Frau sitzt am Schreibtisch vor vielen Akten. © starfotograf / iStock / Getty Images Plus
In der Apotheke gibt es viel zu dokumentieren. Manch einem erscheint das einfach nur lästig, aber es dient der Arzneimittelsicherheit. © starfotograf / iStock / Getty Images Plus
Dokumentation
E-Learning-Fortbildung

Wer schreibt, der bleibt

Jeden Tag werden in den Apotheken Kunden beraten, Rezepte beliefert und Rezepturen angefertigt. Und auch die unbeliebten Dokumentationen gehören auch dazu. Warum ist das eigentlich so und was muss alles dokumentiert werden?

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In der Apotheke sind diverse Dokumentationen in unterschiedlichen Bereichen vom Gesetzgeber vorgeschrieben. So muss beispielsweise alles, was beim Umgang mit Betäubungsmitteln abläuft oder die Abgabe verschreibungspflichtiger Tier-Arzneimitteln betrifft, dokumentiert werden. Genauso sind sämtliche Aufzeichnungen rund um die Herstellung einer Rezeptur oder Defektur obligatorisch. Prinzipiell werden verschiedene Informationen zu einem Arzneimittel selbst oder dem Verschreibenden in spezielle Formulare eingetragen. Möglich sind der Ausdruck auf Papier oder das Abspeichern der Daten in digitaler Form.

Die entsprechende Aufbewahrungsfrist ist festgelegt, wobei sich die Dauer dieser Aufbewahrungsfristen nach dem Ausmaß und der Gefährdung richtet, die von den jeweiligen Substanzen oder Gerätschaften ausgehen. Wichtig hierbei ist, dass alle verpflichtenden Einträge kontinuierlich und zeitnah erstellt werden. Bei einer Besichtigung der Apotheke durch die Aufsichtsbehörde, also dem Regierungspräsidium, müssen unter anderem auch diese Dokumentationen zur Überprüfung vorgelegt werden.

Schwerwiegende Fehler in diesem Bereich können, wie andere Beanstandung bezüglich der Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften auch, zu einem vorübergehenden Entzug der Betriebserlaubnis oder sogar zur Schließung der Apotheke führen. Der Grund ist einfach: Arzneimittel müssen sicher sein, was ihre Wirkung, Nebenwirkungen und Anwendung betrifft. Ein kleiner Exkurs in die Geschichte von Arzneimitteln zeigt jedoch, dass es durchaus Vorkommnisse gab, die zur Schädigung und großer Verunsicherung der Menschen gegenüber Arzneimitteln führten.

Aus der Geschichte lernen Vor circa 70 Jahren gab es den Contergan-Skandal, bei dem es unter der Therapie mit Contergan® zu Missbildungen an Ungeborenen kam. Contergan® enthielt den Wirkstoff Thalidomid und war in den 1960er Jahren ein Arzneimittel, das bei Schlafstörungen auch für Schwangere und bei morgendlicher Schwangerschaftsübelkeit in der frühen Schwangerschaft zugelassen war. Sein Nebenwirkungsprofil war gering und es wurde millionenfach rezeptfrei verkauft. Erst ab August 1961 wurde es wegen möglicher Nebenwirkungen auf das Nervensystem rezeptpflichtig.

Nach kurzer Zeit kam es bereits zur Häufung von schweren Fehlbildungen (Dysmelien) oder gar dem Fehlen (Amelie) von Gliedmaßen und neurologischen Defekten bei Neugeborenen. Der Nachweis, dass daran Contergan® schuld sein sollte, war schwierig. Denn nur wenn die Einnahme in einer bestimmten Embryonalphase, in der es zur Ausbildung der Extremitäten kommt, erfolgte, kam es zu den Embryopathien. Wurde das Medikament außerhalb dieser „kritischen“ Entwicklungsphase eingenommen, trat keine Schädigung ein. Erst Rückschlüsse auf dieses enge Zeitfenster der Einnahme machten es möglich, einen Zusammenhang zwischen Medikamenteneinnahme und Missbildung zu erkennen.

Weltweit kamen etwa 5000 bis 10 000 geschädigte Kinder auf die Welt, wobei Totgeburten nicht in diesen Zahlen enthalten sind. Dieses absolut nachteilige Nutzen-Risiko-Verhältnis führte zur Marktrücknahme des Arzneimittels. Dass die teratogene Wirkung von Thalidomid während des Zulassungsverfahrens nicht entdeckt wurde, ist darauf zurückzuführen, dass während des Zulassungsverfahrens Versuche an Nagetieren, speziell Kaninchen, keine Nebenwirkungen zeigten. Leider war das ein Trugschluss, denn diese Ergebnisse ließen sich so nicht auf den Menschen übertragen. Der Contergan-Skandal sorgte dafür, dass die Zulassungskriterien für Arzneimittel grundlegend überdacht und überarbeitet wurden.

Der Einsatz von Arzneimitteln in der Schwangerschaft wird seitdem sehr viel kritischer beurteilt, da die embryonaltoxikologischen Forschungen aus ethischen Gründen auf Tierversuche beschränkt sind. Die Empfehlungen für den Menschen stützen sich somit noch immer auf eine sehr dürftige Datenlage. Grundsätzlich gilt für die Einnahme von Arzneimitteln in der Schwangerschaft, dass eine medikamentöse Therapie, nur wenn sie unbedingt erforderlich ist, durchgeführt wird. Die gewählte Dosis sollte so niedrig wie möglich und die Anwendungsdauer so kurz wie möglich sein. Auch heute ist Thalidomid wieder auf dem Markt, allerdings nicht mehr als Schlafmittel. Der heutige Einsatz in der Krebstherapie erfolgt nur nach sehr strengen Auflagen, die auch eine Dokumentation in der Apotheke vorsehen. Genaueres steht im Absatz „Besonderheit - T-Rezept“.

