Buntes Bild© huasui / iStock / Getty Images

Farbfehlsichtigkeit

ROSEN SIND GRAU, VEILCHEN SIND GRAU

Ist der Pullover pink oder magenta? Darüber lässt sich streiten. Für jeden zwölften Mann und jede zweihundertste Frau könnte er jedoch genauso gut grün sein. Wie entsteht Farbenblindheit, und kann man sie behandeln?

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Unser Auge kann 200 Farben wahrnehmen, jeweils in mehreren Abstufungen und mit unterschiedlichem Weißanteil – das ergibt 20 Millionen Farben. Für manche ist das Spektrum kleiner. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung sind farbfehlsichtig, sie nehmen bestimmte Farben nicht wahr. Einer von 100 000 Menschen ist sogar farbenblind und erkennt nur Graustufen. Farbenblinde sehen außerdem verschwommen und sind blendempfindlich.

Wie sehen wir Farben? Farben sind Teil des sichtbaren Lichts, sie liegen auf dem Spektrum der elektromagnetischen Strahlung zwischen ultravioletter und Infrarotstrahlung. Strahlen mit einer Wellenlänge von 380 bis 420 Nanometern (nm) nehmen wir zum Beispiel violett wahr, zwischen 490 bis 575 nm als grün. Anders als im Farbkasten, wo es beim Mischen immer dunkler und matschtöniger wird (subtraktive Farbmischung), addieren sich die Farben des Lichts.

Das heißt, je mehr Wellenlängen zusammenkommen, desto heller die Farbe, und alle Farben gemeinsam erscheinen weiß. Dabei ergeben rote und grüne Wellenlängen einen gelben Eindruck, blau und grün Cyan und rot und blau erscheinen als Magenta. Dafür hat das menschliche Auge drei Arten von lichtempfindlichen Rezeptoren in der Netzhaut: S-Zapfen für blaues, M-Zapfen für grünes und L-Zapfen für rotes Licht. Gelbes Licht aktiviert die Rot- und Grün-Zapfen, die dann „gelb“ an das Gehirn melden.

Vererbter Pigmentmangel Genetische Mutationen bewirken, dass den Zapfen Proteine des Sehpigments fehlen. Sind alle Zapfen von der Mutation betroffen, ist man farbenblind. Fehlen die Pigmente der L-Zapfen, haben die Betroffenen eine Rot-Sehschwäche. Fehlen sie in den M-Zapfen, kommt es zu einer Grün-Sehschwäche. Die Wellenlängen-Absorptionsbereiche der M- und L-Zapfen liegen nah beieinander, deshalb werden beide Störungen als Rot-Grün-Sehschwäche bezeichnet.

Sind die S-Zapfen betroffen, entsteht die seltenere Blau-Gelb-Sehschwäche. Die Gene für das Sehpigment der Rot- und Grün-Zapfen liegen auf dem X-Chromosom und Rot-Grün-Sehschwäche wird rezessiv vererbt. Das heißt, ein intaktes X-Chromosom genügt, um Pigment zu bilden. Frauen mit ihren zwei X-Chromosomen sind deshalb seltener betroffen (0,8 %) als Männer, die ein X- und ein Y-Chromosom haben (9 %).

Bei Braun über die Ampel Vieles, was Nicht-Betroffenen bunt erscheint, sieht für Farbfehlsichtige grau oder braun aus. Oder es erscheint in einer ganz anderen Farbe, da bei Mischfarben nur ein Anteil fehlt. Es gibt Apps wie den Chromatic Vision Simulator, die die Umgebung so darstellen, wie man sie mit Farbfehlsichtigkeit wahrnimmt. Viele Betroffene wissen lange nicht, dass sie farbfehlsichtig sind. Für sie ist das, was sie sehen, ganz normal.

Viele fragen sich, ob das im Straßenverkehr nicht gefährlich ist. Doch bei Ampeln sitzen die einzelnen Lichter an verschiedenen Positionen und leuchten unterschiedlich hell. Schilder sind an ihrer Form erkennbar. Im Kunstunterricht haben es farbfehlsichtige Kinder hingegen oft schwer, auch beim Zusammenstellen des Outfits lassen sich viele Betroffene beraten. Einige Berufe dürfen Farbfehlsichtige nicht ausüben, wie beispielsweise Pilot, Lokführer oder Polizist.

Famsworth-Munsell und Ishihara Um eine Fehlsichtigkeit zu diagnostizieren, gibt es verschiedene Tests. Beim Fansworth-Munsell 100 Hue Color Vision Test ordnet man Farbfelder so an, dass ein gleichmäßiger Verlauf entsteht. Bekannter ist der Ishihara-Test, den Sie auch auf der linken Seite sehen. Können Sie den Hund erkennen?

Eingedampft
Die häufigste Farbfehlsichtigkeit ist die Rot-Grün-Schwäche. Sie wird X-chromosomal rezessiv vererbt, deshalb sind mehr Männer als Frauen betroffen. Farbenblindheit ist seltener, bei ihr kann man nur Grautöne wahrnehmen, außerdem sieht man unscharf.

Therapie Aktuell wird eine Gentherapie entwickelt um Farbenblindheit zu heilen. Etwa ein Drittel der Farbenblinden hat einen Defekt auf dem CNGA3-Gen. Dieses Gen kann, in ein Adeno-assoziiertes Virus verpackt, in die Netzhaut injiziert werden. Nach einigen Wochen nutzen die Netzhautzellen das Gen, um die fehlenden Proteine zu bilden. Die Phase I/II-Studie wurde im April 2020 abgeschlossen.

Brille macht Farben sichtbar Es gibt Brillen, die eine Rot-Grün-Fehlsichtigkeit ausgleichen. Ihre Gläser erhöhen den Kontrast zwischen den beiden Farben, sodass Betroffene sie unterscheiden können. Entdeckt wurde das zufällig: Der Arzt Don McPherson, der eine getönte Brille speziell für Chirurgen entwickelt hatte, lieh diese einem Freund – und der konnte so erstmals die Farbe Orange sehen.

Sascha Rühl, Reporter mit Rot-Grün-Sehschwäche beim Nordwest TV, lässt in einem YouTube-Video seine Zuschauer teilhaben, wie er eine solche Brille zum ersten Mal aufsetzt. Das erste, was ihm auffällt, ist der blaue Schal seiner Frau. Dann schaut er sich weiter um, lächelnd. „Es ist wirklich irre. Strahlend grünes Gras, das kenne ich so überhaupt nicht“, beschreibt er fassungslos, und: „Selbst der scheiß Mülleimer ist richtig bunt!“ Seiner Frau entwischt ein Freudentränchen.

Diesen Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/2021 ab Seite 56.

Gesa Van Hecke, PTA/Redaktion

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