Mann mit Teetasse © Koldunova_Anna / iStock / Getty Images
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Grippe und Grippeimpfung
PTA-Fortbildung

Dieses Jahr besonders gefürchtet

Welches Risiko hat die Influenza im Erkrankungsverlauf für die Betroffenen? Impfen – ja oder nein? Welcher Impfstoff ist für welchen Patienten geeignet? Gerade in diesem Herbst ist gutes Beratungswissen nötig!

18 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. November 2020

Eigentlich ist es jedes Jahr das gleiche Spiel: Im Herbst beginnt langsam die Influenza-Saison, Risikopersonen lassen sich impfen und in den Apotheken wird zur Behandlung von Erkältungs- und Grippesymptomen beraten. Dieses Jahr ist ein neuer Spieler eingestiegen, SARS-CoV-2 macht den Influenzaviren Konkurrenz. Im Angesicht der Pandemie rückt die vertraute Grippeerkrankung in der allgemeinen Aufmerksamkeit etwas in den Hintergrund. Bei Ärzten und Gesundheitspolitikern ist jedoch ein intensives Bestreben zu erkennen, wenigstens die Grippe durch präventive Impfungen so stark wie möglich einzugrenzen, damit die Lage von Grippe- und COVID-19-​Erkrankten nicht zu unübersichtlich wird.

Da die Epidemiologie beider Erkrankungen hinsichtlich der Risikogruppen für schwere Krankheitsverläufe deutliche Ähnlichkeiten aufweist, ist die Ständige Impfkommission (STIKO) davon überzeugt, dass für die kommende Influenzasaison 2020/21 eine hohe Impfquote in den Risikogruppen erreicht werden sollte. So sprechen sich Mediziner intensiv für die flächendeckende Impfung von Risikopersonen mit dem aktuellen Influenza-​Impfstoff aus. Vorschläge, eine Impfempfehlung auf die gesamte Bevölkerung auszudehnen, wurden abgelehnt, schon deshalb, weil für die Influenza-Saison 2020/2021 für etwa 83 Millionen Menschen in Deutschland nur rund 25 Millionen Impfstoffdosen zur Verfügung stehen.

Für diese Impfstoffmenge wurde die Produktion bereits gesteigert, allerdings sollten Überlegungen für zukünftig angestrebte Impfquoten und die damit erforderlichen Mengen an Impfstoff frühzeitig vor der Herstellungsplanung der neuen Impfstoffchargen bedacht werden. Die STIKO hebt hervor, dass das Gesundheitssystem möglichst gut entlastet werden könnte, wenn die Impfquoten vor allem bei Risikogruppen, also den chronisch Kranken, Senioren, Schwangeren, aber auch bei den Menschen der medizinischen Berufe gesteigert werden könnten. Im Osten Deutschlands sind mehr Menschen bereit sich impfen zu lassen als im Westen der Republik. Das ist immer noch auf die andere Sozialisation der Menschen dort in Punkto Impflicht in der ehemaligen DDR zurückzuführen.

Rückblickend war die Impfquote bei den Menschen älter als 60 Jahre nämlich im vergangenen Jahr mit 35 Prozent völlig unzureichend. Sie sei in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken, so das RKI. In diesem Jahr wird sich das voraussichtlich ändern. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Augsburger Allgemeinen, planen 51,5 Prozent der Deutschen, sich in diesem Jahr gegen die Grippe impfen zu lassen. 41,3 Prozent der Befragten lehnen eine Influenza-Impfung hingegen weiterhin ab. Dabei wurde deutlich, dass die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, bei den älteren Menschen mit 50 Prozent der Befragten höher ist als bei den jungen zwischen 18 und 29 Jahren, von denen nur etwa ein Drittel eine Impfung plane.

Die Schutzimpfung ist immer noch die wirksamste und kosteneffektivste Maßnahme im Kampf gegen die Grippe. Aufklärung und Beratung war bisher die Aufgabe der PTA und Apotheker. Diese Funktion wird nun erweitert: Die Apotheke soll laut dem politischen Willen des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn eine wichtige Rolle in der Impfberatung und auch bei der Grippeimpfung spielen. So wurde bereits im März ein Gesetz verabschiedet, das den Weg für Modellprojekte zur Grippeimpfung in Apotheken öffnet. Egal, ob eine Apotheke an so einem Modellprojekt teilnimmt oder nicht, klar ist, dass Apotheker und PTA eine heilberufliche Verantwortung haben, rund um die Erkrankung der Grippe, die Impfung und mögliche Therapie zu beraten. Die zentrale Frage in diesem Herbst wird sein, ist es Grippe oder COVID-19? Dazu ist es wichtig zu wissen, was diese Viren ausmacht, wie sie verbreitet werden, wie die Infektionsgefahr einzuschätzen ist und welche typischen Symptome ausgelöst werden.

