Hund steht auf Hügel.© Matthew H Irvin / iStock / Getty Images

Therapietiere

LIEBE, NUTZEN ODER HILFE?

Zugegeben, die Frage, worum es sich eigentlich handelt, passt für vieles im Leben. Aber es gibt einen Bereich, der sich ganz besonders gut unter diesem Thema subsumieren lässt: Tiere. Was für ein weites Feld!

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Wir haben sie als Haustiere und damit als beste Freunde, wir nutzen sie in vielerlei Hinsicht für unsere Ernährung, unsere Landwirtschaft, unsere Freizeit, und wir setzen sie ein, wenn es um unser Wohl geht. Kurzum: Wir suchen stets danach, Tiere für unsere Zwecke einzusetzen.

Das klingt im ersten Moment sehr egoistisch, aber auch die Tiere haben je nach Einsatz eine Menge vom Zusammenleben mit uns Menschen. Das Segment Nutzen lassen wir an dieser Stelle mal außen vor. Auch Liebe soll nicht Schwerpunkt dieses Artikels sein. Die gehört eigentlich immer mit dazu! Hilfe – darauf liegt der Fokus. Es geht im Folgenden um Therapietiere.

Ohne Geschichte geht es nicht Könnten wir die Biologie und die Evolution fragen, würden wir eindeutige Antworten bekommen. Auch wenn es manchen schwerfallen mag, das zu akzeptieren: Der Mensch gehört biologisch zu den Tieren, zu den Säugetieren. Die einen, wie Charles Darwin, sagen, dass der Unterschied nur graduell sei. Die anderen, Anthroposophen, Anthropologen und Evolutionsbiologen, erkennen deutlich größere Differenzen zwischen Mensch und Tier.

Und die liegen im Bereich der Kultur. Diese entwickelt sich beim Menschen stets weiter, es wird auf Bekanntem aufgebaut und Neues erlernt. Somit wird es komplexer. Der Primatologe Claudio Tennie von der Universität Birmingham nennt dies „kumulative Kultur“. Im Gegensatz dazu fehle diese bei den Menschenaffen: „Die Kultur, die die Menschenaffen und andere Tiere haben, die besteht auf einem Level fort.“ Wesentlich ist sicherlich auch die Tatsache, dass wir Menschen der Abstraktion fähig sind.

Peter Heusser, Professor für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten-Herdecke, meint dazu: „Ja, weil nur der Mensch die Möglichkeit hat, sich zum Beispiel Mathematik zu denken und logische Urteile zu fällen, wogegen das Tier eigentlich nur Vorstellungen haben kann, die sich auf konkrete Sinneswahrnehmungen beziehen. Also, das Tier kann gar nicht aus einem Erleben herauskommen, wo es nicht etwas Konkretes, Sinnliches aktuell erlebt.

Der Mensch dagegen kann sich darüber erheben, kann sich Dinge ausdenken, kann Opern konzipieren, und vieles mehr. Das kann das Tier nicht.“ Das stimmt. Nun haben wir Menschen, seit wir von den Bäumen geklettert sind, ja gelernt, unseren täglichen Bedarf aus den Möglichkeiten der Natur zu decken. Wir haben irgendwann angefangen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Ob das den Tieren gefallen hat, sich unter ein Joch spannen zu lassen, um einen Wagen oder den Pflug zu ziehen, sei einmal dahingestellt.

Im Lauf der gemeinsamen Entwicklung hat es der Mensch auf jeden Fall geschafft, Tiere auf vielfältige Weise an sich zu binden, ja sogar, sich mit ihnen zu verständigen. Sicher, eine gemeinsame Sprache im Sinne des intellektuellen Wortverstehens gibt es nicht.

Wir haben nur irgendwann bemerkt, dass sich bei zu domestizierenden Tieren unsere Wiederholungen bestimmter Begriffe und Sprachmelodien in Verbindung mit von uns erwarteten Reaktionen als Erinnerung festsetzten. Wie praktisch: „Sitz!“, und der Hund setzt sich neben mich. „Hü!“, und mein Pferd marschiert los. Wenn das keine sensationellen Erfolge im artenverbindenden Miteinander sind! Ok, ein Leckerli beziehungsweise Zügelgewackel hilft den Vierbeinern beim Sich-Erinnern.

Tieren gegenüber müssen wir uns nicht beweisen und stehen nicht unter Druck. Das ist ein Grund dafür, dass wir mit ihnen entspannter umgehen als mit Menschen.

