Cannabis
PTA-Fortbildung

Von der Rauschdroge zum Medizinalhanf

Hanf oder Cannabis sativa ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Erde. Man stellte Seile und Papier aus seinen Fasern her – und nutzte von jeher auch die medizinische Wirkung der enthaltenen Cannabinoide.

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Pharmakologie Paradoxerweise wurde die psychotrope Wirkweise von Cannabis trotz seines jahrtausendelangen Gebrauchs erst vor kurzem erforscht. 1988 wurde das Endocannabinoidsystem im Körper entdeckt, durch das Cannabinoide ihre Wirkung überhaupt erst entfalten können. Man identifizierte eine Zielstruktur, also einen Rezeptor, für Cannabinoide im Zentralen Nervensystem (CB1-Rezeptor) und einen weiteren vorwiegend peripher lokalisierten Rezeptor (CB2-Rezeptor). CB1-Rezeptoren sitzen in Regionen, die für Wahrnehmung und Gedächtnis, für motorische Aktivität und die Kontrolle der Körperhaltung im Raum verantwortlich sind. Nicht zu finden sind sie hingegen im Hirnstamm, der viele lebenserhaltende Funktionen steuert – zum Beispiel die Atmung.

Das Fehlen der Rezeptoren dort erklärt, warum auch nach der Einnahme großer Mengen Cannabis keine lebensbedrohlichen Störungen auftreten. Anders ist das bekanntermaßen bei den Opioiden, bei denen es bei Überdosierung zur Atemlähmung kommt. CB2-Rezeptoren finden sich in der Peripherie des Körpers, vor allem im Immunsystem. Ihre Aktivierung wird mit antiinflammatorischen und immunmodulatorischen Effekten in Verbindung gebracht.

Eine Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren bewirkt eine verminderte exzitatorische Neurotransmission, die als angenehm empfunden wird und zu allgemeiner Entspannung mit reduzierter Bewegungsaktivität, gesteigertem Appetit und einer Verstärkung des Belohnungssystems führt. Darüber hinaus wird das Schmerzempfinden verringert. Die hohe Dichte an CB1-Rezeptoren im Brechzentrum könnte die antiemetische Wirkung erklären; eine verminderte Freisetzung von Gamma-Aminobuttersäure (GABA) könnte mit der Modulation emotionaler Prozesse in Verbindung stehen.

Cannabis in Gläsern. © UrosPoteko / iStock / Getty Images Plus
Die einzelnen Unterarten des Medizinalhanfs können sich im Gehalt ihrer Inhaltsstoffe deutlich unterscheiden. Daher muss auf dem Rezept genau bezeichnet werden, welche Sorte gewünscht ist. © UrosPoteko / iStock / Getty Images Plus

Pharmakodynamik THC ist das bekanntestes Cannabinoid, aber nicht das einzige:

  • Delta-9-Tetrahydrocannabidinol (THC) verdankt seine Bedeutung seiner ausgeprägten psychotropen Wirkung. Sein internationaler Freiname (INN) ist Dronabinol. Es kann sowohl teilweise synthetisch als auch aus Faserhanf extrahiert werden. Parmakodynamisch unterscheidet es sich dann nicht von THC aus „echtem“ Cannabis, also aus den weiblichen Blütenständen.
  • Cannabinol (CBN) taucht als schwach psychoaktive Substanz in Cannabis nur in sehr geringen Mengen auf. Dennoch besitzt es eine gewisse Bedeutung, da es als Metabolit im Organismus erscheinen kann.
  • Cannabidiol (CBD) kann in bestimmten Cannabis-Sorten einen Gehalt von bis zu 20 Prozent erreichen und wirkt nicht psychoaktiv. Entkrampfende, entzündungshemmende, angstlösende und antiemetische Wirkungen werden ihm zugeschrieben, daneben auch eine analgetische. In Deutschland ist der Wirkstoff in Nahrungsergänzungsmitteln erhältlich, die ausdrücklich mit dem Hinweis auf das enthaltene CBD ausgezeichnet sind.
  • Nabilon ist ein vollsynthetisches Derivat des THC, das zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie zugelassen ist. Es hat eine längere Wirkdauer (> 6 Stunden) als THC und Dronabinol, verfügt daher über eine höhere Patientencompliance.

