Stein neben Feld© Andres Victorero / iStock / Getty Images

Schmöker des Monats

ACHTSAM MORDEN AM RANDE DER WELT

Björn Diemel, Rechtsanwalt mit bezaubernder kleiner Tochter und einer Ex-Frau, ist eigentlich kein schlechter Kerl. Dass in den letzten Jahren zehn Menschen durch ihn zu Tode kamen, war nicht zu vermeiden gewesen. Und immerhin hatte er die Taten achtsam begangen.

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Band drei der erfolgreichen Bestseller-Reihe „Achtsam morden“ ist nun erschienen. Er spielt diesmal „Am Rande der Welt“ – gemeint ist der Jakobsweg –, ist wieder randvoll mit schwarzem Humor und muss hier einfach vorgestellt werden, denn inzwischen ist sogar ein Anleitungsbuch erschienen („Achtsam morden. Das Übungsbuch“), sodass wir es nicht länger ignorieren können. Was wir im Übrigen gar nicht vorhatten.

Gute Tipps vom Therapeuten, eigenwillig umgesetzt Björn Diemel, der Rechtsanwalt, muss mal wieder zum Therapeuten. Joschka Breitner heißt er. Er wurde ihm einst von seiner Frau „verordnet“, was zu einer Reihe von ihm nicht beabsichtigter Handlungen führte, nämlich zum Ableben einiger Gestalten, die einem eher kriminellen Milieu angehörten. Der Therapeut hat sich gehalten, die Ehe nicht. In Diemels Seele gibt es immer was aufzuräumen, wobei anzumerken ist, dass Breitner keine Ahnung hat, was sein Patient so treibt. Der Herr Diemel wendet dessen Achtsamkeitstheorien nämlich auch auf Situationen an, die ethisch bedenklich sind. Was leider langfristig dazu führt, dass er keine echten Freunde hat.

Außer seiner kleinen Tochter Emily, für die er alles tun würde, auch morden, und seiner Ex, sind das nur noch geschäftliche Beziehungen: ein Security-Manager mit Hang zur Brutalität, die Chefin eines Call-Girl-Rings, ein Drogendealer und ein als Erzieher getarnter Assistent. Mit denen trifft er sich anlässlich der Feier seines 45. Geburtstages. Die allerdings ein wenig aus dem Ruder gerät, woraufhin er zwei Mitglieder der chinesischen Mafia auf dem Hals hat. Da kommt es ihm gerade recht, dass sein Therapeut ihm zu einem Gang auf dem Jakobsweg rät und ihm auch gleich das kleine Begleitbuch „Zu Fuß ins Ich – Pilgern als Selbstfindung“ an die Hand gibt. So gerät Björn Diemel buchstäblich aus der Schusslinie.

Olaf, der Schneemann Vorher schaut er sich aber noch den neuen Freund seiner Ex-Frau an. Die beiden Ex-Partner haben sich nämlich mal versprochen, dass sie alles, was ihr gemeinsames Kind betrifft, miteinander absprechen. Björns Ex hatte getindert und wurde fündig. Heiko heißt er. Als Diemel sich mit ihm trifft, stellt er fest, dass er ihn als „Olaf, der Schneemann“ kennt, wobei mit Schnee nicht die hübschen Kristalle aus dem Winter gemeint sind. Heiko, der nun seinen Zweitnamen verwendet, beteuert glaubhaft, dass er geläutert sei. Nun gut. Der heiratswillige Freund seiner Ex-Frau betreibt jetzt eine Internet-Agentur namens „Veritas“.

Der Autor beschreibt diese so: „Er und seine Agentur überführten Typen, die Hate Speech und Fake News verbreiteten: Durch einen journalistischen Vergleich der Inhalte von fragwürdigen Texten mit frei zugänglichen anerkannten Publikationen. Wertfrei und liebevoll betrachtet, eine nicht zu beanstandende Technik. Nichts anderes hatte die katholische Kirche erfolgreich bei Galilei, Kopernikus und Keppler angewendet. Beruhigend zu wissen, dass auch Heiko diese Astro-Idioten an der Verbreitung ihrer Verschwörungstheorien bezüglich der Sonne als Zentralgestirn gehindert hätte. Alles Heliozentriker und Erd-Leugner.“ Diemel gibt seinen Segen und kauft seiner Tochter noch zwei niedliche Kaninchen, weil er jetzt so lange weg sein wird. Leider hat Heiko eine Angora-Allergie, was später noch von Bedeutung sein wird.