Doch es geht weiter Wir haben uns im Lauf der Zeit – Experten gehen davon aus, dass die nahe Beziehung Mensch und Wolf vor 40 000 Jahren begonnen hat – bestimmte Tiere ausgesucht, die wir gern um uns haben, ja, mit denen wir sogar Haus und (manchmal) Sofa teilen. Hund, Katze, kleine Nager, manche Vögel haben sich an den Menschen gewöhnt, haben gelernt, sich auf seinen Lebensraum einzulassen und für sich selbst Vorteile zu finden.

Und sie verstehen es meisterlich, uns das Gefühl zu geben, dass wir ihr Ein und Alles sind. Sie schenken uns Zuneigung, kuscheln sich an uns, freuen sich, wenn sie uns sehen, kurzum: Sie lösen in uns wohlige Gefühle und Zufriedenheit aus. Sie schaffen es, Ruhe, Ablenkung, Zerstreuung, Freude, Entspannung, Trost in unser Leben zu bringen.

Sie lösen regelrecht Glücksgefühle bei uns aus und können uns mit ihrer offenen Zuneigung und empathischen Art indirekt sogar gesund machen. Sie lindern Schmerzen, sie lösen Blockaden, sie lenken uns von angsterzeugenden Stressfaktoren ab, und ihre Anwesenheit und der Körperkontakt sind Balsam für menschliche Seelen. Das schaffen Hund und Katze meist deutlich häufiger am Tag als viele Menschen.

Was steckt dahinter? Eigentlich ist es ganz einfach. Wir Menschen müssen Tieren gegenüber nichts beweisen. Wir bekommen ohne Hintergedanken ihre direkte Reaktion auf unser Verhalten. Wir stehen nicht unter dem Druck, bestimmten Erwartungen genügen zu müssen. Das allein lässt uns oftmals mit Tieren entkrampfter und lockerer umgehen als mit Menschen. Das Bedürfnis nach einem Tier in der Nähe scheint in unseren Genen zu liegen.

In Studien wurde belegt, dass im Hinblick auf eine gute soziale, emotionale, kognitive und körperliche Entwicklung eines unserer Grundbedürfnisse auch ein Aufwachsen in Kontakt mit Tieren und Natur darstellt. Schon Babys zeigen – unabhängig von Kultur und Einstellung der Eltern – im Alter von nur ein paar Monaten ein wachsendes Interesse an Tieren. Im Laufe der Entwicklung verfestigt sich dieses Bedürfnis, allerdings differenzieren sich die emotionalen Beziehungen zu unterschiedlichen Tieren. Das bedeutet, dass wir Menschen uns emotional auf Tiere einlassen können, dass wir ihnen vertrauen, sie zu unseren seelischen Verbündeten machen.

Der Hund als „bester Freund des Menschen“ hat dabei eine herausragende Stellung. Er ist sehr menschenbezogen und hat viele nahezu identische Bedürfnisse. Er ist als Rudeltier uns, also seinem Alphatier, ergeben und kann ein wahrer Partner des Menschen werden. Darüber hinaus steckt im Menschen ein Grundbedürfnis nach Fürsorge, die er geben und die er empfangen möchte. Die Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe und nach einem zu liebenden Gegenüber schafft starke emotionale Bindungen zu einem Tier.

Menschen als Gegenüber sind da etwas komplizierter, sagt man … Haben Sie schon mal gehört oder gelesen, dass ein Tier, egal ob Pferd, Katze oder Hund, sein Frauchen oder Herrchen abgelehnt hat, weil es dick oder dünn, hübsch oder hässlich, gut oder schlecht gekleidet war? Eben. Tiere beurteilen nicht. Zumindest nicht nach diesen Kriterien. Und damit haben sie uns Menschen schon mal viel voraus.

Eine Züchterin bringt es auf den Punkt: Der Hund liebt den Geruch seines Menschen, er lauscht auf dessen Stimme, und er steht zum Menschen. Handlungen und Verhalten des Menschen bleiben unkommentiert, der Hund bewertet und belehrt nicht, er will den Menschen nicht nach seinen eigenen Vorstellungen verändern. Der Hund hat immer Zeit für seinen Menschen.

Bei der tiergestützten Therapie geht es um ergänzende Intervention im Bereich der Psychotherapie und der Pädagogik.

Wie sieht es nun mit der Hilfe aus? Nachdem sich Tiere in ihrem Bewusstsein im Hier und Jetzt befinden und nicht über Vergangenes nachgrübeln oder Angst vor dem, was kommt, haben, holen sie auch den Menschen im Jetzt ab. Nichts anderes ist wichtig. Nur der Moment, die schöne Gegenwart. Vor allem der Hund kann sich blitzschnell auf Neues einstellen, er verharrt nicht in emotionalen Tieflagen. Er kann besser als jeder Mensch Energien erspüren und reagiert abwehrend auf einen aggressiven Menschen.

