIR DUELLIEREN WOLLTEN?“ schrie Tante Kuni mit blitzenden Augen. „Ach, das hast du also verstanden?“ fragte Elisabeth. Sie grinste und legte die Kuchengabel ordentlich über den Teller aus Meißner Porzellan.
Wie geht es weiter? Lesen Sie die nächste Folge unseres Apothekenkrimis „Die Spanische Fliege“ in unserer Juni- Ausgabe! 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/17 ab Seite 102.

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