LERNZIELE

Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung unter anderem

+ wie sich die Grippe bezüglich der Symptome und des Verlaufs von einer COVID-19-Erkrankung unterscheiden lässt,
+ ob die aktuellen Hygienemaßnahem auch einen Schutz vor Grippe bieten,
+ welche Grippeimpfstoffe diese Saison ausgeliefert werden,
+ warum sich Schwangere impfen lassen sollten,
+ welche Argumente Sie Impfmuffeln entgegnen können und
+ wie die Grippeimpfung in den Apotheken geplant ist.

Influenzaviren Die Erreger gehören zur Familie der Orthomyxoviren. Von den Typen A bis D sind für die Infektionen beim Menschen nur die Typen A und B relevant. Die kugeligen RNA-Viren sind wie SARSCoV-2 membranbehüllt und etwa 120 bis 200 Nanometer groß. Die lipophile Membranhülle schützt das virale Genom – eine Einzelstrang-RNA. Für den Befall einer Wirtszelle sind die Oberflächenproteine Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA), die stachelartig wie Spikes aus der Hülle nach außen hervorragen, von zentraler Bedeutung. Mit Hilfe von Hämagglutinin verschafft sich das Virus wie mit einem Schlüssel Zugang zur Wirtszelle, dringt ein und beginnt dort die Virusreplikation.

Die Neuraminidase ist ein Enzym, das eine Reihe von Funktionen hat. So spielt es eine wesentliche Rolle bei der Freisetzung der neugebildeten Viren. Sehr geschickt verhindert die Neuraminidase ein Hämagglutininvermitteltes Andocken der Tochtervirionen an bereits infizierte Zellen, weil diese durch die Neuraminidase auf ihrer Zelloberfläche kaum noch NAcetylneuraminsäure tragen. So konzentrieren sich die Viren auf den Befall gesunder Zellen und fördern die eigene Verbreitung. Ein weiterer Evolutionsvorteil der Influenzaviren ist die ständige Wandlung der Oberflächenstruktur. Bei der RNA-Biosynthese kommt es immer wieder vor, dass Basen fehlerhaft eingebaut werden. Das führt zur Bildung leicht veränderter Proteine.

Während DNA-Polymerasen Korrekturmechanismen haben, die solche Fehler korrigieren, ist dies bei RNA-Polymerasen nicht der Fall. Vor allem das Oberflächenmolekül Hämagglutinin verändert sich stetig in geringem Maße. Virologen sprechen vom Antigen-Drift, wenn das Virus vom Immunsystem schlechter erkannt wird. Die Antigenstruktur ändert sich durch Punktmutation, aber der eigentliche Subtyp ändert sich nicht. Als Folge kommt es zur mehr oder weniger starken Schwächung der Immunantwort, abhängig davon, welches Virus-Protein verändert wird. Beim Antigen-Shift erkennt das Immunsystem das Virus nicht mehr. Hier sind ganze Genabschnitte im Rahmen einer Koinfektion mit einem anderen Virus ausgetauscht, Subtypen ändern sich.

Der neue Influenza-Subtyp ist für das Immunsystem unbekannt, es besteht ein hohes Ausbreitungsrisiko mit hohen Erkrankungszahlen. Die Erreger der Vogelgrippe und Schweinegrippe sind Beispiele für neue Subtypen mit einem Antigen-​Shift. Wie ein Verbrecher auf der Flucht ändert also das Virus seine Tarnung und macht es dem menschlichen Immunsystem auf diese Weise schwer, es sofort zu erkennen. Deshalb wird auch jedes Jahr erneut geimpft, um die aktuellen Antigene im Körper zu präsentieren. Die rasante Veränderung der Virusgestalt sorgt dafür, dass immer wieder neue passende Impfstoffe produziert werden müssen, die oftmals nur für eine Grippesaison geeignet sind. Um dem Influenzavirus stetig auf den Fersen zu sein, überwachen Wissenschaftler in Deutschland im Nationalen Referenzzentrum für Influenza die genetischen Eigenschaften von Influenzaviren.

Die WHO liefert ebenfalls jedes Jahr neu weltweite Daten über die Virusentwicklung, sodass frühzeitig vor der nächsten Grippewelle ein aktueller wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht. Je größer die Übereinstimmung zwischen denen im Impfstoff enthaltenen Varianten mit den tatsächlich zirkulierenden Viren desto besser der Schutz. Die Anpassung an die aktuellen Virustypen wird für jeden Impfstoff in einem Verfahren zur Änderung der Zulassung geprüft. Das Paul-Ehrlich-Institut untersucht chargenweise und gibt die hergestellten Influenza-Impfstoffe frei, die dann auf den Markt gelangen.

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