Im Gegensatz dazu freut er sich über offene Menschen, die auch fröhlich auf Frauchen oder Herrchen zugehen. Die Sinne sind geschärft und nehmen auch leichte Schwankungen wahr. Geht es dem Menschen psychisch oder physisch schlecht, ist der Hund meist in der Nähe und will einfach nur da sein. Genau hier setzt die Hilfe an, denn nun sind wir im Bereich der tiergestützten Therapie. Natürlich kann nicht einfach irgendein Tier für therapeutische Zwecke eingesetzt werden.

In der mittlerweile wissenschaftlich anerkannten Methode der tiergestützten Therapie geht es laut Definition der ESAAT, der European Society for Animal Assisted Therapy und damit des ältesten und wichtigsten europäischen Dachverbandes für alle Vereinigungen, die tiergestützt arbeiten, um Folgendes: „Tiergestützte Therapie umfasst bewusst geplante pädagogische, psychologische und sozialintegrative Angebote mit Tieren für Kinder, Jugendliche, Erwachsene wie Ältere mit kognitiven, sozial-emotionalen und motorischen Einschränkungen, Verhaltensstörungen und Förderschwerpunkten. Sie beinhaltet auch gesundheitsfördernde, präventive und rehabilitative Maßnahmen.“

Es handelt sich bei der tiergestützten Therapie nicht um eine eigene Therapieform, sondern sie versteht sich als ergänzende Intervention gerade in den Feldern Psychotherapie und Pädagogik. Und dafür werden Tiere gezielt ausgesucht. So kann auch nicht jedes Tier für jeden Zweck eingesetzt werden. Ebenfalls richtet sich der Einsatz nach den Patienten, die unterschiedlich auf ebenso unterschiedliche Tiere reagieren.

Therapie ist nicht gleich Assistenz Die unter medizinischen Aspekten im Straßenbild und im Bewusstsein am häufigsten vertretenen Tiere sind Hunde, die ihren gesundheitlich beeinträchtigten Herrchen oder Frauchen bei bestimmten Verrichtungen helfen, ihnen also assistieren. Es sind vor allem Hunde, die darauf trainiert sind, Gegenstände aufzuheben, vor Gefahren zu warnen, den Weg zu weisen, wie es zum Beispiel Blindenhunde tun, ja, sogar Patienten vor nahenden Unter- oder Überzuckerungen oder Epilepsieanfällen zu warnen.

Letzteres mag schon fast mystisch anmuten, ist jedoch mit besonders sensiblen Hunden tatsächlich möglich. Diese Assistenztiere leben mit ihren Besitzern zusammen. Im Vergleich dazu sind Therapietiere solche Tiere, die nur eine begrenzte Zeit unter Anleitung eines Therapeuten mit den Patienten verbringen. Neben Hunden zählen unter anderem ruhige Pferde, entspannte Lamas und Alpakas, friedliche Katzen, unaufgeregte Schweine und Kaninchen zu dieser Kategorie.

Viele Kliniken bieten mittlerweile ihren Patienten diesen „Service“ an. Auch Seniorenheime und Hospize machen sich die positiven Eigenschaften solcher Tiere zunutze. Nachdem immer wieder beobachtet wird, dass auf diese Tiere speziell solche Patienten, die in irgendeiner Hinsicht eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten oder motorische Beeinträchtigungen haben, mit Freude reagieren, ermöglichen es die Leitungen der Einrichtungen immer häufiger, dass Patienten die Tiere streicheln, bürsten und füttern, ja einfach mit ihnen Zeit verbringen können.

Die Optik Es ist kein Geheimnis, dass viele Menschen bereits beim Anblick bestimmter Tiere positiv reagieren und sich freuen. Viele Personen hatten selbst einst Tiere, manche wissen, dass ihr Liebling zu Hause bei den Verwandten ist, andere wiederum hatten noch nie ein Tier, freuen sich jedoch sehr, wenn sie direkten Kontakt haben können.

Nicht umsonst sind es meist solche Tiere, die sich durch weiches Fell auszeichnen, was eine besondere Haptik und damit ein Wohlgefühl ermöglicht. Auch spielt der Aspekt der vertrauten, sympathischen Bilder eine Rolle.