GESETZLICHE GRUNDLAGEN

Mit dem am 10. März 2017 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zur Verschreibung von Cannabis-haltigen Arzneimitteln erweitert. Ärztinnen und Ärzte können künftig auch Medizinal- Cannabisblüten oder Cannabisextrakt in pharmazeutischer Qualität auf einem Betäubungsmittelrezept verschreiben. Dabei müssen sie arznei- und betäubungsmittelrechtliche Vorgaben einhalten. Neben den neuen Regelungen bleiben die bisherigen Therapie- und Verschreibungsmöglichkeiten für die Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® sowie das Rezepturarzneimittel Dronabinol bestehen.

Mit Inkrafttreten des Gesetzes hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Cannabisagentur als neues Fachgebiet in der Abteilung „Besondere Therapierichtungen“ eingerichtet. Die Cannabisagentur wird den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuern und kontrollieren. Die Bundesopiumstelle im BfArM führt eine Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln durch, um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis als Medizin zu gewinnen. Wer eine entsprechende Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat, darf also ganz legal Cannabis anbauen.

Die Bundesregierung möchte diesen Anbau ermöglichen, um die Versorgung der Patienten sicherzustellen und hatte dazu 2019 sogenannte Lose verteilt – insgesamt 13 Lose zu je 200 Kilogramm Jahresmenge vergab das Institut. Damit sollen über vier Jahre hinweg 10,4 Tonnen Cannabis in Deutschland angebaut werden. Corona-bedingt wurde es allerdings 2020 nichts mit der allerersten deutschen Ernte von Medizinalhanf: Mit den ersten Lieferungen zur Abnahme durch die Cannabisagentur könne voraussichtlich noch im ersten Quartal 2021 gerechnet werden, erklärte die Bundesregierung auf Anfrage im Parlament.

Pharmakokinetik Rauchen als klassische Form des Cannabis-Konsums zeichnet sich durch eine rasche und effiziente Freisetzung der Wirkstoffe aus. Die Resorption der Inhaltsstoffe über die Lunge führt zu einem augenblicklichen Anfluten des THC ins Zentrale Nervensystem. Daher wird Rauchen von vielen Cannabis-Nutzern als bevorzugte Applikationsform gesehen und trägt sicherlich hauptsächlich zu dessen missbräuchlicher Verwendung bei. Geübte Nutzer können die gewünschte Dosis durch Variation der Rauchdynamik einstellen. Im NRF gibt es zwei Rezepturen für Cannabisblüten zur Inhalation nach Verdampfung.

THC kann aber auch oral verabreicht werden und wird mit einer Bioverfügbarkeit von 4 bis 20 Prozent rasch resorbiert, das synthetische Nabilon sogar zu fast 100 Prozent. Im Vergleich zum Rauchen resultiert aus einer oralen Gabe ein verzögerter Wirkeintritt, ein geringerer Plasmaspiegel, eine insgesamt verlängerte Wirkung und eine etwas verzögerte Ausscheidung. Eine oromucosale Anwendung, also eine Resorption über die Schleimhaut der Mundhöhle, nutzt bereits seit längerem das Fertigarzneimittel Sativex®, das zwei standardisierte Cannabis-Extrakte enthält, nämlich THC und CBD zu gleichen Teilen. Die Elimination des THC dauert vergleichsweise lang: Innerhalb von fünf Tagen sind rund 80 bis 90 Prozent ausgeschieden, und zwar zu 65 Prozent über die Faeces und zu 20 Prozent über den Urin.

Beeinträchtigt wird die Elimination von THC durch seine hohe Lipophilie einerseits und andererseits durch den enterohepatischen Kreislauf. THC wird rasch in Lipidspeichern aufgenommen und daraus nur verzögert wieder freigegeben. Dies kann bei chronischem Konsum von THC zu Eliminationshalbwertzeiten von mehreren Tagen führen. Für Nabilon hingegen konnte eine Eliminationshalbwertzeit von circa zwei Stunden ermittelt werden. Doch auch hier sind die Metabolite noch tagelang im Plasma nachweisbar. Die Ausscheidung erfolgt über dieselben Vehikel wie beim THC.

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