Finde dich selbst, bevor es ein anderer tut Aber ach, man kann seinem Charakter nicht davonlaufen, und als Diemel endlich einen Quasi-Freund gefunden hat, wird der auch gleich ermordet. Diemel ist verblüfft. Als er erkennt, dass der Schuss eigentlich ihm galt, wird ihm klar: Seine Pilgerschaft hatte eine neue Dimension bekommen. „Es ging nicht mehr darum, mich selbst zu finden. Es ging vor allem darum, nicht gefunden zu werden.“ Ob die mafiösen Chinesen mit ihrem Rachedurst dahinterstecken? Diemel vermutet es.

Zumal ein verdächtig aussehender Asiate mit großem Instrumentenkoffer mehrfach seinen Weg kreuzt. Und dann ist da noch Klaus-Dieter („Kladdy“), der die Pilgernden mit Details aus ihrem Leben erpresst. Ein furchtbarer Kerl. Leider hat dieser den Brief, in dem Diemel seine letzten zehn Morde akribisch aufgelistet hatte, sozusagen aus Versehen fotografiert, und beim Versuch, an die Handykamera zu kommen, passiert es wieder – diesmal aber mehr oder weniger aus Versehen. Diemel bilanziert lakonisch: „Würde Kladdy noch leben, wäre er bestimmt stolz auf seinen Tod gewesen.“ Die Stiere sind schuld, lesen Sie selbst.

Leichen pflastern seinen Jakobsweg Und dann geht es rund. Es kommt nämlich Atropin ins Spiel. Wir PTA wissen, was für verheerende Folgen das haben kann. Und so auch hier. Leider trinkt das für Diemel bestimmte Erfrischungsgetränk jemand anderes, woraufhin die Dame den Tod findet. Schon wieder eine Leiche! Langsam wird es ärgerlich. Björn Diemel wandert jetzt nur noch nachts, das erscheint ihm sicherer. Es spielen dann noch zwei Handys (eins davon ohne Ladekabel), ein Glückskeks und eine altmodische SMS eine Rolle, denn WhatsApp funktioniert in diesen Breiten nicht so richtig, man hat ja nie Empfang. Da muss man sich schon ins Flugzeug setzten und physisch erscheinen – Showdown an einer Klippe, alle Verdächtigen treffen sich, zwei bleiben über, welche, verrate ich nicht.

Achtung: Das Zwerchfell kann Schaden nehmen Der Autor Karsten Dusse ist auch im wirklichen Leben Rechtsanwalt, also wie Björn Diemel, aber in anständig. Dass er für Comedy-Formate im Fernsehen schreibt und dafür zahlreiche Preise erhielt, das hat seinen Grund. Kalkulieren Sie bitte Zwerchfell-Weh beim Lesen ein, es ist echt komisch – Dusse bringt es nämlich fertig, den angelsächsischen schwarzen Humor ins Deutsche zu transkribieren, endlich macht es mal jemand – und das richtig gut. Was bleibt, ist die Erkenntnis: „Damit es endlich wieder aufwärts gehen kann, muss es vorher erst einmal abwärts gegangen sein.“ Und dass nichts schöner ist, als am Rande der Welt in Freundschaft auf seine Ex-Frau zu treffen, wenn sie ein geladenes Gewehr in der Hand hat, das weiß Björn Diemel nun: Familie gibt einem doch einfach Sicherheit. Wir freuen uns schon auf den nächsten Band!

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 12/2021 ab Seite 132.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Karsten Dusse Achtsam morden am Rande der Welt
Hardcover mit Schutzumschlag Heyne, 384 Seiten, 20 Euro ISBN: 978-3-453-27356-6

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