Die Einsatzbereiche Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Therapietiere zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten einzusetzen. Besonders bewährt haben sich die Tiere bei Menschen, die unter Depressionen leiden, die einen Schlaganfall erlitten und infolgedessen mit Sprach- und/oder Bewegungsstörungen zu kämpfen haben. Ferner werden Herzinfarktpatienten und verhaltensauffällige Kinder und solche mit motorischen oder geistigen Defiziten mit Therapietieren zusammengebracht.

Erfolge wurden auch bereits bei Patienten erzielt, die von Demenz und Morbus Alzheimer betroffen sind, oder solchen, die an den Folgen einer Suchterkrankung laborieren. Patienten aus dem Spektrum der Autismus-Erkrankungen zeigen immer wieder erstaunliche Verhaltensänderungen von Lächeln bis zu einem erweiterten Austausch mit anderen. Besagte Tiere haben eine beruhigende Wirkung auf Trauma- oder Angstpatienten.

In Seniorenheimen geht es häufig lediglich darum, den Bewohnern mit den Tieren ein bisschen Freude in den sehr häufig nicht besonders abwechslungsreichen Alltag zu bringen. Zurückgezogen lebende Personen öffnen sich plötzlich und lachen oder sprechen sogar wieder, was sie an „normalen“, also tierfreien, Tagen nicht tun.

Die unterschiedlichen Möglichkeiten Der Deutsche Tierschutzbund unterscheidet bei der Tiergestützten Intervention (TGI) vier Hauptbereiche:

  1. Tiergestützte Therapie: Diese kann zum Beispiel therapeutisches Reiten, Hippotherapie oder hundegestützte Therapiestunden umfassen, die ausgebildete Fachkräfte, wie Ärzte, Psycho-, Physio- oder Sozialtherapeuten, mit zusätzlicher Weiterbildung für TGI unterstützt von Tieren durchführen. Diese Therapieformen kommen für Menschen jeden Alters, beispielsweise mit körperlichen und geistigen Behinderungen, orthopädischen Erkrankungen oder psychischen Problemen wie Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen infrage.
  2. Tiergestützte Pädagogik: Mit dieser Form von TGI verfolgen weitergebildete Pädagogen erzieherische und fördernde Ziele. Sie setzen Tiere beispielsweise als Schulhunde oder zur Leseförderung ein, bei der Kinder Hunden oder Katzen vorlesen und so die Angst verlieren sowie ihre Fähigkeiten verbessern. In der Regel finden solche Maßnahmen mit Kindern und Jugendlichen in Schulen, Kindergärten und Heimen statt.
  3. Tiergestützte Förderung: Nicht nur Pädagogen und Therapeuten, sondern auch andere Personen wie fortgebildete Sozialarbeiter oder Landwirte setzen diese fördernden Maßnahmen ein. Mit Tierbeobachtungen, direktem Kontakt oder gemeinsamem Hindernisparcours unterstützen sie Menschen aller Altersstufen, die einer speziellen Förderung bedürfen. Das können unter anderem Personen sein, die sich einem Entzug unterziehen oder an Demenz leiden.
  4. Tiergestützte Aktivitäten: Privatpersonen, Tierheime oder Einrichtungen bieten Aktivitäten mit Tieren für die Freizeit an. Sie reichen von Wanderungen mit Tieren bis zu Besuchsdiensten in Seniorenheimen und richten sich an Personen aus allen Generationen. Nicht alle Anbieter verfügen über eine Weiterbildung in der TGI. Das ist aber grundsätzlich zu empfehlen, um auch in diesem Bereich Qualitätsstandards zu gewährleisten.

Tiefe Gefühle Die zum Teil erstaunlichen Reaktionen der mit Therapietieren in Kontakt kommenden Menschen hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass in zunehmendem Maße diese interventive Art der Therapiebegleitung gewählt wird, um Patienten Gefühle des Friedens, der Gemeinschaft und der Liebe zu vermitteln. Was der Mensch oftmals nicht mehr schafft, können diese Tiere – und das in vielen Fällen sogar spontan.

Über längere Zeiträume eingesetzt, kann die tiergestützte Therapie ganz neue Qualitäten von Selbstwert, Selbstachtung und Selbstvertrauen, ja, auch Vertrauen zu anderen Personen fördern. Die Medizin dient – einfach ausgedrückt – grundsätzlich der Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung der Gesundheit. In das Konzept der von dem Soziologen Aaron Antonovsky begründeten Salutogenese, also des individuellen gesundheitlichen Entwicklungs- und Erhaltungsprozesses und nicht des Zustandes, passt die tiergestützte Therapie hervorragend hinein.

