Kombinierte Stoffwechselerkrankungen
PTA-Fortbildung

Das metabolische Syndrom

Auch als Wohlstandskrankheit bekannt, trifft das metabolische Syndrom mehr und mehr Menschen in den Industriestaaten. Gemeint ist eine Kombination aus Hypertonie, Hypertriglyceridämie, Insulinresistenz und Adipositas. Wie können Sie in der Apotheke zur Prävention beitragen und Betroffene begleiten?

17 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. September 2022

Vor 100 Jahren gab es das metabolische Syndrom medizinisch gesehen nicht. Der überwiegende Teil der Menschen musste körperlich viel arbeiten und die Kalorienzufuhr war begrenzt. In den vergangenen 50 Jahren hat sich die Gesellschaft in den Industrieländern stark verändert. Körperliche Arbeit ist im Alltag für die meisten kaum noch erforderlich. Schwere Tätigkeiten im Beruf sind an Maschinen abgegeben worden, Lebensmittel sind jederzeit und fertig zubereitet verfügbar.

Homeoffice, digitale Medien, Autos und ein gut ausgebautes Verkehrsnetz sorgen dafür, dass sich die Menschen in Beruf und Freizeit immer weniger bewegen müssen. Es lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Wir essen zu viel und bewegen uns zu wenig. Heute entscheidet sich ein Teil der Menschen bewusst für Aktivität und Bewegung in der Freizeit, einem anderen Teil fehlen diese sportlichen Aktionen.

Diese zweite Gruppe ist auf Dauer gefährdet, ein metabolisches Syndrom zu entwickeln. Das komplexe Krankheitsbild entwickelt sich schleichend und wird zunächst nicht bemerkt. Doch mit dem Fortschreiten der Erkrankung haben Betroffene ein deutlich höheres Risiko für weitere Folgeerkrankungen, wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebserkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates.

Komplexes Geschehen Die Herausforderung bei der Beschreibung des metabolischen Syndroms ist die Beteiligung mehrerer Grunderkrankungen, die eng miteinander in Zusammenhang stehen. Genau genommen leidet ein Betroffener nicht unter einer Krankheit, sondern ist bereits multimorbide. Der Begriff metabolisches Syndrom umfasst also eine Kombination verschiedener Faktoren.

Eine allgemein gültige Definition existiert bislang nicht, stattdessen sind in der Literatur verschiedene Definitionen der Diagnostik zu finden. So orientiert sich die WHO an der Insulinresistenz und das National Institute of Health (NIH) an klinischen Parametern.

Einheitlicher Konsens der deutschen Fachgesellschaften ist, dass sich die Diagnose des metabolischen Syndroms aus dem gemeinsamen Auftreten von starkem Übergewicht mit bauchbetonter Fetteinlagerung, arterieller Hypertonie, Fettstoffwechselstörung (Hypertriglyceridämie, niedriges HDL-Cholesterol) und einer Insulinresistenz (mit erhöhten Nüchternzuckerwerten), beziehungsweise manifestem Diabetes mellitus Typ 2 zusammensetzt. Begleitend können auch erhöhte Harnsäurewerte, niedriggradige Entzündungswerte, Gerinnungsstörungen und eine endotheliale Dysfunktion vorliegen.

LERNZIELE

Lernen Sie in dieser von der Bundesapotheker­ kammer akkreditierten Fortbildung unter anderem

+ was ein metabolisches Syndrom ist,
+ welche Faktoren die Entstehung eines metabolischen Syndroms begünstigen,
+ wie einem metabolischen Syndrom vorgebeugt werden kann,
+ welche therapeutischen Maßnahmen zum Einsatz kommen,
+ wie Sie Patienten mit metabolischem Syndrom zu ihrer Medikation beraten,
+ wie Sie Patienten zur Gewichtsabnahme motivieren können und
+ welche praktischen Tipps Sie Ihren Kunden zur Veränderung des Lebensstils geben können.

Zahlen und Ursachen Aufgrund der diffusen Definitionslage ist eine genaue Prävalenz von Menschen mit metabolischem Syndrom nur schwer zu benennen. Leichter zu erfassen ist die Zahl der Menschen, die übergewichtig sind und Bluthochdruck oder Diabetes haben. So sind 60 Prozent der Männer und jede zweite Frau in Deutschland übergewichtig, etwa zwei Drittel der Deutschen hat einen Gesamtcholesterinwert über 190 mg/dl und etwa 30 Prozent der Deutschen leiden unter Bluthochdruck.

Doch wie viele Menschen in Deutschland haben auch tatsächlich ein metabolisches Syndrom? Abhängig von verschiedenen Erhebungen und unterschiedlichen Kriterien belaufen sich die Schätzungen der Prävalenz bei erwachsenen Westeuropäern zwischen 20 und 40 Prozent. Das Landeszentrum Gesundheit in Nordrhein-Westfalen hat beobachtet, dass die Häufigkeit der ambulanten Behandlungsdiagnosen in Nordrhein-Westfalen aufgrund von Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes im Zeitverlauf zwischen 2006 und 2015 zugenommen hat.

Gleiches gilt für die Adipositasrate, die durch Bevölkerungsbefragungen ermittelt wurde. Nur die Behandlungshäufigkeit von Fettstoffwechselstörungen ist seit 2006 annähernd stabil geblieben. Besonders deutlich ist der prozentuale Anstieg des Typ-2-Diabetes (Frauen plus 29 Prozent, Männer plus 32 Prozent) und der Adipositas (Frauen plus 44 Prozent, Männer plus 50 Prozent) im Vergleich zum Ausgangswert erkennbar. Generell lässt sich eine Tendenz der Zunahme von Menschen mit metabolischem Syndrom beobachten.

Nicht berücksichtigt sind dabei die Einflüsse, die die Pandemie in den vergangenen zwei Jahren auf den Lebensstil hatte. Professor Dr. Matthias Blüher von der Adipositas-Ambulanz am Universitätsklinikum Leipzig berichtet, dass sich mit der COVID-19-Pandemie das Problem für viele der Adipositas-Patienten verschärft habe. Im Durchschnitt haben sie fünf Kilogramm zugenommen. Bei einer Umfrage der Universität München gaben etwa 40 Prozent der Erwachsenen an, dass sie seit Beginn der Pandemie im Schnitt 5,6 Kilogramm zugenommen haben.

Besonders betroffen war die Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen. Noch deutlicher war die Zunahme bei den Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) über 30. Auch bei Kindern lässt sich diese Tendenz erkennen. In Pandemiezeiten haben besonders die zehn- bis zwölfjährigen Kinder zugenommen. Dies führen die Forscher darauf zurück, dass diese Altersgruppe besonders auf den Schulsport und Sportvereine angewiesen ist und kleine Kinder generell körperlich aktiver sind. Außerdem ist der Medienkonsum in der höheren Altersgruppe ebenfalls größer.

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