Ein weiteres tragisches Beispiel: In den1980er Jahren kam es durch die Verabreichung von kontaminierten Blutprodukten zur HIV-Infektion von Betroffenen. Was war passiert? Ende der 1970er Jahre fand man zunächst in den USA, dann weltweit, vermehrt unter homosexuellen Männern, eine Erkrankung, die das Immunsystem stark schwächte und schnell zum Tod führte. Das körpereigene Abwehrsystem wurde quasi zerstört, der Körper geschwächt und opportunistische Infektionen oder Tumore konnten nicht mehr bekämpft werden. Noch bevor der dafür verantwortliche Erreger erkannt war, wurde die Krankheit als "Acquired Immunodeficiency Syndrome" (AIDS), zu Deutsch: erworbenes Immunschwäche-Syndrom, bezeichnet.

Anfang 1983 gelang es unterschiedlichen Forschergruppen das HIV, Humanes Immunschwächevirus, als Erreger für AIDS dingfest zu machen. Es handelt sich hier um ein sogenanntes Retrovirus, das sein Erbgut in Körperzellen einfügen kann. Die Forschungen ergaben, dass es sich um eine Zoonose handelt, bei der das HI-Virus von Affen auf den Menschen übergesprungen ist. Das Immunschwäche-Virus war ursprünglich in Zentralafrika beheimatet, gelangte von dort über die Karibik in die USA und verbreitete sich mit rasanter Geschwindigkeit über die ganze Welt. Die Ansteckung erfolgt durch ungeschützten Sexualkontakt bei Vaginal- oder Analverkehr. Eine Übertragung durch Küssen, Anhusten oder Benutzen derselben Toilette findet nicht statt.

Allerdings besteht ein hohes Ansteckungsrisiko durch gemeinsames Benutzen von Spritzen und Nadeln beim Drogenkonsum. Zeitgleich traten erstmals aber auch AIDS-Symptome bei sogenannten „Blutern“ auf. Bluter sind Menschen mit einer Hämophilie, einer Blutgerinnungsstörung. Und die passten absolut nicht ins Bild der typisch Erkrankten. Es waren (meist) heterosexuelle Männer, die in fester Beziehung lebten. Wie kam es bei ihnen zur Ansteckung mit HIV? Die akribische Suche ergab, dass ihre lebensnotwendigen Blutprodukte, die zur Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors dienten, leider mit dem HI-Virus kontaminiert waren.

Das führte dazu, dass heute alle Blutspenden unzähligen Tests unterzogen und unter anderem auf HIV und Hepatitis-C-Erreger getestet werden. Erst nach negativem Befund bezüglich der Erregersuche wird eine Blutspende zur Herstellung einer Blutzubereitung freigegeben. Jede einzelne Charge benötigt eine erneute Freigabe durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), also höchste Sicherheitsstufe bei der Herstellung. Strenge Auflagen bestehen ebenso für die Dokumentation von Herstellung, Erwerb und Abgabe aller Blutprodukte, damit jederzeit eine Rückverfolgung möglich ist. Mehr dazu finden Sie im Absatz „30 Jahre - Blutprodukte“.

Mitte 2018 kam es zum ersten Mal zu Lieferengpässe bei Sartanen. Sartane sind Wirkstoffe die in der Hypertonie-Therapie weiten Einsatz finden. Sie greifen in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) ein und führen sicher zum Absenken des systolischen wie diastolischen Blutdruckwertes. Chemikalien, die während des Herstellungsprozesses eingesetzt wurden, hatten die Wirksubstanzen verunreinigt. Im Vordergrund standen zunächst Nitrosamine, die als kanzerogen (krebsauslösend) gelten. Ende 2019 wurden weitere Verunreinigungen in einzelnen Chargen entdeckt. Es handelte sich um N‐Nitrosodimethylamin oder N-Nitrosoethylamin (NDMA/NDEA).

Beide Substanzen traten während des Herstellungsprozesses als unerwartete Nebenprodukte auf. Dank der hervorragenden Analytik konnten diese Verunreinigungen nachgewiesen und die entsprechenden Chargen aus dem Handel genommen werden. All das sind nur wenige Einzelbeispiele aus den letzten 100 Jahren, die dazu führten, die Achtsamkeit zu erhöhen sowie eine Rückverfolgung einzelner Produkte chargengenau möglich zu machen und zu gewährleisten. Das Gefährdungspotenzial, das von Arzneimitteln, Arzneistoffen oder Chemikalien ausgeht, kann durch solch strenge Kontrollen minimiert werden. Die Dokumentationen helfen dabei mit.

LERNZIELE

Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung
+ warum Dokumentation keine sinnlose Arbeitsbeschaffung ist,
+ welche Dokumentationen wie lange aufbewahrt werden müssen,
+ was das Besondere an einer T-Rezept-Dokumentation ist,
+ was es mit dem Hämophilie-Rezept auf sich hat,
+ und dass es Aufbewahrungsfristen von 10 und sogar 40 Jahren gibt.

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