Der Begriff leitet sich von den beiden lateinischen Wörtern salus = Gesundheit/Wohlbefinden und genese = Entstehung ab. So erklärt sich auch, dass wiederkehrende Kontakte mit Tieren allmählich ihre Wirkung zeigen. Es kann das wiederholte Beobachten einer Katze, die ruhig in der Ecke liegt und schläft, von täglichen Sorgen und Nöten ablenken. Das Kraulen eines Hundes ist nicht nur ein angenehmer physikalischer Vorgang, sondern erzeugt auch ein Gefühl von Behaglichkeit.

Die oftmals durch Krankheit oder Erfahrung aufgebauten emotionalen Blockaden Menschen gegenüber können im Kontakt mit Tieren überwunden werden, da die Tiere vorurteilsfrei sind und nicht nach „normal“ oder „krank“ fragen. Allerdings fordern sie Aufmerksamkeit, sprich, die Gedanken und Energien müssen gebündelt und fokussiert werden. Tiere wollen körperliche Zuwendung, was vom Menschen gern mit zärtlichen Berührungen, Streicheln und Tätscheln beantwortet wird.

Viele Menschen, gerade auch Bewohner von Seniorenheimen, leiden unter mangelnder Zärtlichkeit. Der Alltag und die emotionale Distanz unter den Bewohnern und Mitarbeitern lassen keinen Raum für solcherlei Emotionsäußerungen. Die für diesen Zweck ausgebildeten Tiere lassen Zärtlichkeiten zu und reagieren oft mit Anstupsen, Lecken und Kuscheln oder einfach nur mit Stillhalten. Auf diese Weise schaffen sie eine entspannte Atmosphäre und sensibilisieren für eine intensivere Wahrnehmung emotionaler Momente.

Unterschiedliche Herangehensweisen An oberster Stelle steht das von Ärzten oder Heimleitungen formulierte Behandlungsziel. Worum geht es bei dem Patienten oder dem Bewohner? Welche Defizite hat er oder sie? Sind genetische oder traumatische Aspekte die Ursache für therapiewürdige Erscheinungen? Ist es der relativ eintönige Alltag, der dringend nach Abwechslung und emotionaler Bereicherung ruft?

Die ESAAT zeigt je nach den Bedürfnissen und Behandlungszielen der Patienten unterschiedliche Optionen auf: die Adoption eines Haustieres zu Hause, die Teilnahme an einem gemeinschaftlichen Therapietier-Programm, den Besuch einer Therapietier-Einrichtung. Ebenso gibt es – auch in Abhängigkeit der Gegebenheiten und Erfordernisse – Einsatzmöglichkeiten der Tiere für die Einzelbehandlung oder in der Gruppe.

Fast schon ein Wunder Natürlich wird beim Einsatz tiergestützter Therapie darauf geachtet, dass sowohl Hygienevorgaben als auch Allergierisiken beachtet werden, was schon bei kleinen Tieren eine Rolle spielt. Ein besonderer, fast schon wundersamer Fall tiergestützter Therapie ist der des 15-jährigen Hengstes Peyo, der auch als „Wunder-Hengst“ und „Doktor Peyo“ bezeichnet wird. Auf der Palliativstation eines Krankenhauses im französischen Calais spendet er seit mehr als fünf Jahren den Menschen Trost.

Ehemals im Turniersport unterwegs, zeigte Peyo schon früh ein sehr großes Interesse an Menschen. Man kann es fast schon als Empathie bezeichnen, so sehr ging der Hengst auf Menschen zu, die – wie sich herausstellte – seelische oder körperliche Schmerzen hatten, an einer Krankheit laborierten oder eine Trauerphase durchlitten. So kam es, dass sich Peyo mittlerweile sogar die Patienten aussucht, in deren Zimmer er gehen will.

Er hebt einen Huf oder bleibt vor einem Zimmer stehen, in dem er einen Patienten besuchen möchte, er zeigt an, wer ihn interessiert – oder braucht. Heilen kann Peyo nicht, das kann keines der Tiere. Aber das, was in den Menschen ausgelöst wird, Ablenkung, Freude, Liebe, Teilnahme, Trost, ist ein wertvolles Geschenk.

Tiergestützte Therapie, eine Mischung aus Tierliebe, Sehnsucht, Vertrauen, Brückenschlag und dem einen oder anderen Fragezeichen. Manches lässt sich zum Glück nicht erklären, das hängt mit der Seele der Tiere zusammen. Der therapeutische Wert dieser Intervention ist indes unstrittig. Das wiederum liegt an der Seele der Menschen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 06/2022 ab Seite 14.

Wolfram Glatzel, freier Journalist

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